J.P.Proudhon

Was ist das Eigentum

Erste Denkschrift
Untersuchungen über den Ursprung und die Grundlagen des Rechts und der Herrschaft (1840)

 



ERSTES KAPITEL

Methode dieses Werkes. - Was ist eine Revolution?


Wenn ich auf die Frage: "Was ist die Sklaverei?" kurz antwortete: "Sie ist Mord!", so würde man meinen Gedanken sogleich verstehen. Mit wenigen Worten könnte ich zeigen, daß die Gewalt, welche die Gedanken, den Willen und die Persönlichkeit des Menschen knebeln, eine Gewalt auf Leben und Tod ist und daß somit "einen Menschen versklaven" gleichbedeutend ist mit "ihn morden". Warum also kann ich auf die Frage: "Was ist das Eigentum?" nicht ebensogut antworten: "Es ist Diebstahl!", ohne allgemein unverstanden zu bleiben? Und doch ist dieser zweite Satz nur die Umschreibung des ersten.

Ich will die Grundlage unseres Staates und unserer Institutionen, das Eigentum, untersuchen; und ich bin dabei in meinem Recht: ich kann mich zwar in dem Resultat meiner Untersuchungen täuschen; aber ich bin in meinem Recht: es gefällt mir, den Schlußgedanken meines Buches an den Anfang zu setzen; aber doch bin ich immer in meinem Recht.


Der eine Schriftsteller bezeichnet das Eigentum als positives Recht, das aus der Besitznahme entstanden und durch das Gesetz sanktioniert sei, der andere verteidigt es als natürliches Recht, dessen Ursprung in der Arbeit beruhe: und diese Ideen haben trotz ihrer scheinbar ganz entgegengesetzten Natur dennoch beide eine große Anhängerschaft. Ich aber behaupte, daß weder die Arbeit, noch die Besitznahme, noch das Gesetz das Eigentum zu schaffen imstande sind, daß es vielmehr eine Wirkung ohne Ursache ist: wer will mich deshalb verdammen?
Was für ein Sturm der Entrüstung sich da erhebt!

- Das Eigentum ist Diebstahl! Hört die Sturmglocken von 93, hört das nahende Brausen der Revolutionen!...
- Lieber Leser, beruhige Dich: ich bin kein Friedensstörer und kein Aufrührer. Ich greife nur der Geschichte um einige Tage voraus; ich lehre eine Wahrheit, deren Entwicklung wir vergebens, aufzuhalten suchen; ich schreibe die Einleitung zu unserer künftigen Verfassung. Das Eisen, das den Blitz anzieht, würde diese Euch als Blasphemie erscheinende Definition: "Eigentum ist Diebstahl" sein, wenn unsere Vorurteile uns das verstehen ließen; aber welche Interessen, welche Vorurteile stellen sich dem entgegen!...
Leider wird die Philosophie nicht den Lauf der Ereignisse ändern: die Bestimmungen werden sich erfüllen, unabhängig von allen Prophezeiungen: muß außerdem nicht Gerechtigkeit geschehen und unsere Erziehung sich vollenden?

- Eigentum ist Diebstahl! - Welcher Umsturz der menschlichen Begriffe. Eigentümer und Diebe waren zu allen Zeiten entgegengesetzte Ausdrücke, ebenso wie die Wesen, die sie bezeichnen, Gegensätze sind - alle Sprachen haben diesen Unterschied geheiligt. Mit welchem Recht also kannst Du die allgemeine Übereinstimmung angreifen und das Menschengeschlecht der Lüge zeihen! Wer bist Du, der Du die Vernunft der Völker und der vergangenen Zeiten zu leugnen wagst?

- Leser, was macht es denn aus, daß ich ein armseliges Individuum bin? Ich lebe wie Du in einem Zeitalter, in dem sich die Vernunft nur Tatsachen und Beweisen unterwirft; mein Name, ebenso wie der Deine, ist Sucher der Wahrheit, meine Mission steht geschrieben in den Worten des Gesetzes: Sprich ohne Haß und ohne Furcht! Sage, was Du weißt. Die Aufgabe unseres Geschlechtes ist es, dem Wissen einen Tempel zu errichten, und dies Wissen umfaßt den Menschen wie die Natur. Nun, die Wahrheit offenbart sich allen, heute einem Newton und Pascal, morgen dem Hirten im Tale und dem Arbeiter in der Werkstätte. Jeder trägt seinen Stein zu dem Gebäude herbei und nach geschehener Arbeit verschwindet er. Vor uns die Ewigkeit und nach uns die Ewigkeit: wo ist der Platz eines Sterblichen zwischen beiden Unendlichkeiten, damit das Jahrhundert es wisse?
Laß doch, Leser, von meinem Titel und meinem Charakter ab und höre nur auf meine Gründe. Nach der allgemeinen Übereinstimmung will ich den allgemeinen Irrtum abstellen; an den Glauben des Menschengeschlechts appelliere ich über die Meinung des Menschengeschlechts. Habe den Mut, mir zu folgen, und, wenn Dein Wille und Dein Bewußtsein frei ist, wenn Dein Verstand aus zwei gegebenen Gedanken den dritten finden kann, so werden meine Ansichten unbedingt die Deinen werden. Wenn ich mit meinem letzten Gedanken den Anfang machte, so habe ich Dir nur einen Wink geben, aber keineswegs Dir entgegentreten wollen; denn ich weiß, daß ich Dich überzeugt habe, wenn Du mich gelesen hast. Die Dinge, von denen ich sprechen will, sind so einfach, so greifbar, daß Du Dich wundern wirst, sie nicht schon vorher bemerkt zu haben und daß Du Dir sagen wirst: "Darüber hatte ich nicht nachgedacht." Andere werden sich Dir als das Genie darbieten, das die Geheimnisse der Natur bezwingt und das erhabene Aussprüche ausstreut; Du wirst hier nur eine Reihe von Versuchen finden auf dem Gebiete des Rechts und der Gerechtigkeit, eine Art Gewichtsprüfung und Messung Deines Gewissens. Die Untersuchungen werden sich vor Deinen Augen vollziehen, und Du selbst wirst das Ergebnis feststellen.


Übrigens will ich hier kein System aufstellen: ich verlange Aufhebung der Privilegien, Abschaffung der Sklaverei, Gleichheit der Rechte, Herrschaft des Gesetzes. Gerechtigkeit und nichts als Gerechtigkeit; das allein ist der Inhalt meines Werkes; die Welt zu erziehen, überlasse ich anderen.


Eines Tages fragte ich mich: "Warum gibt es in der menschlichen Gesellschaft so viel Schmerz und Elend? Muß der Mensch ewig unglücklich sein?" Und ohne mich bei den endlosen Erklärungen der Weltverbesserer aufzuhalten, die das allgemeine Elend beklagen, oder die Gemeinheit und Unerfahrenheit der Regierung, die Aufrührer und Aufstände, oder die Unwissenheit oder Verderbtheit der Massen als Ursache angaben; der ewigen Kämpfe der Tribüne und Presse müde geworden, habe ich selbst die Ursache zu ergründen gesucht. Ich habe die Größen der Wissenschaft befragt, habe hundert Bände Philosophie, Recht, Nationalökonomie und Geschichte gelesen: und wollte Gott, daß ich in einem Jahrhundert gelebt hätte, wo so viel Lektüre unnütz gewesen wäre! Ich habe alle meine Kräfte angestrengt, um genauen Bescheid zu erhalten, ich verglich die Lehren miteinander, beantwortete die Einwände, prüfte unaufhörlich die Argumente, hielt sie gegeneinander und wog Tausende von Vernunftschlüssen mit der Goldwaage der schärfsten Logik ab. Auf diesem mühsamen Wege habe ich mehrere interessante Tatsachen entdeckt, die ich meinen Freunden und der Öffentlichkeit mitteilen werde, sobald ich die Muße dazu habe. Aber, ich muß es sagen, ich glaubte von vornherein erkannt zu haben, daß wir den Sinn jener so populären und geheiligten Worte: Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit niemals recht verstanden haben, daß unsere Begriffe von all diesen Dingen noch sehr unklar waren und daß die Unwissenheit einzig und allein die Ursache des Pauperismus ist, der uns verzehrt, und allen Unglücks, das die Menschen getroffen hat.


Vor diesem eigenartigen Resultat entsetzte ich mich: ich zweifelte an meiner Vernunft. Was, sprach ich zu mir, was das Auge nicht sah, was das Ohr nicht hörte, was der schärfste Verstand nicht gefunden, das wäre Dir gelungen! Hüte Dich, Unseliger, die Ausgeburten Deines kranken Hirns für klare Gedanken zu halten! Weißt Du nicht, große Philosophen haben gesagt, daß bei der praktischen Moral es keinen Irrtum der Allgemeinheit geben kann?
Ich wollte also eine Gegenprobe meiner Schlüsse durchführen und legte mir nun selbst folgende Fragen als Aufgaben vor. Ist es möglich, daß in der Anwendung der Moralgesetze sich die Menschheit so lange und so gründlich getäuscht hat? Wie und warum hat sie sich wohl geirrt? Wie würde dieser so allgemein feststehende Irrtum zu besiegen sein?


Diese Fragen, von deren Lösung mir die Richtigkeit meiner Beobachtungen abzuhängen schien, harrten nicht lange der Beantwortung. Im fünften Kapitel dieses Buches wird man sehen, daß in der Moral, ebenso wie bei jedem anderen Gegenstande des Wissens, die gröbsten Irrtümer für uns die Stufen des Wissens darstellen, daß sogar bei den Werken der Gerechtigkeit der Irrtum ein Privileg ist, das den Menschen adelt; und daß das philosophische Verdienst, das mir zukommen könnte, unendlich klein ist. Die Dinge zu nennen, ist leicht; wunderbar wäre es, sie vor ihrem Erscheinen zu kennen. Indem ich eine bereits bekannte Idee ausspreche, eine Idee, die jeder denkende Mensch hat, die morgen durch einen anderen verkündet wird, wenn ich es nicht heute täte, habe ich nur das Prioritätsrecht der Formulierung für mich. Preist man etwa den, der den Tag zuerst anbrechen sieht?
Jawohl, alle Menschen glauben und wiederholen es, daß die Gleichheit der Bedingungen identisch ist mit der Gleichheit der Rechte; daß Eigentum und Diebstahl dasselbe bedeuten. Daß jeder Vorrang in der Gesellschaft, der eingeräumt wird, oder, besser gesagt, den sich jemand anmaßt, angeblich auf Grund der Überlegenheit seines Talents und seiner Dienste gegen die Gesellschaft, Ungerechtigkeit und Gewalt ist; alle Menschen, sage ich, schwören in ihrem Innern auf diese Wahrheit; es handelt sich nur darum, es ihnen begreiflich zu machen.
Bevor wir mit dem Thema beginnen, halte ich es für zweckmäßig, einige Worte über den Weg zu sagen, den ich einschlagen will. Wenn Pascal ein mathematisches Problem angriff, schuf er sich eine Methode für die Lösung; ebenso bedarf die Lösung eines philosophischen Problems einer Methode. Und um wieviel mehr zwingen nicht philosophische Probleme wegen ihrer schweren Folgen dazu als mathematische! Um wieviel mehr ruft nicht ihre Lösung gebieterisch nach einer tiefen und strengen Analyse!


Es ist heute eine zweifelsfreie Tatsache, sagen die modernen Psychologen, daß alles, was der Geist aufnimmt, von ihm nach gewissen Hauptgesetzen dieses Geistes verarbeitet wird, daß es sich dort gewissermaßen nach bestimmten bestehenden Typen unserer Seele abformt. Somit, sagen sie, hat der Geist keine angeborenen Ideen, er hat nur angeborene Formen. Also, zum Beispiel, jede Erscheinung wird von uns notwendig in der Zeit und im Räume aufgenommen: Alles, was uns begegnet, läßt uns eine Ursache voraussetzen, warum es begegnet; alles, was existiert, muß die Ideen des Wesens, der Art, der Zahl, der Beziehung usw. enthalten; mit einem Worte: wir produzieren keinen Gedanken, der sich nicht auf eins der allgemeinen Vernunftgesetze bezieht, über die hinaus es nichts weiter gibt.


Diese Axiome des Verstandes, fügen die Psychologen hinzu, die Grundtypen, auf welche sich alle unsere Urteile und Begriffe zurückführen lassen und welche nur durch unsere Empfindungen an den Tag kommen, sind in der Schule unter dem Namen Kategorien bekannt. Ihre uranfängliche Existenz im Geiste ist heute bewiesen; es handelt sich nur noch darum, sie in ein System zu bringen und zu numerieren. Aristoteles zählte ihrer 10, Kant brachte die Zahl auf 15; Cousin hat sie wieder reduziert auf 3,2, l; und das unbestreitbare Verdienst dieses Lehrers bleibt es, daß, wenn er auch nicht gerade die wahre Theorie der Kategorien entdeckt, er doch wenigstens besser als irgend jemand die große Wichtigkeit dieser Frage eingesehen hat, der größten und vielleicht der einzigen der Metaphysik.
Ich gestehe es, daß ich nicht an angeborene Ideen glaube, ebensowenig wie an Formen oder Gesetze unseres Verstandes, und ich halte die Metaphysik von Reid und Kant noch weiter entfernt von der Wahrheit als die des Aristoteles. Doch da ich hier keine Kritik der Vernunft vornehmen will, was eine lange Arbeit erfordern und um die sich das Publikum kaum bekümmern würde, so will ich voraussetzen, daß unsere allgemeinsten und notwendigsten Begriffe, wie die der Zeit, des Raumes, des Wesens und der Ursache, Uraniagen des Geistes oder wenigstens unmittelbar von seiner Beschaffenheit abzuleiten sind.


Aber eine zweite, nicht minder wahre psychologische Tatsache, deren Studium vielleicht zu sehr vernachlässigt ist, ist die, daß die Gewohnheit, wie eine zweite Natur, die Fähigkeit hat, der Vernunft neue kategorische Formen aufzudrücken. Diese nehmen wir von Erscheinungen, die uns beeindrucken, und sie werden dadurch sehr häufig der objektiven Realität beraubt, ihr Einfluß auf unser Urteil ist aber nicht minder vorherrschend, als der der ersten Kategorien. Somit urteilen wir zu gleicher Zeit nach den ewigen und absoluten Gesetzen unserer Vernunft und nach den sekundären, meistens falschen Regeln, die das unvollkommene Betrachten der Dinge uns eingibt. Dies ist die ergiebigste Quelle der falschen Vorurteile und die dauernde, oft unüberwindliche Ursache einer Unmenge von Irrtümern. Die sich für uns aus diesen falschen Beobachtungen ergebende Voreingenommenheit ist oft so stark, daß wir selbst dann, wenn wir ein als falsch erkanntes Prinzip bekämpfen, das unsere Vernunft zurückweist und unser Gewissen verwirft, es verteidigen, ohne zu bemerken, daß wir selbst bei seiner Bekämpfung nach ihm urteilen und uns ihm unterordnen. Wie in einen Kreis eingeschlossen, wirbelt unser Geist um sich selbst herum, bis eine neue Beobachtung neue Vorstellungen in uns erweckt und uns einen neuen äußeren Grund entdecken läßt, der uns von dem Phantom unserer Phantasie befreit.


