Gewerkschaften im Irak
Joachim Guilliard, 15.7.2005
(Überblick für den Tour-Reader, der für die geplante Rundreise zweier irakischer Gewerkschafter zusammengestellt wurde. Die Bundesregierung verweigerte jedoch die Einreise der Beiden. Mehr dazu hier)

Zivile Opposition und Gewerkschaftsbewegung allgemein

In den westlichen Medien wird fast nur über den bewaffneten Widerstand berichtet, die zivile Opposition gegen die Besatzung bleibt ausgeblendet. Dabei wird diese immer stärker und ist immer besser organisiert. So haben in den letzten Monaten große landesweite Konferenzen mit breiter Beteiligung stattgefunden, in denen sich Organisationen mit unterschiedlichstem ideologischem Hintergrund um einen nationalen Konsens bemühen. Eindrucksvoll waren auch die Demonstrationen am 9. April 2005, mit denen in vielen Städten Iraks der Forderung nach Abzug der Besatzer Nachdruck verliehen wurde. Allein in Bagdad kamen trotz des permanent geltenden Ausnahmezustandes über 300.000 Menschen zusammen, die größte Demonstration im Irak seit langem.
Das bedeutendste Sammelbecken des zivilen Widerstands stellt aktuell der Irakische Nationale Gründungskongress (Iraqi National Foundation Congress, INFC) dar, in dem sich über 60 Organisationen zusammengeschlossen haben. Vertreten sind religiöse Organisationen aller Konfessionen ebenso wie säkulare, nationale und linke Gruppierungen, Kurden ebenso wie Turkmenen und andere nationale Minderheiten. Auch Gewerkschafter beteiligen sich an diesem Bündnis.

Nachdem es vor der Invasion nur eine staatsnahe Einheitsgewerkschaft, den Allgemeinen Gewerkschaftsbund GFTU gegeben hatte, entstanden nach dem Sturz des alten Regimes zahlreiche neue Gewerkschaften und Gewerkschaftsbünde, die meisten organisiert von politischen Parteien. So wird die Allgemeine Föderation der  Irakischen Gewerkschaften (GFOUI) vom Obersten Rat der islamischen Revolution (SCIRI) und der Dawa-Partei geleitet – zwei der Parteien, die die aktuelle Übergangsregierung stellen – und der Irakische Gewerkschaftsbund (IFTU) von der Kommunistischen Partei sowie der Partei des ehemaligen Interimspremier Ijad Allawi. Der IFTU ist zudem eng verbunden mit dem Kurdischen Arbeitersyndikat, das von den beiden kurdischen, mit den US-Besatzern verbündeten Parteien PUK und KDP kontrolliert wird.
IFTU wurde als einziger Gewerkschaftsverband von der Besatzungsmacht offiziell anerkannt und konnte sich Nachlass und Mitgliederlisten des alten Gewerkschaftsbundes sichern. Diese sind die Basis für die angebliche Stärke von über 200.000 Mitgliedern der von oben gegründeten und aufgebauten Föderation. (Behind the IFTU controversy: Does Iraq’s main union support the U.S. occupation? Socialist Worker,
17.6. 2005)

US-kritisch hingegen sind die Allgemeine Föderation Irakischer Gewerkschaften (GFITU) und die Föderation der Arbeiterräte und Gewerkschaften in Irak (FWCUI), die von der Kommunistischen Arbeiterpartei geführt wird und zu der auch die sehr aktive Arbeitslosengewerkschaft gehört. Beide Föderationen lehnen die Besatzung ab.

Die GFITU gilt als ideologische Nachfolgeorganisation der einstigen Einheitsgewerkschaft GFTU. Personell gibt es allerdings nicht mehr viel Gemeinsamkeiten. Ihr früherer Generalsekretär war beispielsweise Mitbegründer der schiitischen GFOUI. (Iraq: unions and the law, TUC report of an ICFTU fact-finding visit,
4.4.2004)

Die unabhängigen Öl-Gewerkschaften

Daneben entstanden aber auch eine Reihe starker unabhängiger Gewerkschaften. Die aktuell bedeutendste ist die Allgemeine Gewerkschaft der Beschäftigten im Ölsektor GUOE, mit Sitz in Basra. Die GUOE, die auch Basra Ölgewerkschaft genannt wurde, hat ihre Wurzeln in der Gewerkschaft der Südlichen Ölgesellschaft, die bereits im April 2003, zwei Wochen nach Einmarsch der Besatzungstruppen, in Basra gegründet wurde.