So wissen wir jetzt, daß durch die Gesetze eines Weltmagnetismus, dessen Ursache uns unbekannt bleibt, zwei Körper, die sonst durch kein Hindernis aufgehalten werden, zu gegenseitiger Berührung hinstreben durch beschleunigte Anziehungskraft, die man Gravitation nennt. Die Gravitation ist es, die Körper ohne Stützpunkt zur Erde fallen läßt, die sie im Gleichgewicht hält und uns selbst an den Erdboden bindet. Die Unkenntnis dieser Ursache war der einzige Grund, der die Alten daran hinderte, an Antipoden zu glauben. "Wie, seht Ihr nicht ein", sagte, nach Lactanz, der hl. Augustin, "daß, wenn es Menschen unter unseren Füßen gäbe, sie den Kopf unten hätten und in den Himmel fielen?" Der Bischof von Hippo, der die Erde für eine Scheibe hielt, weil er sie so zu sehen glaubte, folgerte daraus, daß, wenn man vom Zenit bis zum Nadir verschiedener Punkte grade Linien zöge, diese Linien parallel verliefen; und in die Richtung dieser Linien setzte er jede Bewegung von oben nach unten. Daraus mußte man naturgemäß schließen, daß die Sterne wie Lichter am Himmelsgewölbe einherrollten und daran befestigt seien und daß sie, wenn man sie sich selbst überließe, gleich einem Feuerregen auf die Erde niederfielen; daß die Erde eine ungeheure Scheibe sei, die den unteren Teil der Welt bilde, usw. Hätte man ihn gefragt, worauf die Erde selbst ruhe, so hätte er geantwortet, daß er es nicht wisse, daß aber Gott nichts unmöglich sei. So beschaffen waren bezüglich des Raumes und der Bewegung die Ideen des hl. Augustinus, Ideen, die auf einem Vorurteil beruhten, das durch den Schein hervorgerufen und ihm zu einer kategorischen Regel des Urteils geworden war. Die Ursache des Fallens der Körper kannte er nicht; er konnte nur sagen: ein Körper fällt, weil er fällt.


Für uns ist der Begriff des Falles viel komplizierter : den Hauptbegriffen von Raum und Bewegung, die er umfaßt, fügen wir den der Anziehung oder Richtung gegen einen Mittelpunkt bei, der vom höheren Begriffe der Ursache stammt. Aber wenn auch die Physik unser Urteil in dieser Hinsicht vollständig geklärt hat, so ist uns nicht weniger das Vorurteil des hl. Augustinus im täglichen Leben geblieben; und wenn wir sagen, daß ein Körper gefallen sei, so verstehen wir darunter noch nicht, daß eine Wirkung der Gravitation im allgemeinen stattgefunden habe, sondern daß es eine Bewegung gegen die Erde im besonderen, und zwar von oben nach unten, gewesen sei. Die Vernunft kann vollständig klar denken, die Einbildung behält doch die Oberhand, und unsere Sprache bleibt stets unverbesserlich. Vom Himmel zur Erde herabsteigen, ist ein ebenso richtiger Ausdruck, als vom Himmel zur Erde heraufsteigen; und trotzdem wird sich diese Ausdrucksweise so lange erhalten wie die Sprache.
Alle diese Redewendungen, von oben nach unten, vom Himmel herabsteigen, aus den Wolken fallen usw. sind seitdem gefahrlos, weil wir sie in der Praxis zu berichtigen wissen; aber man überlege einmal, wie sehr sie die Fortschritte der Wissenschaft verzögern.


Für die Statistik, die Mechanik, die Hydrodynamik, die Ballistik ist es von geringer Bedeutung, ob uns die wahre Ursache des Fallens der Körper bekannt und ob die Vorstellung von der Hauptrichtung des Raumes richtig ist; ganz anders verhält es sich aber, sobald es sich darum handelt, das "Weltensystem, die Ursache von Ebbe und Flut, die Gestalt der Erde und ihre Stellung im 'Weltenraum zu erklären: dazu muß man den Kreis sichtbarer Wahrnehmungen verlassen. Seit Urzeiten gab es erfindungsreiche Mechaniker, ausgezeichnete Architekten und geschickte Artilleristen, ihre irrigen Ansichten über die Gestalt der Erde und die Gravitation hatten keinerlei schädlichen Einfluß auf die Entwicklung ihrer Kunst; die Solidität ihrer Bauwerke und die Genauigkeit des Schießens verloren dabei nichts. Aber früher oder später mußten Erscheinungen zutage treten, die sich aus dem Parallelismus aller Perpendikel auf der Erdoberfläche nicht erklären ließen; dann mußte ein Kampf ausbrechen zwischen den Vorurteilen, die jahrhundertelang dem täglichen Leben genügt hatten, und den neuen Meinungen, die dem Augenschein zu widersprechen schienen.


Daher umfassen unsere falschesten Urteile, sobald sie vereinzelte Tatsachen oder nur sichtbare Wahrnehmung zur Grundlage haben, immer eine Anzahl von Wahrheiten, deren mehr oder minder großer Kreis für eine gewisse Zahl von Folgerungen genügt, über die hinaus wir ins Absurde geraten: so waren z. B. die Ideen des hl. Augustinus, daß die Körper zur Erde fielen, daß das Fallen sich in grader Linie vollziehe, daß die Sonne oder die Erde sich bewege, daß der Himmel oder die Erde sich drehe usw., ganz wahr; unsere Wissenschaft hatte dem nichts hinzuzufügen. Aber andererseits zwingt uns die Notwendigkeit, uns über alles Rechenschaft zu geben, dazu, immer umfassendere Prinzipien zu suchen; daher ließ man nach und nach die Ansicht, die Erde sei eine Scheibe, und dann die Theorie fallen, die Erde stehe unbeweglich im Mittelpunkte der Welt usw.


Gehen wir nun aber von der physischen Welt zur moralischen über, so finden wir uns hier noch denselben Täuschungen der sichtbaren Wahrnehmungen, denselben Einflüssen der Willkür und der Gewohnheit unterworfen. Aber was diesen zweiten Teil des Systems unserer Kenntnisse unterscheidet, ist einerseits das Gute oder das Böse, das sich für uns aus unseren Ansichten ergibt, und andererseits die Hartnäckigkeit, mit der wir das Vorurteil verteidigen, das uns martert und tötet.


Welchem System über die Ursache der Schwere und die Gestalt der Erde wir auch anhängen, die Bewegung des Globusses leidet darunter nicht, und unserer Gesellschaftsordnung wird weder Nutzen noch Schaden zugefügt. Aber in uns und durch uns erfüllen sich die Gesetze unserer moralischen Natur, und diese Gesetze können sich nicht ohne unsere bewußte Teilnahme vollziehen; d. h. ohne daß wir sie erkannt haben. Wenn also unser Wissen von den Moralgesetzen falsch ist, so fügen wir uns, in der Absicht Gutes zu tun, Böses zu; ist es nur unvollständig, so wird es einige Zeit für unseren gesellschaftlichen Fortschritt genügen können, aber auf die Dauer wird es uns auf Irrwege führen und uns schließlich in einen Ab-grund von Not stürzen.


Dazu bedürfen wir der umfassendsten Kenntnisse, und zu unserem Ruhme sei es gesagt, sie haben uns ausnahmslos niemals im Stich gelassen; aber gleichzeitig entbrennt dann ein erbitterter Kampf zwischen den alten Vorurteilen und den neuen Ideen. Tage der Umwälzung und der Qual! An die Zeit denkt man dann zurück, in der mit denselben Dogmen und Institutionen die ganze Welt sich für glücklich hielt: mit welchem Recht, so fragt man, will man diese Glaubenssätze anfechten und diese Institutionen umstoßen? Man will nicht begreifen, daß jene Periode des Glücks gerade dazu diente, das Prinzip des Übels zu entwickeln, das in der Gesellschaft schlummerte; man klagt die Menschen an und die Götter, die Mächtigen der Erde und die Naturkräfte. Statt die Ursache des Übels in seiner Vernunft und in seinem Herzen zu suchen, findet sie der Mensch in seinen Herren, seinen Gegnern, seinen Nachbarn und in sich selbst; die Völker waffnen sich, schlachten sich ab, bis durch eine große Entvölkerung das Gleichgewicht wieder hergestellt ist und der Friede aus der Asche der Kämpfer aufsteigt. So sehr widerstrebt es der Menschheit, an die Gewohnheiten der Väter zu rühren und die Gesetze zu ändern, die die Gründer der Städte gegeben und die Jahrhunderte geheiligt haben.


Nihil motum ex antiquo probabile est: Hütet Euch vor jeder Neuerung! rief Titus Livius. Zweifelsohne wäre der Mensch besser daran, wenn er niemals etwas ändern müßte: aber wenn er unwissend geboren ist, wenn er sich nur schrittweise fortbilden kann, muß er dann deshalb dem Licht entsagen, seine Vernunft aufgeben und sich dem Zufall preisgeben? Vollkommene Gesundheit ist besser als Genesung; hat aber der Kranke deshalb Grund, die Heilung abzulehnen? Reform, Reform! riefen einst Johannes der Täufer und Jesus Christus. Reform, Reform! so riefen unsere Väter vor fünfzig Jahren und wir werden noch lange Zeit rufen: Reform, Reform!


Zeuge der Nöte meines Jahrhunderts, sagte ich mir: Unter den Prinzipien, auf welchen die heutige Gesellschaft aufgebaut ist, gibt es eins, das sie nicht begreift, das ihre Unwissenheit verdorben hat und das an allem Übel die Schuld trägt. Dies Prinzip ist das älteste von allen, denn es ist das Wesen der Revolutionen, die modernsten Prinzipien zu stürzen und die alten zu respektieren; nun, das Übel, das uns quält, ist älter als alle Revolutionen. Dies Prinzip wünscht und will man, so wie unsere Unwissenheit es geschaffen hat; denn wenn man es nicht wollte, so würde es niemand schädigen und wäre ohne Einfluß.


Aber dieses Prinzip, das an und für sich wahr und von uns nur falsch aufgefaßt wird, dieses Prinzip, das ebenso alt wie die Menschheit ist, sollte es vielleicht die Religion sein?


Alle Menschen glauben an Gott: Dieses Dogma gehört zugleich ihrem Gewissen wie ihrer Vernunft an, Gott ist für die Menschheit ebensosehr eine Urtatsache, eine ebenso schicksalhafte Idee, ein ebenso notwendiges Prinzip, als es für unser Bewußtsein die kategorischen Ideen Ursache, Wesen, Zeit und Raum sind. Die Existenz Gottes wurde uns durch das Gewissen früher bestätigt als durch irgendeine Folgerung des Verstandes; wie wir die Sonne mit unseren Sinnen früher wahrnehmen, als die Physik sie uns zeigt. Die Beobachtung und die Erfahrung lassen uns die Phänomene und Gesetze entdecken, der tiefste Verstand allein entschleiert uns ihre Existenz. Die Menschheit glaubt an die Existenz Gottes; an was glaubt sie, wenn sie an Gott glaubt? Mit einem Worte: was ist Gott?


Diesen Begriff der Gottheit, jenen Urbegriff, jenen einmütig gebrauchten und unserer Gattung angeborenen Begriff zu definieren, hat die menschliche Vernunft bis jetzt noch nicht vermocht. Bei jedem Schritt zur Erkenntnis der Natur und der Ursachen tritt uns die Idee der Existenz Gottes entgegen: je weiter unser Wissen fortschreitet, desto größer und entfernter erscheint uns Gott. Die Vorstellung Gottes in menschlicher Gestalt und die Abgötterei waren eine notwendige Folge der Jugend der Vernunft, eine Theologie der Kinder und Dichter. Aber es war nur ein unschuldiger Irrtum, solange man aus ihm nicht ein Verhaltensgebot machte und die Meinungsfreiheit dabei zu achten wußte. Aber wie Gott nach seinem Bilde den Menschen geschaffen, wollte dieser wiederum ihn sich zu eigen machen: er verunstaltete nicht nur das erhabene Wesen, sondern behandelte ihn sogar wie sein Erbe, sein Gut, seine Sache: Gott wurde in ungeheurer Form dargestellt und so überall Eigentum der Menschen und des Staates. Dies war der Ursprung der Sittenverderbnis durch die Religion, die Quelle des religiösen Hasses und der "heiligen" Kriege. Gott sei Dank haben wir gelernt, jedem seinen Glauben zu lassen, wir suchen das Gesetz außerhalb des Kultus; wir warten vernünftigerweise darauf, um über das Wesen und die Eigenschaften Gottes, über die Dogmen der Theologie und über die Bestimmung unserer Seele etwas festzustellen, daß die Wissenschaft uns lehre, was wir verwerfen und was wir glauben sollen. Gott, Seele und Religion, diese ewigen Gegenstände unserer unermüdlichen Meditationen und unserer unseligsten Verwirrungen, diese schrecklichen Probleme, deren Lösung immer versucht wird und stets unvollständig bleibt: über alle diese Gegenstände können wir uns noch täuschen, aber wenigstens ist unser Irrtum ohne Einfluß. Mit der Freiheit der Religion und der Trennung von Kirche und Staat ist der Einfluß der religiösen Ideen auf den Entwicklungsgang der menschlichen Gesellschaft ein rein negativer, kein Gesetz, keine politische oder bürgerliche Institution hängt von der Religion ab. Vergißt man die Gebote der Religion, so kann dies die allgemeine Korruption fördern, aber es ist nicht die notwendige Ursache davon, sondern nur vielmehr eine Nebenwirkung oder Folge derselben. Vor allem kann - und bei dieser uns beschäftigenden Frage ist diese Bemerkung entscheidend - die Ursache der Ungleichheit der Bedingungen unter den Menschen, des Pauperismus, der allgemeinen Leiden, der Ratlosigkeit der Regierungen nicht mehr der Religion zur Last gelegt werden, man muß weiter zurückgehen und tiefer bohren.


Aber welches Gefühl ist älter und wurzelt in der menschlichen Natur tiefer als das religiöse?


Es ist der Mensch selbst, d. h. sein Wille und sein Gewissen; Freiheit und Gesetz befinden sich in stetem Antagonismus; der Mensch liegt im Kriege mit sich selbst: warum?


Die Theologen sagen: "Der Mensch hat im Anfang gesündigt; unser Geschlecht trägt die Schuld einer alten Pflichtvergessenheit. Um dieser Sünde willen ist die Menschheit gefallen: Der Irrtum und die Unwissenheit sind ihr Erbteil geworden. Lest die Geschichte, und überall werdet Ihr den Beweis für die Notwendigkeit des Übels in dem dauernden Elend der Völker finden; der Mensch leidet und wird immer leiden: seine Krankheit ist erblich und angeboren. Benützt Beruhigungs- und Linderungsmittel; aber ein Heilmittel gibt es nicht."


Und dies sagen nicht nur die Theologen, in gleichem Sinne äußern sich auch die materialistischen Philosophen, die Anhänger einer unendlichen Vervollkommnungsfähigkeit. Destutt de Tracy lehrt ausdrücklich, daß Pauperismus, Verbrechen und Krieg die unabdingbare Voraussetzung unserer Gesellschaftsordnung sind, ein notwendiges Übel, gegen das zu revoltieren Wahnsinn wäre. Also Notwendigkeit des Übels oder Urverderbtheit, das ist im Grunde genommen dieselbe Philosophie.


"Der erste Mensch hat gesündigt." Würden die Anhänger der Bibel diese Stelle wortgerecht übersetzen, so würden sie sagen: der Mensch sündigt zuerst, d. h. er irrt; denn sündigen, fehlen, irren ist alles dasselbe.
"Die Folgen der Sünde Adams haben sich in seinem Geschlecht vererbt und dies ist vor allem: die Unwissenheit." In der Tat ist die Unwissenheit der Gattung eigentümlich wie dem Individuum; aber bei einer Reihe von Fragen, sogar moralischen und politischen, ist diese Unwissenheit geheilt worden: warum kann sie dann auch nicht völlig aufhören? Es gibt einen steten Fortschritt der Menschheit auf die Wahrheit zu und einen unaufhörlichen Triumph des Lichtes über das Dunkel. Unser Übel ist also durchaus nicht unheilbar, und die Auslegung der Theologen ist mehr als ungenügend: sie ist geradezu lächerlich; denn sie läßt sich auf die Tautologie zurückführen: "Der Mensch irrt, weil er irrt." Statt dessen müßte man sagen: "Der Mensch irrt, weil er lernt." Nun, wenn der Mensch so weit ist, daß er alles weiß, was er nötig hat, dann kann man wohl annehmen, daß er nicht mehr irren und deshalb auch nicht mehr leiden wird.


Wenn wir danach die Lehrer dieses Gesetzes, das ja dem menschlichen Herzen eingeprägt sein soll, fragten, so würden wir bald erkennen, daß sie darüber streiten, ohne zu wissen: daß es in den Hauptfragen fast ebensoviel Ansichten wie Köpfe gibt; daß sich nicht zwei über die beste Form der Regierung, das Prinzip der Autorität und das Wesen des Rechts einig sind; daß alle aufs Geratewohl auf einem grund- und uferlosen Meere treiben und sich ihrer Privatinspiration überlassen, die sie bescheiden für die wahre Vernunft nehmen. Und angesichts dieses Durcheinanders sich widersprechender Ansichten werden wir sagen: "Der Gegenstand unserer Untersuchungen ist das Gesetz, die Bestimmung des sozialen Prinzips; nun, die Politiker, d. h. die Sozial Wissenschaftler sind sich nicht einig; bei ihnen liegt demnach der Irrtum; und wie jeder Irrtum eine Wirklichkeit zum Gegenstand hat, muß sich die Wahrheit in ihren Büchern finden, in die sie sie ohne ihr Wissen getragen haben."


Nun, worüber schreiben die Juristen und Publizisten? Über Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit, natürliches und positives Gesetz usw. Aber was ist Gerechtigkeit? Was ist ihr Prinzip, ihr Charakter, ihre Formel? Es ist klar, daß auf diese Frage unsere Lehrer nichts antworten können; denn sonst würde ihre Wissenschaft auf einem klaren und bestimmten Prinzip beruhen, damit aus ihrem ewigen Dunkel heraustreten, und jeder Streit wäre beendet.


Was ist Gerechtigkeit? Die Theologen antworten: alle Gerechtigkeit kommt von Gott. Das ist richtig, besagt aber weiter nichts.


Die Philosophen müßten darüber besser unterrichtet sein: sie haben so viel über Recht und Unrecht disputiert! Leider zeigt auch hier die Prüfung, daß ihr Wissen sich auf nichts zurückführt und daß es ihnen geht wie jenen Wilden, die zur Sonne als Gebet sagten: Oh! -Oh! ist wohl ein Schrei der Bewunderung, der Liebe und des Enthusiasmus; aber wenn man wissen wollte, was die Sonne sei, so könnte man wenig Aufklärung von dem Ausruf erhalten. Genau denselben Fall haben wir mit den Philosophen in bezug auf die Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit, sagen sie, sei eine Tochter des Himmels, ein Licht, das jedem zur Welt kommenden Menschen leuchte, das schönste Vorrecht unserer Natur, das uns von den Tieren unterscheide und uns Gott ähnlich mache, und sie sagten noch tausend andere, ähnliche Sachen. Was heißt, frage ich, diese fromme Litanei? Gerade soviel wie das Gebet der Wilden : Oh!


Das Vernünftigste, was die menschliche Weisheit über die Gerechtigkeit gelehrt hat, ist in dem bekannten Sprichwort enthalten: Füg ' den ändern das zu, -was Du willst, daß man es Dir tue. Füg' keinem anderen zu, was Du nicht willst, daß man Dir tue! Aber dieser Satz aus der praktischen Moral ist für die Wissenschaft wertlos. Ich hätte also das Recht zu wollen, was man mir zufüge, oder was man mir nicht zufüge? Das heißt doch nur, daß meine Pflichten gleich sind mit meinen Rechten, wenn man auch nicht zu gleicher Zeit angibt, worin denn das Recht besteht.


Versuchen wir, zu etwas Bestimmterem und Positiverem zu gelangen. Die Gerechtigkeit ist das Hauptgestirn, das die Gesellschaft lenkt, der Pol, um den sich die politische Welt dreht, das Prinzip und der Maßstab aller Handlungen. Alles geschieht unter den Menschen vermöge des Rechts, nichts ohne Berufung auf die Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit ist nicht die Schöpfung des Gesetzes; im Gegenteil ist das Gesetz immer nur ein Ausdruck und eine Anwendung dessen, was in allen Verhältnissen, in denen die Menschen durch Interessen miteinander verbunden sind, gerecht ist. Wenn also die Idee, die wir uns von der Gerechtigkeit und vom Recht machen, schlecht definiert, wenn sie unvollständig oder sogar falsch wäre, so müssen demnach alle unsere Anwendungen durch unseren Gesetzgeber schlecht, unsere Institutionen fehlerhaft und unsere Politik unrichtig sein: und Unordnung und soziale Mißstände daraus entstehen.


Diese Hypothese von der Perversion der Gerechtigkeit in unserem Begriffsvermögen und danach mit notwendiger Folge in unseren Handlungen wäre bewiesen, wenn die Meinungen der Menschen bezüglich des Begriffs und der Anwendung der Gerechtigkeit nicht gleichgeblieben wären, wenn sie zu verschiedenen Zeiten Änderungen erfahren hätten; d. h. wenn es einen Fortschritt in den Ideen gegeben hätte. Nun, das bestätigt uns die Geschichte durch die deutlichsten Zeugnisse.


Vor 1800 Jahren verzehrte sich die Welt unter der Herrschaft der Cäsaren in Sklaverei, Aberglauben und Ausschweifungen. Das Volk, berauscht und fast betrübt durch die langen Bacchanale, hatte den Begriff von Recht und Pflicht verloren: Kriege und Orgien dezimierten es abwechselnd; der Wucher und die Arbeitsmaschinen, d. h. die Sklaven, beraubten es der Existenzmittel und verhinderten seine Wiedergeburt. Die scheußlichste Barbarei entstand in dieser ungeheuren Korruption und verbreitete sich wie die Pest in den entvölkerten Provinzen. Die Weisen sahen das Ende des Reiches voraus; aber sie wußten kein Heilmittel. Was hätten sie in der Tat auch ersinnen können? Um diese vergreisende Gesellschaft zu retten, hätte man die Gegenstände der öffentlichen Achtung und Verehrung abändern und durch tausendjährige Justiz heilig gewordene Rechte abschaffen müssen. Man sagte: "Rom hat durch seine Politik und seine Götter gesiegt; jede Reform des Kultus und der Staatsanschauung wäre Torheit und Frevel. Rom war milde gegen seine besiegten Gegner, es ließ ihnen gnädig das Leben und gab ihnen nur Ketten; Sklaven sind die ergiebigste Quelle seines Reichtums; die Befreiung der Völker wäre die Negation seiner Rechte und der Ruin seiner Finanzen. Rom, das sich in Vergnügungen stürzt, die ihm die Beute der gesamten Welt gewährt, genießt seinen Sieg und seine Herrschaft, sein Luxus und seine Ausschweifungen sind der Preis seiner Eroberungen: es kann weder abdanken noch entsagen." Rom hatte also die Macht und das Recht für sich. Seine Forderungen bestanden nach allen Gebräuchen und dem Völkerrecht zu Recht. Die Abgötterei in der Religion, die Sklaverei im Staate, das Epikuräertum im Privatleben bildeten die Grundlage seiner Institutionen; daran rühren, hieß den Staat bis in seine Grundfesten erschüttern und, mit unserem modernen Ausdruck, den Abgrund der Revolution öffnen. Daher trat auch dieser Gedanke an niemanden heran; und unterdessen starb die Menschheit in Blut und Wollust.


Plötzlich erschien ein Mann, der sich Wort Gottes nannte: man weiß noch heute nicht, wer er war, woher er kam und wer ihm wohl seine Ideen eingegeben hat. Er verkündete überall, daß sich die Gesellschaft überlebt habe, daß die Welt erneuert werden müsse; die Priester seien Vipern, die Advokaten Nichtwisser, die Philosophen Heuchler und Lügner; Herr und Knecht seien gleich, der Zins und alles, was ihm ähnele, Diebstahl, die Eigentümer und Genußmenschen würden eines Tages braten, die Armen im Herzen und Reinen dagegen einen Ort der Ruhe bewohnen. Er fügte auch noch viele andere, nicht weniger merkwürdige Dinge hinzu.


Dieser Mann, das Wort Gottes, wurde angezeigt und als Staatsfeind verhaftet von den Priestern und Juristen, die sogar das Geheimnis besaßen, seinen Tod vom Volk erbitten zu lassen. Aber dieser gesetzliche Mord, durch den sie das Maß ihrer Verbrechen voll machten, konnte nicht die Lehre vernichten, die das Wort Gottes ausgestreut hatte. Nach ihm ergossen sich seine ersten Schüler nach allen Seiten und kündigten die "Frohe Botschaft", wie sie es nannten, indem sie ihrerseits Millionen Missionare ausbildeten und, wenn ihre Aufgabe vollbracht schien, unter dem Richtschwert der römischen Justiz fielen. Diese hartnäckige Propaganda, dieser Krieg der Henker und Märtyrer datierte fast drei Jahrhunderte lang, und dann war die Welt bekehrt. Die Götzenbilder wurden zerstört, die Sklaverei wurde abgeschafft, die Sittenlosigkeit machte strengen Sitten Platz, und die Verachtung des Reichtums wurde oft bis zur äußersten Entsagung getrieben. Die Gesellschaft wurde gerettet durch die Aufhebung ihrer Grundsätze, durch den Umsturz der Religion und durch die Verletzung der heiligsten Rechte. Die Idee der Gerechtigkeit erhielt in dieser Revolution eine bis dahin nie geahnte Ausdehnung, die auch der Verstand niemals wieder begriffen hat. Die Gerechtigkeit hatte bisher nur für die Herren existiert; jetzt begann sie es auch für die Knechte.


Dennoch trug die neue Religion bei weitem nicht alle ihre Früchte. Es trat wohl ein Aufschwung der öffentlichen Sitten ein, eine gewisse Milderung in der Unterdrückung; aber schließlich fiel die Saat, die der Sohn des Menschen gesät, in abergläubische Herzen und brachte dort nur eine quasi-poetische Mythologie hervor und unbeschreibliche Zwietracht. Statt die praktischen Folgen aus den Moral- und Regierungsgesetzen zu ziehen, die das Wort Gottes aufgestellt hatte, verlor man sich in Spekulationen über seine Geburt, seinen Ursprung, seine Persönlichkeit und seine Handlungen; man : bekrittelte seine Gleichnisse, und aus dem Streit der überspanntesten Meinungen über unlösbare Fragen und unverstandene Texte entstand die Theologie, welche man als die Wissenschaft der unendlichen Absurdität bezeichnen kann.


Die christliche Wahrheit reichte nicht über das Zeitalter der Apostel hinaus; das Evangelium wurde von Griechen und Lateinern kommentiert, symbolisiert, durch heidnische Fabeln vermehrt und wurde buchstäblich zum Zeichen des Widerspruchs, und bis auf-den heutigen Tag stellt die Herrschaft der alleinseligmachenden Kirche nur eine lange Finsternis dar. Man sagt, daß die Tore der Hölle nicht immer die Oberhand behielten, daß das Wort Gottes; wiederkomme und daß endlich die Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit und Gerechtigkeit gelangten; aber dann wird es um den griechischen und römischen Katholizismus geschehen sein, ebenso wie vor dem Lichte der Wissenschaft die Phantome der Meinung erblassen.


Die Ungeheuer, deren Vernichtung die Mission der Nachfolger der Apostel gewesen ist, erschienen nach kurzem Schreck nach und nach wieder, dank dem schwachsinnigen Fanatismus und teilweise auch sogar mit bewußtem Einverständnis der Priester und Theologen. Die Geschichte der Volksbefreiung in Frankreich bietet ein stetes Beispiel dafür, wie sich Gerechtigkeit und Freiheit trotz vereinter Anstrengungen der Könige, des Adels und des Klerus im Volke festsetzt. Im Jahre 1789 nach Christi Geburt wand sich das französische Volk, arm, unterdrückt und in Kasten zerteilt, in den dreifachen Fesseln des absoluten Königtums, der Tyrannei der Adligen und der Parlamente und der Unduldsamkeit der Kirche. Es gab das Recht des Bürgerlichen; es gab Vorrechte der Geburt, der Provinzen, der Gemeinden, der Korporationen und der Berufe; und der Grund von alledem war: Gewalt, Sittenlosigkeit und Elend. Schon seit einiger Zeit sprach man von Reform; diejenigen, die es offensichtlich am meisten wünschten, riefen nur danach, um etwas für sich zu gewinnen, und das Volk, das dabei alles gewinnen sollte, erwartete nicht viel davon und schwieg still. Lange Zeit zweifelte dieses arme Volk aus Mißtrauen, Unglauben oder Mutlosigkeit an seinen Rechten: es schien, als hätte die Gewohnheit, zu dienen, diesem alten, einst im Mittelalter so stolzen Volke den Mut geraubt.


Endlich erschien ein Buch, das seine Ergebnisse in den beiden Sätzen zusammenfaßte: Was ist der dritte Stand - Nichts. - Was sollte er sein? Alles. Jemand fügte als Kommentar hinzu: Was ist der König? - Er ist der Beauftragte des Volkes.


Das kam wie eine plötzliche Offenbarung über das Volk; ein ungeheurer Schleier zerriß, eine dichte Binde fiel von aller Augen. Und nun begann das Volk zu überlegen:
Wenn der König unser Beauftragter ist, muß er Rechenschaft ablegen;
"Wenn er Rechenschaft ablegen muß, ist er einer Aufsicht unterworfen;
Wenn er einer Aufsicht unterworfen ist, so ist er verantwortlich;
Wenn er verantwortlich ist, kann er bestraft werden;
Wenn er strafbar ist, so ist er es nach seinem Verdienste;
Wenn er nach seinem Verdienste bestraft werden kann, kann er zum Tode verurteilt werden.
Fünf Jahre nach der Veröffentlichung der Sieyes'schen Broschüre war der dritte Stand alles, der König, der Adel, die Geistlichkeit waren nichts mehr. Im Jahre 1793 führte das Volk, ohne Rücksicht auf die in der Verfassung enthaltene Fiktion der Unverletzbarkeit des Souveräns, Ludwig XVI. zum Schaffott; im Jahre 1830 geleitete es Karl X. nach Cherbourg. Wenn es sich im einen oder anderen Falle- in der Abschätzung des Verbrechens täuschte, so war dies tatsächlich ein Irrtum, aber in rechtlicher Beziehung ist die Logik, die es zum Handeln veranlaßte, nicht zu tadeln. Bestraft das Volk den Souverän, so tut es gerade das, was man der Juli-
regierung als Unterlassungssünde angeredinet hat im Hinblick auf die Komödie des Louis Bonaparte in Straßburg; es straft den wahrhaft Schuldigen. Das ist eine Anwendung des allgemeinen Rechts, eine feierliche Begriffsbestimmung der Gerechtigkeit in Strafsachen.


Der Geist, der die Bewegung von 1789 hervorrief, war ein Geist des Widerspruchs; demnach konnte auch die neue Gesellschaftsordnung, die an Stelle der alten trat, keine rechte Methode und Überlegung in sich bergen; als Produkt des Zornes und des Hasses konnte sie nicht als die Wirkung einer auf Beobachtung und Studium beruhenden Wissenschaft erscheinen; mit einem Wort: ihre Grundlagen entstammten nicht einer gründlichen Kenntnis der Natur- und Gesellschaftsgesetze. Daher findet man auch in den sogenannten neuen Institutionen, die die Republik sich schuf, dieselben Prinzipien, die man bekämpft hatte, und den Einfluß aller Vorurteile, die man ächten wollte. Mit einer - allerdings ziemlich unbedachten - Begeisterung spricht man von der ruhmvollen französischen Revolution, von der Wiedergeburt von 1789, von den großen Reformen, die man vorgenommen, von der Veränderung der Institutionen: - Lüge, nichts als Lüge.


Wenn sich über eine physische, geistige oder soziale Tatsache unsere Ideen auf Grund von Beobachtungen ganz und gar ändern, so nenne ich diese geistige Bewegung: Revolution. Tritt nur eine Erweiterung oder Veränderung unseres Ideenkreises ein, so ist dies ein Fortschritt. So war das System des Ptolemäus ein Fortschritt in der Astronomie, das des Kopernikus veranlaßte eine Revolution. Ebenso war das, was 1789 stattfand, Kampf und Fortschritt, aber keineswegs Revolution. Der Beweis dieser Behauptung folgt aus nachstehender Prüfung der damals versuchten Reformen.