Sie ist nun ein Zusammenschluss mehrerer Gewerkschaften aus der Energiebranche, in denen über 23.000 Beschäftigte aus den neun irakischen Konzernen organisiert sind, die im Südirak den Ölsektor bilden.

Auch wenn die Aktivisten verschiedenen Parteien angehören können, so ist die GUOE parteipolitisch und weltanschaulich neutral. Zum Grundkonsens der Gewerkschaft gehört aber die prinzipielle Ablehnung der militärischen und wirtschaftlichen Besatzung des Landes sowie der Privatisierung allgemein. Die Ressourcen und die Industrie werden als Eigentum der irakischen Bevölkerung betrachtet. Der Reichtum des Iraks soll allen Iraker zu gute kommen, um die Armut zu beseitigen und das Land wieder aufzubauen.

Erste erfolgreiche Aktion gegen die Besatzung und die vom US-Statthalter verordneten Hungerlöhne war ein dreitägiger Streik im August 2003, weitere folgten. Es gelang schließlich die Löhne mehr als zu verdoppeln und die Übernahme der Arbeitsplätze durch Arbeiter, die von US-Konzernen ins Land gebracht wurden, zu verhindern.
Mit Solidaritätsaktionen und Proteststreiks reagierten die Gewerkschafter zudem auch auf Angriffe der Besatzungstruppen auf irakische Städte, wie Najaf und Falludscha.
„Wir unterstützen alle Arten des ehrenhaften Kampfs im Irak“, so ihr Vorsitzender Hassan Juma’an Awad in einem Interview „und wir möchten, dass die Besatzung sofort aufhört. Aber wir sind gegen alle Terrorakte gegen die irakische Zivilbevölkerung durch gewisse Terrororganisationen im Irak.“

Auch die mutwillige Unterteilung der Bevölkerung in Sunniten und Schiiten durch die Besatzungsmacht und ihre irakischen Hilfskräfte lehnen die Gewerkschafter ab. „Niemals zuvor gab es eine solche Trennung. Unsere Familien heirateten untereinander, wir lebten und arbeiteten zusammen. Und heute widerstehen wir gemeinsam dieser brutalen Besatzung, von Falludscha bis Nadschaf und Sadr City. Der Widerstand gegen die Besatzungsmächte ist ein gottgegebenes Recht der Iraker, und wir, als eine Gewerkschaft, sehen uns selbst als einen notwendigen Teil dieses Widerstandes ...“

Eines der wichtigsten politischen Ziele ist die Rücknahme der von der Besatzungsbehörde erlassenen Gesetze, die auch nach deren Auflösung in Kraft blieben. Für viele Iraker war die Rücknahme dieser, eindeutig auf die US-Interessen ausgerichteten Gesetze, einer der zentralen Gründe, im Januar wählen zu gehen. Doch können sie, selbst wenn die Übergangsregierung dies anstreben würde, aufgrund der geltenden Übergangsverfassung nicht ohne weiteres aufgehoben werden.
Am 28. Mai 2005 organisierte die GUOE in Basra eine vielbeachtete Konferenz gegen die Privatisierung des öffentlichen Sektors, auf der irakische Experten und Aktivisten und auch namhafte internationale Fachleute sprachen. Auch Vertreter der anderen Gewerkschaftsverbände nahmen an den Diskussionen teil.

Sieht man von der FWUCI ab, die zumindest einige lokale Wahlen durchführte, hat sich keiner der parteigebundenen Gewerkschaftsverbände bisher die Mühe gemacht, seine Führung durch Wahlen zu legitimieren.

Die einzigen im Moment wirklich legitimierten Arbeiterorganisationen, so der Londoner Hochschullehrer Sami Ramadani von den „Irakischen Demokraten gegen die Besatzung“ und selbst Gewerkschafter, sind daher die GUOE und ihre Mitgliedsgewerkschaften. Sie haben bekanntermaßen Wahlen durchgeführt und haben eine Satzung. Im Gegensatz zu den anderen Gewerkschaften, so Ramadani, sind sie vor Ort sichtbar aktiv und führen Arbeitskämpfe.

Obwohl die GUOE ihre Unabhängigkeit betont, bemüht sie sich auf lokaler Ebene um die Zusammenarbeit mit den anderen Gewerkschaften.