Nachdem das Volk so lange das Opfer des monarchischen Egoismus gewesen war, glaubte es sich davon zu befreien, indem es sich allein für souverän erklärte. Aber was ist die Monarchie? Die Souveränität eines Menschen. Was ist die Demokratie? Die Souveränität eines Volkes oder, richtiger gesagt, der Mehrheit der Nation. Aber stets wird die Souveränität des Menschen an Stelle der Souveränität des Gesetzes gesetzt, die Souveränität der Willkür an Stelle der Souveränität der Vernunft, mit einem Worte: Die Leidenschaft an Stelle des Rechts. Gewiß ist es ein Fortschritt, wenn ein Volk seinen monarchischen Staat in einen demokratischen verwandelt, weil bei dieser Vervielfältigung des Souveräns mehr Gelegenheit und Aussicht vorhanden ist, die persönliche "Willkür durch die Vernunft zu ersetzen; aber schließlich, eine Revolution in der Regierung tritt nicht ein, denn das Prinzip ist ja dasselbe geblieben. Nun, wir haben heute den Beweis, daß man unter der vollkommensten Demokratie durchaus unfrei sein kann.


Aber das ist noch nicht alles: das souveräne Volk kann die Staatsgewalt nicht selbst ausüben; es muß sie Beamten übertragen, und dies wiederholen ihm immer wieder die Leute, die sich bei ihm einzuschmeicheln suchen. Mag die Zahl dieser Beamten nun 5, 10, 100 oder l 000 sein, was macht die Zahl und was der Name aus? Immer ist es die Regierung des Menschen, die Herrschaft der Willkür und des Beliebens. Nun möchte ich wissen: was hat denn die angebliche Revolution revolutioniert?


Man weiß übrigens zur Genüge, wie diese Souveränität zuerst durch den Konvent, dann durch das Direktorium ausgeübt wurde, bis sie dann der Konsul aufhob. Der Kaiser, der vom Volke so angebetet und so bedauert wurde, wollte nie von ihm abhängen; aber als wollte er es absichtlich wegen seiner Souveränität verhöhnen, wagte er es, von ihm die Abstimmung, d. h. seine Abdankung, die Aufgabe dieser unveräußerlichen Freiheit, zu fordern - und er erhielt sie.


Aber was ist überhaupt Souveränität? Es ist, sagt man, die Macht, Gesetze zu geben. Eine weitere, vom Despotismus übernommene Absurdität! Das Volk hatte gesehen, wie die Könige ihre Forderungen mit der Formel: denn so ist unser Belieben! motivierten; es wollte nun seinerseits auch einmal das Vergnügen genießen; Gesetze zu machen. Seit fünfzig Jahren hat es Myriaden erzeugt, immer, wohlverstanden, mit Hilfe von Volksvertretern. Der Spaß ist noch nicht zu Ende.


Die Definition der Souveränität schließlich leitet sich selbst von der Definition des Gesetzes ab. Das Gesetz definiert man als den Ausdruck des Willens des Souveräns: in der Monarchie also ist das Gesetz der Ausdruck des Willens des Königs, in der Republik der des Volkswillens. Abgesehen von der Verschiedenheit in der Zahl der Willen sind die beiden Systeme doch vollkommen gleich: auf der einen Seite wie auf der anderen findet sich derselbe Irrtum; wenn man behauptet, das Gesetz sei Ausdruck eines Willens, während es doch Ausdruck einer Tatsache ist. Doch man folgte guten Führern: man nahm den Bürger von Genf zum Propheten und den Contrat social zum Koran.


Vorurteil und vorgefaßte Meinung zeigen sich bei jedem Schritt in der Sprache neuer Gesetzgeber. Das Volk hatte unter einer Menge von Ausschließungen und Vorrechten gelitten; seine Repräsentanten gaben für es folgende Erklärung ab: Alle Menschen sind von Natur und vor dem Gesetze gleich; dies war eine zweideutige und zu wortreiche Erklärung. Die Menschen sind von Natur aus gleich, heißt das, sie haben dieselbe Figur, dieselbe Schönheit, dieselbe Begabung und dieselbe Tugend? Nein: nur die politische und bürgerliche Gleichheit wollte man damit bezeichnen. Also genügte es, zu sagen: Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich.


Aber was ist denn die Gleichheit vor dem Gesetz? Weder die Verfassung von 1790, noch die von 1793, noch die oktroyierte, noch die freiwillig angenommene Charta haben sie zu definieren gewußt. Alle setzen eine Ungleichheit des Vermögens und der Stellung voraus, bei der auch nur ein Schatten von der Gleichheit der Rechte zur Unmöglichkeit wird. Und so kann man sagen, daß alle unsere Konstitutionen der getreue Ausdruck des Volkswillens waren; ich will dafür nun den Beweis liefern.


Früher waren dem Volke die Zivil- und Militärämter verschlossen: man glaubte ein Wunder zu tun, als man in die "Erklärung der Rechte" jenen Artikel mit den tönenden Worten setzte: "Alle Bürger haben in gleicher Weise Zutritt zu den Ämtern; die freien Völker kennen bei ihren Wahlen keinen anderen Grund zum Vorzug als die Tugend und das Talent."


Sicherlich mußte man eine so schöne Sache bewundern; man bewunderte eine Dummheit. Wie? Das souveräne Volk, Gesetzgeber und Reformator, sieht in den öffentlichen Ämtern nur eine Belohnung, oder derb herausgesagt: eine Pfründe! Und weil es sie als Einkommensquelle betrachtet, deshalb haben alle Bürger Zutritt dazu! Denn wozu diese Vorsichtsmaßregeln, wenn es nichts zu gewinnen gab? Man denkt doch gar nicht daran, zu befehlen, keiner soll Lotse sein, der nicht Astronom oder Geograph sei, noch einem Stotterer zu verbieten, Tragödie oder Oper mitzuspielen. Das Volk äffte hier noch den König nach: wie er wollte es die einträglichsten Stellen an seine Freunde und Schmeichler vergeben; zum Unglück - und dieser letzte Zug läßt die Ähnlichkeit vollkommen werden -hält nicht das Volk die Liste der Wohltaten in seinen Händen, sondern seine Beauftragten und Repräsentanten. Daher hüten sie sich, dem Willen ihres gutmütigen Souveräns zu widersprechen.


Dieser erbauliche Artikel aus der Erklärung der Menschenrechte, den die Charten von 1814 und 1830 beibehielten, setzt doch mehrere Arten von bürgerlichen Ungleichheiten voraus, welche immer wieder Ungleichheiten vor dem Gesetz sind: Ungleichheit des Ranges, da die öffentlichen Ämter nur wegen des Ansehens und ihres Nutzens erstrebt werden; Ungleichheit des Vermögens, denn hätte man Gleichheit des Vermögens gewollt, so wären die öffentlichen Ämter Pflichten gewesen, nicht Belohnungen; Ungleichheit der Gunst, denn das Gesetz sagt nicht, was es unter Talent und Tugend versteht. Unter dem Kaiserreiche bestanden Tugend und Talent ausschließlich aus soldatischer Tapferkeit und Ergebenheit für den Kaiser: dies zeigte sich, als Napoleon seinen neuen Adel schuf und ihn mit dem alten zu verschmelzen suchte. Heute ist ein Mensch, der 200 Franken Steuern zahlt, tugendhaft: der brave Mann ist ein ehrenwerter Beutelschneider; das sind jetzt abgedroschene Wahrheiten.


Das Volk heiligte zuletzt noch das Eigentum . . . Gott möge ihm verzeihen, denn es wußte nicht, was es tat. Nun büßt es fünfzig Jahre schon für eine elende Zweideutigkeit. Aber wie hat sich das Volk, dessen Stimme Gottes Stimme sein und dessen Gewissen niemals irren soll, wie hat es sich getäuscht. Wie konnte es auf seiner Suche nach Freiheit und Gleichheit in die alte Zeit der Privilegien und Knechtschaft zurückfallen? Immer in Nachahmung des Ancien


Früher trugen der Adel und der Klerus nichts zu den Staatslasten, höchstens einmal in Form von freiwilligen Leistungen oder Geschenken, bei; ihre Güter waren selbst bei Verschuldung unantastbar: während der Bürger, erdrückt von Bürgersteuer und Frondienst, bald durch die Einnehmer des Königs, bald durch die der Adligen und der Geistlichen gequält wurde. Der dem Recht der toten Hand Unterworfene wurde wie eine Sache behandelt, er konnte weder Zeugnis ablegen, noch Erbe werden; es ging ihm wie Tieren, deren Dienste und Nachwuchs dem Herren kraft des Zuwachsrechtes gehören. Das Volk wollte das Eigentumsrecht für alle gleichmachen; ein jeder sollte frei seine Güter, seine Einkünfte, den Ertrag seiner Arbeit und seiner Erwerbstätigkeit genießen können. Das Volk erfand nicht das Eigentumsrecht; aber da es ihm nicht denselben Rechtstitel gewährte wie den Adligen und den Pfaffen, verordnete es die Gleichheit dieses Rechtes. Die harten Formen des Eigentums, Fron, Recht der toten Hand, Herrenrecht, Ausschließung von Ämtern, sind verschwunden; die Art seines Genusses ist abgeändert worden: im Grunde genommen ist aber die Sache dieselbe geblieben. Ein Fortschritt in der Zuerkennung des Rechts hat stattgefunden, aber keine Revolution.


Betrachten wir die drei grundlegenden Prinzipien des modernen Staates, wie sie die Bewegung von 1789 und 1830 nacheinander geheiligt haben: 1. Souveränität der menschlichen Willkür; und einfach ausgedrückt, Despotismus; 2. Ungleichheit des Vermögens und des Ranges; 3. Eigentum; über diesen allen steht die Gerechtigkeit, die alle stets als Schutzgeist der Souveräne, der Herren und der Eigentümer anrufen; sie ist das erste allgemeine kategorische Gesetz jeder Gesellschaft.


Es handelt sich darum, festzustellen, ob die Begriffe Despotismus, bürgerliche Ungleichheit und Eigentum dem ursprünglichsten Begriffe des Gerechten entsprechen, ob sie eine notwendige Folgerung daraus sind, die sich in der verschiedensten Weise je nach Zeit, Ort und Verhältnis der Personen äußert, oder ob sie nicht vielmehr das illegitime Produkt einer Vermengung verschiedener Dinge und einer verhängnisvollen Ideenverbindung sind. Und da die Gerechtigkeit sich hauptsächlich in der Regierung, in der Gesellschaft der Menschen und im Güterbesitz äußert, muß man gemäß der Übereinstimmung aller Menschen und dem Fortschritt des Menschengeistes untersuchen, unter welchen Bedingungen Regierung, Stellung der Bürger und Güterbesitz gerecht sind; nach Entfernung von allem, was nicht diese Bedingungen erfüllt, wird man zu dem Ergebnis kommen, welche Regierung, welche Stellung der Bürger und welcher Güterbesitz gerecht, oder zusammenfassend: was Gerechtigkeit ist.


Ist die Herrschaft des Menschen über den Menschen gerecht? Jeder wird antworten: Nein; über den Menschen herrschen darf nur das Gesetz, das Gerechtigkeit und Wahrheit sein soll. Die private Willkür gilt nichts bei der Regierung, deren Aufgabe es ist, einmal zu erkennen, was wahr und gerecht ist, um danach das Gesetz zu machen, und dann, die Ausführung dieses Gesetzes zu überwachen. -Ich untersuche jetzt nicht, ob unsere konstitutionelle Regierungsform diese Bedingung erfüllt, ob beispielsweise niemals die Willkür der Minister in die Erklärung und Auslegung des Gesetzes eingreift, ob unsere Abgeordneten in ihren Debatten mehr daran denken, durch die Vernunft als durch die Zahl zu siegen: es genügt mir, daß die anerkannte Idee von einer guten Regierung so ist, wie ich sie definiere. Diese Idee ist genau; dennoch sehen wir, daß den Völkern des Orients der Despotismus ihrer Souveräne ganz gerecht erscheint; daß die Alten und selbst ihre Philosophen die Sklaverei für gerecht hielten; daß im Mittelalter die Adligen, Äbte und Bischöfe es für gerecht hielten, Leibeigene zu haben; daß Ludwig XIV. im Recht zu sein glaubte, als er den Ausspruch tat: L'Etat c'est moi; daß Napoleon jeden Ungehorsam gegen seinen Willen als Staatsverbrechen betrachtete. Die Idee der Gerechtigkeit ist also in ihrer Anwendung auf Souveränität und Regierung nicht immer dieselbe gewesen wie heute; sie hat sich unaufhörlich entwickelt und wurde immer genauer bestimmt, bis sie endlich auf dem Punkt angekommen ist, wo wir sie erblicken. Aber ist sie in ihrer letzten Entwicklungsphase angelangt? Ich glaube es nicht: nur ein letztes Hindernis hat sie noch zu besiegen, um die Reform in der Regierung und die Revolution zu vollenden, und dies ist einzig das Eigentumsrecht, welches wir beibehalten haben. Dieses Recht müssen wir daher angreifen.


Ist die politische und bürgerliche Ungleichheit gerecht?


Die einen antworten: ja; die anderen: nein. Die ersten möchte ich daran erinnern, daß, als das Volk alle Vorrechte der Geburt und des Standes abschaffte, dies ihnen gut schien, weil sie daraus Nutzen zogen; warum also sollen nicht die Vorrechte des Vermögens verschwinden wie die des Ranges und des Geschlechts? Deshalb, sagen sie, weil die politische Ungleichheit mit dem Eigentum fest verbunden ist und weil ohne diese kein Staat möglich wäre. So also läuft die Frage, die wir eben gestellt haben, auf die nach dem Eigentum hinaus. - Gegenüber den anderen begnüge ich mich mit dieser Bemerkung: Wenn Ihr politische Gleichheit haben wollt, schafft das Eigentum ab, wenn nicht, worüber beklagt Ihr Euch denn?


Ist das Eigentum gerecht?


Jedermann antwortet ohne Zögern: Ja, das Eigentum ist gerecht. Ich sage jedermann; denn niemand scheint mir bis jetzt mit vollem Bewußtsein: Nein! geantwortet zu haben. Daher ist auch eine begründete Antwort keine leichte Sache: Die Zeit allein und die Erfahrung konnten die Lösung der Frage herbeiführen. Gegenwärtig ist die "Lösung gegeben; wir brauchen sie nur zu vernehmen. Ich will sie zu entwickeln versuchen.


Und zwar wollen wir dabei auf folgende Art vorgehen.

I. Wir bestreiten nichts; wir widerlegen niemanden, wir leugnen nichts; wir nehmen alle zugunsten des Eigentums vorgebrachten Gründe hin und beschränken uns nur darauf, ihr Prinzip zu suchen, um nachher zu beurteilen, ob das Eigentum dieses Prinzip getreu wiedergegeben hat. Man kann zwar das Eigentum nicht mehr als gerecht verteidigen, aber die Idee oder wenigstens die Absicht der Gerechtigkeit muß sich doch notwendigerweise im Kern aller Argumente, die man zugunsten des Eigentums vorbringt, finden und -da das Eigentum sich nur auf Dinge von materiellem Wert erstreckt - muß die Gerechtigkeit, die sich selbst objektiviert, in einer ganz mathematischen Formel erscheinen. Bei diesem Verfahren werden wir bald sehen, daß alle Gründe, die man zur Verteidigung des Eigentums beigebracht hat, unterschiedslos stets und notwendig zur Gleichheit, d. h. zur Negation des Eigentums, führen.


Dieser erste Teil umfaßt zwei Kapitel: Das erste behandelt die Okkupation, die Grundfrage unseres Rechtes; das zweite betrachtet die Arbeit und das Talent als die Ursachen des Eigentums und der sozialen Ungleichheit.


Die Schlußfolgerung aus diesen beiden Kapiteln wird sein, daß das Eigentum durch das Recht der Okkupation verhindert und durch das Recht der Arbeit zerstört wird.


II. Da also das Eigentum mit Notwendigkeit unter der Vernunftskategorie der Gleichheit begriffen wird, haben wir zu untersuchen, warum trotz dieser logischen Notwendigkeit die Gleichheit nicht existiert. Diese neue Untersuchung umfaßt ebenfalls zwei Kapitel; in dem ersten betrachten wir die Tatsache des Eigentums an sich, wir untersuchen, ob diese Tatsache wahr ist, ob sie existiert und ob sie möglich ist; denn es wäre ein Widerspruch, sollten zwei entgegengesetzte Gesellschaftsformen, die Gleichheit und die Ungleichheit, nebeneinander möglich sein. Hier entdecken wir seltsamerweise, daß sich das Eigentum in Wirklichkeit als Zufall kundtun kann, aber daß es als Institution und Prinzip mathematisch unmöglich ist. Das Axiom der Schule: ad actu ad posse valet consecutio, von der Tatsache auf ihre Möglichkeit ist ein guter Schluß, findet daher seine Widerlegung bei der Anwendung auf das Eigentum.


Im letzten Kapitel endlich werden wir die Psychologie zu Hilfe nehmen, gründlich in die menschliche Natur eindringen und das Prinzip, die Formel und das Kennzeichen des Gerechten auseinandersetzen; wir werden das organische Gesetz der Gesellschaft aufstellen, wir werden den Ursprung des Eigentums erklären, die Ursachen seiner Einführung, seiner langen Dauer und seines baldigen Versdiwindens; wir werden endgültig seine Identität mit dem Diebstahl festlegen; und, nachdem wir gezeigt, daß diese drei Vorurteile, Souveränität des Menschen, Ungleichheit und Eigentum, nur eins sind, daß man eins für das andere setzen und sie so beliebig vertauschen kann, wird es uns leichtfallen, daraus mit Hilfe des Prinzips des Widerspruchs die Grundlage der Regierung und des Rechtes abzuleiten. Dort wird unsere Untersuchung schließen, und wir behalten uns vor, dieselbe in weiteren Denkschriften fortzuführen.


Die Wichtigkeit unseres Gegenstandes beschäftigt alle Köpfe.


"Das Eigentum", sagt Hennequin, "ist das schöpferische und erhaltende Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft ... Das Eigentum ist eine der Grundthesen, über die sich alle angeblich neuen Erklärungen nicht früh genug vernehmen lassen können; denn man darf es nie vergessen, und davon können die Publizisten und Staatsmänner überzeugt sein: es gilt die Frage, ob das Eigentum der Grund oder das Ergebnis der Gesellschaftsordnung ist, ob es als Ursache derselben oder als ihre Wirkung zu betrachten ist; denn dies bedingt die ganze Moral und somit auch die ganze Autorität der menschlichen Institutionen."


Diese Worte sind eine Herausforderung an alle hoffenden und gläubigen Menschen; aber so schön die Sache der Gleichheit auch sein mag, so hat noch niemand den Fehdehandschuh aufgehoben, den die Anwälte des Eigentums hingeworfen, niemand hat den Mut gehabt, den Kampf aufzunehmen. Das falsche Wissen einer hochmütigen Jurisprudenz und die törichten Aphorismen einer aus dem Eigentum entstandenen Volkswirtschaftslehre haben die intelligentesten und edelsten Köpfe verwirrt; es ist eine Art Ordnungsruf unter den einflußreichsten Freunden der Freiheit und des Volkes geworden, zu sagen, die Gleichheit sei ein Hirngespinst. Solche Herrschaft üben die falschesten Theorien und die nichtigsten Analogieschlüsse über sonst so treffliche Geister aus, die sich wider ihren Willen unter das allgemeine Vorurteil beugen müssen. Die Gleichheit, die Tochter der aequitas, steht vor der Tür; wollen wir, Soldaten der Freiheit, unsere Fahne bei Anbruch des Triumphes im Stich lassen?


Als Verteidiger der Gleichheit werde ich ohne Haß und ohne Zorn sprechen, mit der Unabhängigkeit des Philosophen und der Ruhe und Festigkeit des freien Mannes. Könnte ich doch in diesem glänzenden Kampfe in alle Herzen das Licht tragen, das mich durchdrungen, und durch den Erfolg meiner Rede zeigen, daß die Gleichheit nicht mit dem Schwert siegen konnte, sondern durch das Wort siegen sollte!


ZWEITES KAPITEL


Über das Eigentum als Naturrecht - Über Okkupation und bürgerlichen Besitz als ursächliche Begründungen


Das römische Recht definiert das Eigentum als: jus utendi et abutendi re sua, quatenus Juris ratio patitur, als das Recht, seine Sache zu gebrauchen und zu mißbrauchen, soweit es der Sinn des Rechtes zuläßt. Man hat das Wort mißbrauchen zu rechtfertigen gesucht, indem man sagte, daß es nicht den unsinnigen und unmoralischen Mißbrauch ausdrücke, sondern nur die unumschränkte Verfügungsmacht. Das ist aber eine unnütze Unterscheidung, die nur zur Heiligung des Eigentums ausgedacht ist und seinen Wahnsinnsgenuß weder verbirgt noch ihn unterdrückt. Der Eigentümer kann seine Früchte am Stengel verfaulen lassen, Salz in seinen Boden säen, seine Kühe auf den Sand melken, einen Weinberg in eine Wüste verwandeln und aus einem Park einen Gemüsegarten machen, ganz wie es ihm beliebt. Ist dies alles Mißbrauch, ja oder nein? Beim Eigentum decken sich Gebrauch und Mißbrauch vollständig.


Nach der Erklärung der Rechte der Verfassung von 1793 ist das Eigentum "das Recht, sein Vermögen, seine Einkünfte, den Ertrag seiner Arbeit und Erwerbstätigkeit zu genießen und nach Belieben darüber zu verfügen",
Code Napoleon, Art. 544: "Das Eigentum ist das Recht, seine Sache völlig uneingeschränkt zu gebrauchen und über sie zu verfügen, vorausgesetzt, daß man davon keinen durch Gesetze und Verordnungen verbotenen Gebrauch macht."


Diese beiden Definitionen kommen auf die des römischen Rechtes zurück: alle erkennen ein unbeschränktes Recht des Eigentümers über die Sache an, und was die im Code bemerkte Einschränkung betrifft, vorausgesetzt, daß man keinen durch Gesetze und Verordnungen verbotenen Gebrauch macht, so will sie nicht das Eigentum eingrenzen, sondern nur verhindern, daß das Eigentum des einen ein Hindernis für das des Nachbars werde: das ist also nur eine Bestätigung, nicht eine Beschränkung des Prinzips.


Man unterscheidet im Eigentum: 1. das reine und einfache Eigentum, das Herrschafts-, das Herrenrecht über die Sache, oder, wie man sagt: das nackte Eigentum; 2. das Besitzrecht. "Der Besitz", sagt Duranton, "ist eine Tatsache und kein Recht." Toullier: "Das Eigentum ist ein Recht, eine vom Gesetz eingeräumte Befugnis; der Besitz ist eine Tatsache." Der Mieter, Pächter, Kommanditist, Nießbraucher sind Besitzer; der Vermieter, Darlehensgeber, Erbe, der nur auf den Tod eines Nießbrauchers wartet, um genießen zu können, sind Eigentümer. Wenn ich diesen Vergleich wagen darf: so ist der Liebhaber Besitzer und der Ehemann Eigentümer.


Diese doppelte Definition des Eigentums als Herrschaft und als Besitz ist äußerst wichtig; und es ist für das Verständnis des Folgenden unbedingt notwendig, sie ganz und gar zu erfassen.


Aus der Unterscheidung von Besitz und Eigentum sind zwei Arten von Rechten entstanden: das jus in re, das Recht an der Sache, wodurch ich mein einmal erworbenes Eigentum von jedem, bei dem ich es finde, zurückverlangen kann; und das jus ad rem, Recht auf die Sache, auf Grund dessen ich Eigentümer zu werden fordere. So ist das gegenseitige Recht der Ehegatten auf die Person des anderen ein jus in re, das der Verlobten erst ein jus ad rem. In dem ersten sind Besitz und Eigentum vereinigt, das zweite schließt nur das nackte Eigentum in sich ein. Als Arbeiter habe ich ein Recht auf den Besitz der Güter der Natur und der Industrie, als Proletarier genieße ich nichts; um meines jus ad rem willen verlange ich also, in das jus in re wieder eingesetzt zu werden.


Diese Unterscheidung in jus in re und jus ad rem ist die Grundlage der berühmten Einteilung in possessorium und petitorium, den wirklichen Kategorien der Rechtswissenschaft, die sie in ihrem ganzen Umfang umfassen. Petitorium sagt man von allem, was sich auf das Eigentum bezieht, Possessorium geht auf den Besitz. Indem ich dieses Werk gegen das Eigentum schreibe, erhebe ich gegen die ganze bürgerliche Gesellschaft eine petitorische Klage; ich beweise, daß die Nichtbesitzenden heute mit demselben Recht wie die Besitzenden Eigentümer sind; aber statt daraus zu schließen, daß das Eigentum unter alle aufgeteilt werden müsse, fordere ich, daß es um der allgemeinen Sicherheit willen für alle aufgehoben werde. Unterliege ich mit meiner Klage, so bleibt uns, Euch Proletariern insgesamt wie mir, nichts anderes übrig, als uns die Gurgel abzuschneiden: wir haben nichts mehr von dem Rechtswesen der Nationen zu erwarten; denn wie in ihrem energischen Stil die Prozeßordnung sagt, Artikel 26: Der Kläger, der im Petitorium abgewiesen worden ist, kann im Possessorium nicht mehr klagen. Gewinne ich hingegen meinen Prozeß, so müssen wir eine possessorische Klage anstrengen, um dadurch die Wiedereinsetzung in den Genuß unserer Güter zu erlangen, die die Herrschaft des Eigentums uns genommen hat. Ich hoffe, daß wir nicht so weit gehen müssen; aber diese beiden Klagen können wir nicht nebeneinander führen, weil, wiederum nach der Prozeßordnung, Possessorium und Petitorium niemals miteinander verbunden werden können

.
Vor Eintritt in die eigentliche Behandlung der Sache werden wir zweckmäßig einige Vorfragen näher betrachten.


§ l Über das Eigentum als Naturrecht

Die Erklärung der Rechte hat das Eigentum zu den natürlichen und unverjährbaren Menschenrechten gerechnet, deren es bekanntlich vier gibt: Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Sicherheit. Nach welcher Methode haben die Gesetzgeber von 1793 diese Aufzählung vorgenommen? Nach keiner; sie haben Prinzipien aufgestellt, als sie die Souveränität und die Gesetze allgemein und entsprechend : ihrer Meinung erörterten. Alles ist bei ihnen aufs Ungewisse oder . im ersten Ansturm vor sich gegangen.


Toullier führt die absoluten Rechte auf drei zurück : Sicherheit, , Freiheit, Eigentum. Warum ließ der Professor von Rennes die Gleichheit fort? Etwa, weil die Freiheit sie in sich begreift oder weil das Eigentum sie nicht duldet? Der Verfasser des Droit civil expliqué schweigt: er vermutete wohl nicht einmal, daß dies Grund für eine Diskussion wäre.


Vergleicht man nun aber diese drei oder vier Rechte miteinander, so findet man, daß das Eigentum keineswegs den anderen gleicht; daß es für den größeren Teil der Staatsbürger nur als Möglichkeit existiert, als ruhende und unausgeübte Fähigkeit; daß es bei den anderen, die es genießen, gewisse Veränderungen und Abänderungen erfahren kann, die dem Begriffe des Naturrechts durchaus widerstreben, daß im praktischen Leben die Regierungen, Gerichtshöfe und Gesetze es nicht anerkennen und daß endlich alle Welt es spontan und einstimmig als Trugbild betrachtet.


Die Freiheit ist unverletzlich. Ich kann meine Freiheit weder verkaufen noch veräußern; jeder Vertrag, jede vertragliche Bestimmung, deren Gegenstand die Veräußerung oder Aufhebung der Freiheit ist, ist null und nichtig; der Sklave, der ein freies Land betritt, ist im selben Augenblicke frei. Wenn die Gesellschaft einen Missetäter ergreift und ihn seiner Freiheit beraubt, so ist dies ein Akt legitimer Verteidigung: wer den Sozialpakt durch ein Verbrechen bricht, erklärt sich damit zum Staatsfeind; dadurch, daß er die Freiheit anderer angreift, veranlaßt er dieselben, ihm die seine zu nehmen. Die Freiheit ist die Urbedingung menschlichen Seins: der Freiheit entsagen, hieße seiner Eigenschaft als Mensch entsagen: wie könnte man nachher noch als Mensch handeln?


Ebenso erleidet auch die Gleichheit vor dem Gesetze keine Beschränkungen und Ausnahmen. Alle Franzosen haben gleichen Zutritt zu Ämtern; daher entscheidet auch bei völliger Gleichheit sehr oft das Los oder das Dienstalter. Der ärmste Bürger kann die höchstgestellteste Persönlichkeit vor Gericht laden und Recht erhalten. Ein Achab, der Millionen besitzt, kann immerhin ein Schloß auf Naboths Weinberg erbauen, das Gericht kann doch, je nach dem Fall, die Zerstörung dieses Schlosses anordnen, und hätte es auch Millionen gekostet; es kann den Weinberg in seinen früheren Zustand zurückversetzen lassen und den Usurpator darüber hinaus noch zum Schadensersatz verurteilen. Das Gesetz will, daß jedes legitim erworbene Eigentum ohne Rücksicht auf den Wert und ohne Ansehen der Person heiliggehalten werde.


Die Verfassung verlangt nun zur Ausübung gewisser politischer Rechte gewisse Voraussetzungen hinsichtlich Vermögen und Fähigkeit; aber der Gesetzgeber beabsichtigte nicht, wie alle Publizisten wissen, ein Privileg zu schaffen, sondern er wollte nur Garantien aufstellen. Sind die vom Gesetz aufgestellten Bedingungen erfüllt, so kann jeder Bürger Wähler, jeder Wähler Deputierter werden; das einmal erworbene Recht ist für alle dasselbe; das Gesetz macht keinen Unterschied zwischen Personen und Stimmen. Ich prüfe augenblicklich nicht, ob dies System das beste ist; es genügt mir, daß nach dem Geiste der Verfassung und in der ganzen Welt die Gleichheit vor dem Gesetz eine absolute ist und über sie, wie über die Freiheit, kein Vertrag abgeschlossen werden kann.


Ebenso verhält es sich mit dem Recht auf Sicherheit. Die Gesellschaft verspricht ihren Mitgliedern nicht halben Schutz, eine QuasiVerteidigung; sie verpflichtet sich ihnen gegenüber ganz, so wie diese auch ihr gegenüber verpflichtet sind. Sie sagt nicht: Ich garantiere Euch, wenn es nichts kostet, ich gewähre Euch meinen Schutz, wenn ich keine Gefahr laufe. Sie sagt vielmehr: Ich werde Euch gegen jedermann verteidigen, ich werde Euch retten und rächen oder selbst zugrunde gehen. Der Staat stellt seine ganze Macht in den Dienst jedes Staatsbürgers; die Verpflichtung beider gegeneinander ist absolut.


"Welch ein Unterschied beim Eigentum! Von allen angebetet, wird es doch von niemandem anerkannt: Gesetz, Sitte, Gewohnheit, öffentliches und Privatgewissen, alles hat sich zu seinem Tod und Untergang verschworen.
Um die Ausgaben der Regierung zu bestreiten, der die Unterhaltung der Armee, die Ausführung von Arbeiten und die Besoldung von Beamten obliegt, muß man Steuern zahlen. Daß jedermann zu diesen Steuern beitragen soll, ist ganz in der Ordnung; aber warum soll der Reiche mehr bezahlen als der Arme? - Das ist gerecht, sagt man, weil er mehr besitzt. - Ich muß gestehen, daß ich diese Gerechtigkeit nicht begreifen kann.


Warum zahlt man Steuern? Um jedermann die Ausübung seiner natürlichen Rechte: Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und Eigentum zu sichern; um die Ordnung im Staate aufrecht zu erhalten; um Gegenstände von allgemeinem Nutzen und Vergnügen zu schaffen.


Kostet nun die Verteidigung von Leben und Freiheit beim Reichen mehr als beim Armen? Wer ist bei Invasion, bei Hungersnot oder Pest lästiger, der reiche Eigentümer, der der Gefahr entflieht, ohne die Hilfe des Staates abzuwarten oder der Arbeiter, der in seiner Hütte allen Plagen überlassen bleibt?


Wird die öffentliche Ordnung stärker durch den guten Bürgergeist als durch den Handwerker und Gesellen bedroht? Der Polizei machen doch einige hundert Arbeitslose mehr zu schaffen als zwei-hunderttausend Wahlberechtigte.


Hat endlich der reiche Rentier mehr von den Nationalfesten, der Sauberkeit der Straßen, der Schönheit der Monumente als der Arme? ... Nein, er zieht vielmehr sein Landgut allen Volksbelustigungen vor und er wartet nicht auf die Kletterstangen bei den Volksfesten, um sich zu amüsieren.

Es gibt nur die Alternative: Die Verhältnissteuer garantiert und heiligt entweder ein Privileg zugunsten der Hochbesteuerten, oder sie ist selbst eine schwere Ungerechtigkeit. Denn wenn das Eigentum selbst ein Naturrecht ist, wie es die Erklärung von 1793 will, so ist alles, was mir vermöge dieses Rechtes gehört, ebenso geheiligt wie meine Person; es ist mein Blut, mein Leben, mein Ich; wer es verletzt, rührt damit an meine größte Kostbarkeit. Meine Einkünfte von 100 000 Franken sind ebenso unverletzlich wie der Taglohn der Grisette von 75 Centimes, meine Wohnung so wie ihre Dachkammer. Die Steuer wird nicht entsprechend der Kraft, der Körpergröße oder dem Talent erhoben: ebensowenig kann sie entsprechend dem Eigentum erhoben werden.


"Wenn mir also der Staat mehr nimmt, so muß er mir mehr geben, oder er darf mir nicht mehr von Gleichheit der Rechte reden; denn sonst ist die Gesellschaft nicht mehr zur Verteidigung, sondern zur Vernichtung des Eigentums organisiert. Der Staat wird durch die Verhältnissteuer zum Räuberhauptmann; er gibt das Zeichen zur Plünderung in regelmäßigen Abständen; ihn muß man auf die Anklagebank bringen, vor jenen scheußlichen Räubern und jener verfluchten Kanaille, die er aus Konkurrenzneid ermorden läßt.


Aber, so sagt man, gerade um diese Kanaille im Zaume zu halten, braucht man Gerichte und Soldaten: Der Staat ist eine Gesellschaft, zwar nicht gerade eine Versicherungsgesellschaft, denn er sichert nichts, sondern eine Gesellschaft der Rache und Vergeltung. Das Recht, für das diese Gesellschaft Steuern erhebt, entspricht dem Eigentumsanteil, d. h. den Strafen, die jeder Eigentumsanteil den von der Regierung bezahlten Rächern und Vergeltern gibt.


Wir haben uns damit aber sehr weit von dem absoluten und unveräußerlichen Eigentumsrecht entfernt. Deswegen also mißtrauen sich arm und reich und leben im Kriegszustand! Aber warum bekämpfen sie sich? Um des Eigentums willen; somit folgt zwingend aus dem Eigentum als Gegensatz der Krieg gegen das Eigentum!... Die Freiheit und Sicherheit des Reichen leiden nicht durch die Freiheit und Sicherheit des Armen: sie können sich im Gegenteil gegenseitig stärken und stützen: Das Eigentumsrecht des einen muß aber unablässig gegen den Eigentumsinstinkt des anderen verteidigt werden. Welch ein Widerspruch!


In England gibt es eine Armentaxe: man verlangt von mir, ich solle sie entrichten. Aber welche Beziehungen bestehen denn zwischen meinem natürlichen und unverjährbaren Eigentumsrecht und dem Hunger, der zehn Millionen Arme quält? Wenn die Religion uns befiehlt, unseren Brüdern zu helfen, so stellt sie damit eine Regel der Barmherzigkeit auf und kein Prinzip der Gesetzgebung. Die Pflicht zur Barmherzigkeit, die mir die christliche Moral auferlegt, kann kein politisches Recht zugunsten von irgend jemandem gegen mich begründen, noch weniger eine Institution des Betteins. Wenn es mir Vergnügen bereitet, wenn ich für die Leiden anderer jenes Mitleid empfinde, von dem die Philosophen reden und an das ich nicht einmal glaube, so kann ich ein Almosen geben, aber ich will mich nicht dazu zwingen lassen. Keiner ist verpflichtet, gerechter zu sein, als es folgende Maxime angibt, die der Begriff der Freiheit selbst ist: Sein Recht so weit zu genießen, als es dem Rechte eines anderen nicht schadet. Mein Vermögen gehört nur mir, es schuldet niemandem etwas; ich verwahre mich dagegen, daß die dritte theologische Tugend auf die Tagesordnung gesetzt wird.


Jedermann in Frankreich verlangt die Umwandlung der fünf-prozentigen Rente; man verlangt damit ein Opfer von einer ganzen Klasse von Eigentümern. Man ist dazu berechtigt, wenn es die öffentliche Not erheischt; aber wo ist die gerechte, vorausbezahlte Entschädigung, die die Verfassung verspricht? Es gibt gar keine, ja sie ist nicht einmal möglich: denn wenn die Entschädigung ebenso groß ist wie das aufgeopferte Eigentum, so ist die Umwandlung unnütz.


Der Staat befindet sich heute den Rentiers gegenüber in derselben Lage wie die Stadt Calais ihren Honoratioren, als sie von Eduard III. belagert wurde. Der siegreiche Engländer versprach, die Einwohner zu schonen, wenn sie ihm die vornehmsten Bürger auf Gnade und Ungnade auslieferten. Eustach und einige andere opferten sich auf; das war schön von ihnen, und unsere Minister sollten dies Beispiel den Rentiers zur Nachahmung vorschlagen. Aber hätte die Stadt das Recht gehabt, sie auszuliefern? Sicherlich nicht. Das Recht der Sicherheit ist absolut, das Vaterland kann von niemandem seine Aufopferung verlangen. Der Soldat, der auf Schußweite vom Feinde entfernt Posten steht, bildet keine Ausnahme von diesem Prinzip; wo ein Staatsbürger auf Posten steht, ist das Vaterland mit ihm der Gefahr ausgesetzt: heute ist dieser, morgen jener an der Reihe; ist Gefahr und Aufopferung vereint, so ist die Flucht Frevel. Niemand hat das Recht, sich der Gefahr zu entziehen, niemand kann als Sündenbock dienen: der Ausspruch des Kaiphas:Es ist gut, daß ein Mensch für das ganze Volk sterbe, ist die Maxime der Pöbel- und Tyrannenherrschaft, der beiden Extreme sozialen Niedergangs.


Man sagt, daß jede ewige Rente ihrem Wesen nach wiederkäuflich sei. Dieser Satz des Zivilrechts ist, auf den Staat angewendet, gut für Leute, die zur natürlichen Gleichheit der Arbeit und des Vermögens zurückkehren wollen; aber vom Standpunkte des Eigentums aus und im Munde von Conversionisten ist dies die Sprache von Bankrotteurs. Der Staat ist nicht nur Geldleiher, er ist auch Versicherer und Wächter des Eigentums; und da er als solcher die größtmögliche Sicherheit bietet, kann man bei ihm auf den sichersten und unverletzlichsten Genuß rechnen. Wie könnte er also seinen Gläubigern die Hände binden, die ihm Vertrauen schenken, und ihnen dann noch von öffentlicher Ordnung und Eigentumsgarantie reden? Bei einer derartigen Unternehmung ist der Staat nicht ein Schuldner, der sich befreit; er ist ein Aktienunternehmer, der Aktionäre in ein hinterlistiges Unternehmen hineinzieht und sie dann gegen sein ausdrückliches Versprechen zwingt, zwanzig, dreißig oder vierzig Prozent Verzinsung von ihrem Kapital zu verlieren.


Aber das ist noch nicht alles. Der Staat ist auch die Gesamtheit der Bürger, die sich durch einen gesellschaftlichen Akt unter einem gemeinsamen Gesetze vereinigt haben: dieser Akt garantiert jedem sein Eigentum, dem einen sein Feld, dem anderen seinen Weinberg, dem dritten seine Landgüter, dem Rentier, der auch Immobilien hätte kaufen können, der aber lieber dem Staatsschatz beispringen wollte, seine Renten. Ohne eine gerechte Entschädigung kann der Staat nicht die Aufopferung eines Morgen Landes, der Ecke eines Weinbergs und noch weniger die Herabsetzung des Pachtpreises verlangen; wie hätte er aber das Recht, die Rentenzinsen herabzusetzen? Sollte dies Recht keine Ungerechtigkeit enthalten, so müßte der Rentier anderswo seine Kapitalien gleich vorteilhaft anlegen können; aber wo könnte er dies, da er den Staat nicht verlassen kann, und da der Grund zur Umwandlung, d. h. zur Möglichkeit, Geld zu weniger Zinsen auszuborgen, im Staate selbst liegt? Deshalb kann ein Staat, der auf dem Prinzip des Eigentums aufgebaut ist, niemals ohne den Willen der Rentiers Renten zurückkaufen: das im Staat angelegte Vermögen ist ein Eigentum, das niemand anrühren darf, während die übrigen Vermögen respektiert werden; die Rückzahlung zu erzwingen, heißt bezüglich der Rentiers, den Sozialpakt umstoßen und sie außerhalb des Gesetzes stellen.


Der ganze Streit über die Umwandlung der Renten kommt auf das hinaus:


Frage: Ist es geredit, fünfundvierzigtausend Familien mit 100 Franken oder weniger Rente ins Elend zu bringen?


Antwort: Ist es gerecht, fünf Franken Steuern von 7 oder 8 Millionen Steuerpflichtigen zu verlangen, während sie nur drei zahlen können?


Zunächst ist es klar, daß diese Antwort keine Antwort auf die Frage ist; aber um den Fehler noch deutlicher hervortreten zu lassen, forme man sie nur in folgende um: Ist es gerecht, das Leben von hunderttausend Menschen aufs Spiel zu setzen, während man sie durch Auslieferung von hundert Köpfen an den Feind retten kann? Entscheide du, Leser.


Dies alles empfinden die Verteidiger des Status quo wohl, und doch wird sich früher oder später diese Umwandlung vollziehen, und das Eigentum wird verletzt werden, weil es anders nicht möglich ist; weil das Eigentum, das als Recht betrachtet wird, das aber kein Recht ist, durch das Recht zugrunde gehen muß; weil die Macht der Dinge, das Gebot des Gewissens und die physische und mathematische Notwendigkeit diese Illusion unserer juristischen Fakultät schließlich vernichten müssen.


Ich fasse zusammen: Die Freiheit ist ein absolutes Recht, weil sie für den Menschen wie die Unerforschlichkeit für die Materie eine conditio sine qua non der Existenz ist; die Gleichheit ist ein absolutes Recht, weil es ohne Gleichheit keine Gesellschaft gibt; die Sicherheit ist ein absolutes Recht, weil in den Augen eines jeden Menschen seine Freiheit und sein Leben ebenso kostbar wie die eines ändern sind: diese drei Rechte sind absolut, d. h. sie können weder vermehrt noch vermindert werden, weil in der Gesellschaft jedes Mitglied so viel empfängt, als es gibt; Freiheit für Freiheit, Gleichheit für Gleichheit, Sicherheit für Sicherheit, Körper für Körper, Seele für Seele, im Leben und im Tod.


Das Eigentum aber ist ethymologisch wie nach den Definitionen der Rechtswissenschaft ein Recht außerhalb der Gesellschaft. Denn stammten die Güter eines jeden von der Gesellschaft, so wären die Bedingungen für alle gleich, und nachstehender Satz müßte einen "Widerspruch enthalten: Das Eigentum ist das Recht, das ein Mensch besitzt, völlig uneingeschränkt über ein gesellschaftliches Eigentum zu verfügen. Haben wir uns also um der Freiheit, Gleichheit, Sicherheit willen zur Gesellschaft zusammengeschlossen, so haben wir es nicht um des Eigentums willen getan; wenn also das Eigentum ein Naturrecht ist, so ist dieses Naturrecht kein soziales, sondern ein antisoziales. Eigentum und Gesellschaft sind zwei Dinge, zwischen denen unversöhnliche Feindschaft besteht: es ist ebenso unmöglich, zwei Eigentümer zu vereinigen, wie zwei Magnete mit ihren gleichen Polen. Entweder muß die Gesellschaft zugrunde gehen oder sie muß das Eigentum vernichten.


Wenn das Eigentum ein natürliches, absolutes, unverjährbares und unveräußerliches Recht ist, warum hat man sich dann zu allen Zeiten so sehr mit seinem Ursprung beschäftigt? Denn dies ist noch eins von seinen Unterscheidungsmerkmalen. Der Ursprung eines Naturrechts, guter Gott! Und wer hat sich jemals mit dem Ursprung der Rechte der Freiheit, der Sicherheit oder der Gleichheit beschäftigt? Sie existieren, weil wir existieren: sie entstehen, leben und sterben mit uns. Mit dem Eigentum ist es allerdings anders: nach dem Gesetz existiert das Eigentum selbst ohne Eigentümer, als Fähigkeit ohne einen Träger; es existiert für das menschliche Wesen, das noch gar nicht geboren ist, und für den Achtzigjährigen, der nicht mehr lebt. Und trotz dieser merkwürdigen Prärogative, die vom Ewigen und Unendlichen herzurühren scheinen, hat man doch nie sagen können, woher das Eigentum stammt; die Gelehrten sind sich darüber immer noch nicht einig. Nur in einem Punkte stimmen sie überein, nämlich daß die Gültigkeit des Eigentumsrechts von der Echtheit seines Ursprungs abhängt. Aber gerade wegen dieser Übereinstimmung werden sie von allen verdammt: warum haben sie das Recht vor Klärung des Ursprungs angenommen?


Gewisse Leute lieben es nicht, daß man den Staub von den angeblichen Eigentumstiteln fortwischt und ihre Legende, vielleicht sogar ihre Skandalgeschichte untersucht; sie wollen lieber, daß man sich daran halte: Das Eigentum sei eine Tatsache, es sei immer so gewesen und werde stets so bleiben. So beginnt beispielsweise der gelehrte Proudhon in seinem Traité des droits d'usufruit damit, daß er die Frage von dem Ursprünge des Eigentums mit den scholastischen Spitzfindigkeiten in eine Reihe stellt. Vielleicht unterschriebe ich diesen Wunsch, den ihm, wie ich glauben möchte, eine löbliche Friedensliebe eingegeben hat, wenn alle meinesgleichen ein genügend großes Eigentum besäßen, aber nein... ich würde ihn doch nicht unterschreiben.


Auf zwei Titel lassen sich die angeblichen Begründungen des Eigentumsrechts zurückführen: Auf die Okkupation und die Arbeit. Ich werde sie nacheinander prüfen, nach allen Seiten hin und in allen Einzelheiten, und ich erinnere den Leser daran, daß als unumstößlicher Beweis, von welcher Seite man sie auch betrachte, sich hieraus ergeben wird, daß das Eigentum, wenn es gerecht und möglich sein sollte, die Gleichheit zur notwendigen Voraussetzung haben müßte.

 


§ 2 Über die Okkupation als Begründung des Eigentums

Merkwürdigerweise sind in den vom Staatsrat abgehaltenen Diskussionen über das Zivilgesetzbuch keine Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Ursprungs und des Prinzips des Eigentums entstanden. Alle Artikel des zweiten Teils des Buchs 2 über Eigentum und Zuwachs wurden ohne Widerstreben und ohne Zusatz angenommen. Bonaparte, der bei anderen Fragen seinen Gesetzgebern so viel Umstände bereitete, hatte zum Eigentum nichts zu bemerken. Das kann uns nicht wundernehmen: in den Augen dieses selbstsüchtigsten und eigenwilligsten aller Menschen mußte das Eigentum das erste aller Rechte sein, wie die Unterwerfung unter die Autorität die heiligste aller Pflichten war.


Das Recht der Okkupation oder des ersten Okkupanten entsteht aus der gegenwärtigen physischen und wirksamen Besitznahme der Sache. Wenn ich ein Stück Land okkupiere, so werde ich so lange für den Eigentümer gehalten, bis das Gegenteil erwiesen ist. Man spürt, daß ursprünglich ein solches Recht nur legitim sein konnte, wenn es auf Gegenseitigkeit beruhte. Dem stimmen auch die Rechtsgelehrten zu.


Cicero vergleicht die Erde mit einem ungeheuren Theater. Quemadmodum theatrum cum commune sit, recte tamen dici potest eius esse eum locum quem quisque occuparit.


Dies ist die philosophische Stelle, die uns das Altertum über das Eigentum hinterlassen hat.


Das Theater, sagt Cicero, ist für alle gemeinsam; und dennoch bezeichnet man den Platz, den ein jeder dort einnimmt, als den seinigen: was offenbar heißt, daß es ein in Besitz genommener, aber nicht zum Eigentum gemachter Platz ist. Dieser Vergleich vernichtet das Eigentum: noch mehr, er führt zur Gleichheit. Kann ich in einem Theater zu gleicher Zeit einen Platz im Parterre, einen ändern in der Loge und einen dritten auf der Galerie einnehmen? Nein - ich müßte denn wie Geryon drei Körper haben oder gleichzeitig an drei verschiedenen Orten existieren können, wie man von dem Magier Apollonius berichtet.


Keiner hat mehr Recht als auf das, was ihm genügt, muß man nach Cicero sagen: Das ist die getreue Auslegung seines berühmten Wortes: suum quidque cuiusque sit, jedem was ihm gehört, jenes so seltsam angewandten Axioms. Das, was jedem gehört, ist nicht das, was ein jeder besitzen kann, sondern auf dessen Besitz jeder ein Recht hat. Worauf haben wir nun ein Besitz-Recht? Auf das, was uns für unsere Arbeit und unseren Verbrauch ausreicht; Ciceros Vergleich der Erde mit dem Theater beweist es. Nachher mag sich jeder auf seinem Platz nach Belieben einrichten, ihn verschönern und verbessern, wenn er kann; es steht ihm frei: aber seine Tätigkeit darf nicht die Grenze überschreiten, die ihn von seinem Nachbarn trennt. Die Lehre Ciceros führt also geradewegs auf die Gleichheit; denn die Okkupation ist eine reine Toleranz und, wenn die Toleranz gegenseitig ist - und sie kann nichts anderes sein -, dann sind die Besitzungen gleich.


Grotius wirft sich auf die Geschichte; aber was ist das für eine Untersuchungsmethode, daß er den Ursprung eines sogenannten Natur-Rechtes anderswo als in der Natur sucht? Das ist ganz die Methode der Alten: die Tatsache existiert, also ist sie notwendig, also ist sie gerecht, und demnach ist auch ihre Geschichte gerecht. Sehen wir gleichwohl weiter zu.


"Ursprünglich waren alle Sachen gemeinsam und ungeteilt; sie waren das Erbteil aller..." Wir wollen nicht weiter gehen: Grotius erzählt uns, wie dieser Kommunismus der Urzeit durch Ehrgeiz und Habsucht endigte, wie auf das goldene Zeitalter das eiserne folgte usw. Das Eigentum hätte somit seinen Ursprung zuerst im Kriege und der Eroberung, dann in Verträgen und Übereinkommen. Aber diese Verträge und Übereinkommen haben dann entweder die Teile gleichgemacht, entsprechend dem ursprünglichen Kommunismus, der ja der einzige Maßstab für die Verteilung war, den die ersten Menschen kennen konnten, und die einzige Form der Gerechtigkeit, die sie zu erfassen" vermochten; und dann taucht die Frage nach dem Ursprung wieder auf: wie konnte kurze Zeit später dann die Gleichheit wieder verschwinden? Oder diese Verträge wurden von der Gewalt aufgestellt und von der Schwäche hingenommen, und in diesem Fall sind sie nichtig, die stillschweigende Einwilligung der Nachkommenschaft kann sie nicht gültig machen, und wir leben in einem steten Zustande des Unrechts und des Betrugs.


Man wird nie begreifen können, warum die Gleichheit der Bedingungen, die anfangs in der Natur existierte, in der Folge ein Zustand außerhalb der Natur geworden sein soll. Wie soll eine solche Entartung vor sich gegangen sein? Die tierischen Instinkte sind ebenso unveränderlich wie die Gattungsunterschiede; wenn man voraussetzt, daß in der menschlichen Gesellschaft in den frühesten Zeiten eine natürliche Gleichheit bestanden hat, so heißt das, damit zugestehen, daß die jetzige Ungleichheit die Natur dieser Gesellschaft beeinträchtigt, und dies können die Verteidiger des Eigentums allerdings nicht erklären. Aber ich, ich schließe daraus, daß, wenn die Vorsehung die ersten Menschen in einen Zustand der Gleichheit versetzte, sie ihnen damit ein Vorbild gab, das sie in anderem Ausmaße von ihnen verwirklicht wissen wollte, so wie sie auch das offensichtliche religiöse Gefühl, das die Vorsehung ihnen eingab, in jeder Weise entwickelt und ausgebildet haben. Der Mensch hat nur eine einzige beständige und unveränderliche Natur: er folgt ihr aus Instinkt, er weicht infolge Nachdenkens von ihr ab und kehrt durch Vernunft zu ihr zurück; wer will leugnen, daß wir uns auf diesem Rückweg befinden? Nach Grotius hat der Mensch den Zustand der Gleichheit verlassen; nach meiner Meinung wird er zur Gleichheit zurückkehren. Auf welche Weise er ihn verlassen hat und auf welche Weise er zu ihm zurückkehren wird, werden wir später untersuchen.


Reid sagt nach der Obersetzung von Jouffroy, Band VI, Seite 363: "Das Eigentumsrecht ist kein natürliches, sondern ein erworbenes Recht; es leitet sich nicht aus der Anlage des Menschen her, sondern aus seinen Handlungen. Die Rechtsgelehrten haben seinen Ursprung für einen jeden mit gesundem Mensdienverstand zufriedenstellend erklärt. - Die Erde ist ein Gemeingut, das die Güte des Himmels den Menschen für die Bedürfnisse ihres Lebens gegeben hat; aber die Teilung dieses Guts und seiner Erzeugnisse ist Sache der Menschen; jeder hat die nötige Macht und Intelligenz vom Himmel empfangen, um sich einen Teil desselben anzueignen, ohne irgend jemand damit zu schädigen.


Die alten Moralisten haben zu Recht das gemeinsame Recht eines jeden an den Erzeugnissen der Erde, ehe sie okkupiert und Privateigentum geworden war, mit dem verglichen, was man in einem Theater genießt; jeder kann bei seinem Eintritt einen leeren Platz einnehmen und dadurch das Recht erwerben, ihn während der ganzen Dauer des Schauspiels zu behalten, aber niemand hat das Recht, Zuschauer, die schon Platz genommen haben, zu verdrängen. - Die Erde ist ein ungeheures Theater, das der Allmächtige mit unendlicher Weisheit und Güte für die Freuden und Arbeiten der ganzen Menschheit geschaffen hat. Jeder hat das Recht, einen Platz im Zuschauerraum einzunehmen und seine Rolle als Schauspieler zu spielen, aber er darf dabei die anderen nicht stören."


Folgerungen aus der Lehre Reid's:


1. Damit der Teil, den sich jeder aneignen kann, niemanden verletze, muß er so groß sein, als der Quotient der Summe der zu verteilenden Güter, dividiert durch die Zahl der Teilhaber.


2. Da die Zahl der Plätze immer ebenso groß sein muß wie die Zahl der Zuschauer, darf kein Zuschauer zwei Plätze einnehmen, kein Schauspieler mehrere Rollen spielen.


3. Je nachdem ob ein Zuschauer hinzukommt oder fortgeht, werden die Plätze für alle entsprechend enger oder weiter: denn, so sagt Reid, das Eigentumsrecht ist kein Naturrecht, sondern ein erworbenes Recht; folglich ist es nicht absoluter Art, folglich ist die Besitznahme, in der es besteht, eine zufällige Tatsache und kann diesem Rechte nicht eine Unveränderlichkeit verschaffen, die es selbst nicht hat. Das scheint der Professor von Edinburg auch begriffen zu haben, wenn er hinzufügt:


"Das Recht zu leben enthält das Recht, sich die Mittel dazu zu verschaffen, und dieselbe Regel der Gerechtigkeit, welche das Leben des Unschuldigen respektiert wissen will, verlangt auch, daß man ihm die Mittel zu seiner Erhaltung nicht raube: beide sind gleich heilig... Der Arbeit eines anderen ein Hindernis in den Weg zu legen, heißt die gleiche Ungerechtigkeit begehen, wie ihn mit Ketten zu belasten oder ins Gefängnis zu werfen; das Resultat ist ganz dasselbe und ruft dieselbe Erbitterung hervor."


Das Haupt der schottischen Schule begründet also, ohne Rücksicht auf die Ungleichheit des Talents und des Fleißes, a priori die Gleichheit der Arbeitsmittel und überläßt es nachher jedem Arbeiter, für seine eigene Wohlfahrt selber Sorge zu tragen, nach dem ewigen Axiom: Wer recht handelt, wird sich wohl befinden.


Was dem Philosophen Reid fehlte, war nicht die Erkenntnis des Prinzips, sondern der Mut, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Ist das Recht zu leben gleich, so ist auch das Recht zu arbeiten gleich und ebenso auch das Okkupationsrecht. Könnten Inselbewohner unter Berufung auf das Eigentumsrecht unglückliche Schiffbrüchige, die sich ihrer Küste zu nähern versuchten, mit Haken zurückstoßen, ohne dadurch ein Verbrechen zu begehen? Der bloße Gedanke an eine solche Barbarei empört unsere Phantasie. Der Eigentümer hält, wie Robinson auf seiner Insel, mit Lanzenstößen und Gewehrschüssen den Proletarier fern, den die Woge der Zivilisation in die Tiefe schleudert und der sich an den Felsen des Eigentums anzuklammern sucht. Gib mir Arbeit, schreit dieser mit aller Kraft dem Eigentümer entgegen; stoße mich nicht zurück, ich werde für jeden Lohn, den Du mir bietest, arbeiten. - Ich kann Deine Dienste nicht gebrauchen, erwidert der Eigentümer, wobei er ihm die Spitze seiner Lanze oder die Mündung seines Gewehres entgegenhält. - Vermindere wenigstens meine Miete. - Ich brauche meine Einkünfte, um leben zu können. - Wie soll ich bezahlen können, wenn ich nicht arbeite. - Das ist Deine Sache. - Darauf läßt sich der unglückliche Proletarier von der Flut wegtreiben,, oder aber, wenn er in das Eigentum einzudringen versucht, streckt ihn der Eigentümer zu Boden und tötet ihn.


Nach dem Spiritualisten hören wir jetzt einen Materialisten und dann einen Eklektiker; und nachdem wir so die Philosophie durchschritten haben, wollen wir uns an die Rechtswissenschaft wenden.


Nach Destutt de Tracy ist das Eigentum eine Notwendigkeit unserer Natur. Mag auch diese Notwendigkeit verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen, und man müßte blind sein, um es zu leugnen, so sind jedoch diese Folgen ein unvermeidliches Übel und kein Gegenbeweis gegen das Prinzip: es ist ebenso unvernünftig, sich gegen das Eigentum aufzulehnen wegen der Mißbräuche, die es nach sich zieht, als sich über das Leben zu beklagen, weil sein ganz sicheres Resultat der Tod ist. Diese brutale und mitleidlose Philosophie verspricht doch wenigstens eine strenge und freie Logik: sehen wir, ob sie dieses Versprechen hält.


"Man hat den Prozeß des Eigentums feierlich eingeleitet ..., als ob es von uns abhinge, daß es auf dieser Welt Eigentum gäbe oder nicht... Hört man gewisse Philosophen und Gesetzgeber, so scheint es, als habe man sich in einem bestimmten Augenblick vorgenommen, spontan und ohne Ursache Mein und Dein zu sagen, und als hätte man dies ebensogut unterlassen können, ja sogar unterlassen sollen. Aber das Mein und Dein ist niemals erfunden worden."


Philosoph, Du bist zu sehr Realist. Dein und mein bezeichnen nicht notwendig etwas, was man sich zu eigen gemacht hat, so wie ich sage deine Philosophie und meine Gleichheit: denn Deine Philosophie, das bist Du, der Du philosophierst: und meine Gleichheit, das bin ich, der ich die Gleichheit lehre. Dein und mein zeigen öfter die Beziehung an: Dein Land, Deine Gemeinde, Dein Schneider, Deine Amme; mein Zimmer im Hotel, mein Platz im Theater, meine Kompanie und mein Bataillon in der Nationalgarde. Im ersten Sinne kann man sagen, meine Arbeit, mein Talent, manchmal auch meine Tugend, aber nie meine Größe oder meine Majestät; und im zweiten Sinne nur mein Feld, mein Haus, mein Garten, meine Kapitalien, gerade wie der Bankangestellte sagt, meine Kasse. Mit einem Wort: Dein und mein sind Zeichen und Ausdrücke für persönliche, aber gleiche Rechte; auf Sachen, die außerhalb uns liegen, angewandt, zeigen sie Besitz, Verrichtung, Gebrauch und nicht Eigentum an.


Man würde es mir nie glauben, wenn ich es nicht ausdrücklich durch die Textstellen belegen würde, daß die ganze Theorie unseres Philosophen auf dieser erbärmlichen Zweideutigkeit beruht.


"Vor jeder Übereinkunft sind die Menschen nicht, wie Hobbes sagt, in einem Zustande der Feindseligkeit, sondern der Fremdheit. In diesem Zustande gibt es weder Recht noch Unrecht; die Rechte des einen tun den Rechten des anderen nichts. Alle haben gerade so viel Rechte wie Bedürfnisse und die allgemeine Pflicht, diese Bedürfnisse ohne anderweitige Rücksicht zu befriedigen."


Nehmen wir das System an, wobei es nichts ausmacht, ob es wahr oder falsch ist: Destutt de Tracy wird der Gleichheit nicht entrinnen. Nach dieser Hypothese sind die Menschen, solange sie sich in dem Zustande der Fremdheit befinden, einander nichts schuldig; sie haben alle das Recht, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ohne sich um die der übrigen zu kümmern. Folglich haben sie das Recht, ihre Macht über die Natur auszuüben, je nach dem Umfang ihrer Kräfte und Fähigkeiten. Daher kommt mit notwendiger Konsequenz die größte Ungleichheit des Vermögens unter den Menschen. Die Ungleichheit der Bedingungen ist also hier der eigentliche Charakter der Fremdheit oder der Wildheit: es ist gerade das Gegenteil von Rousseaus System. Doch, fahren wir fort:


"Diese Rechte und diese Pflichten erleiden nicht früher eine Einschränkung, als bis stillschweigende oder ausdrückliche Übereinkommen getroffen werden. Dann erst entsteht die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, d. h. aus dem Abwägen der Rechte des einen und der des anderen, die bis zu diesem Augenblick notwendig gleich waren."


Hören wir: Die Rechte waren gleich, das bedeutet, jeder hatte das Recht, seine Bedürfnisse ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des anderen zu befriedigen; mit anderen Worten, alle hatten ein gleiches Recht, sich zu schaden, es gab kein anderes Recht als List und Gewalt. Man schadet sich schließlich selbst nicht nur durch Krieg und Plünderung, sondern auch durch Vorwegnahme und Aneignung. Nun, um dies gleiche Recht auf Anwendung der Gewalt und List zu beseitigen, dieses gleiche Recht, sich Böses zuzufügen, diese einzige Quelle der Ungleichheit des Vermögens und des Übels, begann man stillschweigende oder ausdrückliche Übereinkommen zu treffen und begründete ein Gleichgewicht: Diese Übereinkommen und dieses Gleichgewicht sollten also allen die Gleichheit des Wohlbefindens zusichern; nach dem Gesetz des Widerspruchs hat, wenn die Fremdheit das Prinzip der Ungleichheit ist, die Gesellschaft somit die Gleichheit als notwendiges Ergebnis. Das soziale Gleichgewicht ist die Ausgleichung der Starken und Schwachen; denn solange sie nicht gleich sind, sind sie einander fremd; sie bilden kein Bündnis, sie bleiben Feinde. Wenn also die Ungleichheit der Bedingungen ein notwendiges Übel ist, so ist sie es nur in der Fremdheit, weil Gesellschaft und Ungleichheit Widersprüche erzeugen; wenn also der Mensch für die Gesellschaft geschaffen ist, so ist er es auch für die Gleichheit: Diese strenge Folgerung ist unumstößlich.


Wie kommt es nun aber unter solchen Umständen, daß seit Errichtung des Gleichgewichts die Ungleichheit stetig zunimmt? Ist denn das Reich der Gerechtigkeit immer das der Fremdheit? Destutt de Tracy antwortet:


"Bedürfnisse und Mittel, Rechte und Pflichten leiten sich von der Willensfähigkeit her. Der Mensch, der nichts will, hat nichts von allem. Aber Bedürfnisse und Mittel, Rechte und Pflichten haben, heißt etwas haben, etwas besitzen. Das sind eben viele Arten des Eigentums, um das Wort im allgemeinsten Sinne zu gebrauchen: das sind Dinge, die uns gehören."


Das ist eine unwürdige Zweideutigkeit, die das Bedürfnis zu verallgemeinern nicht rechtfertigt. Das Wort propriété hat einen doppelten Sinn: 1. es bezeichnet die Eigenschaft, wodurch eine Sache das ist, was sie ist, das Kennzeichen, was ihr eigentümlich ist, was sie besonders unterscheidet: in diesem Sinne spricht man von den Eigenschaften des Dreiecks oder der Zahlen, den Eigenschaften des Magnets usw.; 2. drückt es das Herrschaftsrecht eines vernünftigen und freien Wesens über eine Sache aus; in diesem Sinne nehmen es auch die Juristen. Also in folgendem Satz: Das Eisen erwirbt die Eigenschaft des Magneten - hat das Wort propriété einen anderen Sinn als in dem Satz: Ich habe das Eigentum dieses Magneten erworben. Einem Unglücklichen sagen, daß er Eigentum hat, weil er Arme und Beine besitzt, daß der Hunger, der an ihm nagt, und die Fähigkeit, auf offener Straße zu übernachten, Eigentum ist, heißt mit Worten spielen und zur Unmenschlichkeit noch den Spott fügen.


"Die Idee des Eigentums kann nur auf die Idee der Persönlichkeit gegründet werden. Sobald die Idee des Eigentums auftritt, ist sie notwendig und unvermeidlich auch in ihrem ganzen Umfange vorhanden. Sobald ein Individuum sein Ich, seine Moral und seine Fähigkeit zu genießen, zu leiden und zu handeln kennt, sieht es auch gleichzeitig mit Notwendigkeit ein, daß dieses Ich der ausschließliche Eigentümer des von ihm beseelten Körpers, seiner Organe, seiner Kräfte, Fähigkeiten usw. ist... Es muß also wohl ein natürliches und notwendiges Eigentum geben, weil es ein künstliches und vertragliches gibt; denn es kann nichts in der Kunst existieren, was nicht sein Prinzip in der Natur hätte."


Bewundern wir die Aufrichtigkeit und die Vernunft der Philosophen. Der Mensch hat Eigenschaften, d. h. entsprechend der ersten Wortbedeutung: Fähigkeiten; er hat sie also als Eigentum, d. h. in der zweiten Wortbedeutung: er besitzt die Herrschaft darüber: er hat also das Eigentum der Eigenschaft, Eigentümer zu sein. Ich müßte erröten, wollte ich solche Dummheiten widerlegen, wenn ich nicht die Autorität eines Destutt de Tracy vor mir hätte ! Aber diese kindische Verwirrung hat die ganze Menschheit begangen, als mit Gesellschaft und Sprache, mit den ersten Gedanken und Worten auch Metaphysik und Dialektik entstanden. Alles, was der Mensch sein eigen nennen konnte, identifizierte er im Geiste mit seiner Person; er betrachtete es als sein Eigentum, sein Gut, als einen Teil seines Ichs, ein Glied seines Körpers, eine Fähigkeit seiner Seele. Der Besitz von Sachen wurde dem Eigentum an geistigen und körperlichen Vorzügen angeglichen, und auf diese falsche Analogie gründete man das Eigentumsrecht: Nachahmung der Natur durch die Kunst, wie Destutt de Tracy so elegant sagt.


Aber wie konnte dieser so subtile Ideologe nicht bemerken, daß der Mensch nicht einmal Eigentümer seiner Fähigkeiten ist? Der Mensch hat Kraft, Tugend und Fähigkeiten, die Natur hat sie ihm zum Leben, Erkennen und Lieben anvertraut; aber er hat nicht die absolute Herrschaft darüber, er ist vielmehr nur Nutznießer derselben; und dieses Nutznießungsrecht kann er nur ausüben, wenn er sich den Vorschriften der Natur unterordnet. Wäre er souveräner Herr über seine Fähigkeiten, so könnte er es verhindern, Frost oder Hunger zu empfinden; er könnte Berge bewegen, 100 Meilen in einer Minute gehen, ohne Arznei Kranke heilen und einzig und allein vermöge der Kraft seines Willens unsterblich werden. Er könnte sagen: Ich will etwas schaffen, und seine Werke wären seinem Ideal entsprechend vollkommen; oder: Ich will wissen, und er wüßte; ich liebe, und er würde Liebe genießen. Was! Der Mensch ist nicht Herr über sich selbst, und er sollte es über das sein, was ihm nicht gehört? Möge er die Erzeugnisse der Natur gebrauchen, weil er unter dieser Bedingung nur lebt: aber seine Ansprüche auf Eigentum soll er verlieren und sich daran erinnern, daß ihm dieser Name nur infolge einer Metapher beigelegt worden ist.


Fassen wir zusammen: Destutt de Tracy wirft mit Hilfe eines Allgemeinbegriffs die äußeren Güter der Natur und Kunst und die Kräfte oder Fähigkeiten des Menschen zusammen, indem er beide Eigentum nennt; und auf Grund dieser Zweideutigkeit glaubt er nun, das Eigentumsrecht unerschütterlich begründet zu haben. Aber von all diesem Eigentum ist das eine ein angeborenes, wie Gedächtnis, Einbildungskraft, Kraft und Schönheit, das andere erworben, wie Felder, Gewässer und Wälder. Im Zustand der Natur und Fremdheit haben die geschicktesten und stärksten Menschen, d. h. die am stärksten mit angeborenem Eigentum begünstigten, die größte Aussicht, erworbenes Eigentum zu erhalten: nun, um dieser Bedrohung und dem daraus folgenden Krieg zuvorzukommen, erfand man ein Gleichgewicht, eine Gerechtigkeit und traf stillschweigend oder ausdrücklich Übereinkommen; dies geschah aber, um soviel wie möglich die Ungleichheit des angeborenen Eigentums durch die Gleichheit des erworbenen zu verbessern. Solange die Teilung nicht gleich ist, bleiben die Teilenden Feinde, und die Verträge müssen neu abgeschlossen werden. Auf der einen Seite Fremdheit, Ungleichheit, Antagonismus, Krieg, Raub und Mord, auf der anderen Seite Gesellschaft, Gleichheit, Brüderlichkeit, Friede und Liebe: wählen wir.


Joseph Dutens, Physiker, Ingenieur und Geometer, aber ein sehr unbedeutender Jurist und ganz unfähig als Philosoph, ist der Verfasser einer "Philosophie der Volkswirtschaft", in der er eine Lanze zugunsten des Eigentums brechen zu müssen glaubte. Seine Metaphysik scheint von Destutt de Tracy entlehnt. Er beginnt mit folgender, eines Sganarelle würdigen Definition des Eigentums: "Das Eigentumsrecht ist das Recht, wonach jemandem eine Sache zu eigen gehört." Wörtlich übersetzt heißt dies: "Das Eigentumsrecht ist das Eigentumsrecht."


Nach einigen verworrenen Ausführungen über Willen, Freiheit und Persönlichkeit, nach Unterscheidung von immateriellem natürlichem und materiellem natürlichem Eigentum, was auf Destutt de Tracys angeborenes und erworbenes Eigentum hinausläuft, schließt Joseph Dutens mit diesen beiden Hauptsätzen: 1. Das Eigentum ist ein natürliches, unveräußerliches Recht jedes Menschen; 2. Die Ungleichheit des Eigentums ist ein notwendiges Resultat der Natur; diese beiden Sätze lassen sich in einen einfacheren zusammenfassen: Alle Menschen haben ein gleiches Recht auf ungleiches Eigentum.


Dutens wirft Sismondi vor, er habe als einzige Grundlage des Grundeigentums Gesetz und Übereinkommen angegeben; und er sagt selbst, indem er von der Achtung des Volkes für das Eigentum spricht, daß "sein gesunder Menschenverstand ihm die Natur des ursprünglichen Vertrages zwischen der Gesellschaft und den Eigentümern enthülle".


Er wirft Eigentum mit Besitz, Kommunismus mit Gleichheit, gerecht mit natürlich, natürlich mit möglich zusammen: bald gebraucht er diese verschiedenen Begriffe in gleicher Bedeutung, bald scheint er sie zu unterscheiden, und alles in einer Weise, daß ihn zu widerlegen unendlich leichter ist, als ihn zu verstehen. Der Titel des Buches: >Philosophie der Volkswirtschaft< zog mich zuerst an, aber bald fand ich, daß es unter dem Dunkel des Verfassers nur ganz gewöhnliche Gedanken enthielt; darum will ich auch nicht weiter davon reden.


Cousin lehrt uns auf Seite 15 seiner Philosophie morale, daß jede Moral, jedes Gesetz, jedes Recht uns in der Vorschrift gegeben ist: Frei sein und frei bleiben. Bravo, Meister; ich will frei bleiben, wenn ich es kann. Er fährt dann fort:


"Unser Prinzip ist wahr; es ist gut und sozial; fürchten wir uns nicht, aus ihm alle Folgerungen zu ziehen.
1. Wenn die Person des Menschen heilig ist, so ist sie es in ihrer ganzen Natur, und besonders in ihren inneren Handlungen, in ihren Gefühlen, Gedanken und ihrer Selbstbestimmung. Von hier rührt die Achtung, die man Philosophie, Religion, Kunst, Industrie, Handel und überhaupt allen Produkten der Freiheit schuldet. Ich sage Achtung und nicht einfach Duldsamkeit; denn das Recht duldet man nicht, man achtet es."

Ich verneige midi vor der Philosophie.

"2. Meine Freiheit, die heilig ist, bedarf zu äußeren Handlungen eines Werkzeuges, das man Körper nennt; der Körper hat also Teil an der Heiligkeit der Freiheit; er ist daher selbst unverletzlich; von hier rührt das Prinzip der individuellen Freiheit.


3. Meine Freiheit bedarf, um nach außen hin handeln zu können, entweder eines Wirkungsbereichs oder der Materie, mit anderen Worten eines Eigentums oder einer Sache. Diese Sache oder dieses Eigentum haben also natürlicherweise ebenfalls an der Unverletzlichkeit meiner Persönlichkeit teil. Ich bemächtige mich z. B. eines Gegenstandes, der für die äußere Entwicklung meiner Freiheit notwendiges und nützliches Werkzeug geworden ist; ich sage: dieser Gegenstand gehört mir, weil er niemandem sonst gehört; von da an besitze ich ihn rechtlich. Die Legitimität des Besitzes ruht also auf zwei Voraussetzungen: zunächst besitze ich nur in meiner Eigenschaft als freies Wesen; unterdrückt man mein freies Handeln, so zerstört man damit das Prinzip der Arbeit in mir; denn nur durch die Arbeit kann ich mir das Eigentum oder die Sache angleichen, und nur dadurch, daß ich es mir angleiche, besitze ich es. Das freie Handeln ist also das Prinzip des Eigentumsrechts. Aber dies reicht nicht aus, um den Besitz zu legitimieren. Alle Menschen sind frei, alle können sich durch die Arbeit ein Eigentum angleichen; heißt das nun, daß alle ein Recht auf das ganze Eigentum haben? Keineswegs: um legitim zu besitzen, muß ich nicht nur in meiner Eigenschaft als freies Wesen arbeiten und erzeugen können, ich muß auch noch als erster das Eigentum okkupieren. Kurz, wenn Arbeit und Erzeugung das Prinzip des Eigentumsrechts sind, so ist das Faktum der ursprünglichen Okkupation die unerläßliche Voraussetzung hierzu.


4. Ich besitze legitim; ich habe daher das Recht, von meinem Eigentum Gebrauch zu machen, wie ich will. Ich habe aber auch das Recht, es zu verschenken, ich habe also auch das Recht, es zu vererben, denn sobald ein Akt der Freiheit meine Fortgabe geheiligt hat, bleibt sie heilig nach meinem Tode wie während meines Lebens."


Letzthin muß man aber, um nach Cousin Eigentümer zu werden, durch Okkupation und Arbeit Besitz ergreifen: ich füge hinzu, daß man rechtzeitig kommen muß, denn wenn die ersten Okkupanten alles okkupiert haben, was können dann die zuletzt Gekommenen noch okkupieren? Was soll dann aus dieser Freiheit werden, die über das Werkzeug zum Handeln, aber nicht über die Materie verfügt? Müssen sie sich nicht verzehren? Ein schreckliches Ende, das die philosophische Klugheit nicht vorauszusehen geruht hat, weil sich das Genie nicht um Kleinigkeiten kümmert.


Ferner bemerke ich, daß Cousin Okkupation und Arbeit, beide für sich allein genommen, die Fähigkeit abspricht, das Eigentumsrecht hervorzubringen, sondern dieses nur aus ihnen zusammen, aus einer Ehe entstehen läßt. Das ist einer von den Geniestreichen des Eklektizismus, für Herrn Cousin bezeichnend, und ohne die es bei ihm nie geht. Anstatt mit Analyse, Vergleich, Eliminierung und Reduzierung vorzugehen, den einzigen Mitteln, die Wahrheit durch die äußeren Formen des Gedankens und die Phantasiegebilde der Meinung hindurch zu entdecken, macht er einen Mischmasch aus allen möglichen Systemen, gibt dann jedermann zugleich Unrecht und Recht und sagt: Das ist die Wahrheit.


Aber ich habe nun zuvor angekündigt, daß ich keine der für das Eigentum vorgebrachten Hypothesen widerlegen, sondern im Gegenteil aus allen das Prinzip der Gleichheit herleiten werde, das sie tötet. Ferner, daß sich meine ganze Beweisführung darin erschöpft, in allen Erörterungen als unvermeidliche Größe die Gleichheit aufzuzeigen; ebenso hoffe ich, später beweisen zu können, daß das Prinzip des Eigentums die Volkswirtschaftslehre, Rechts- und Staatswissenschaften von Grund auf vergiftet und auf einen falschen Weg gebracht hat.


Gut, gilt aber vom Standpunkt des Herrn Cousin aus nun nicht folgendes: wenn die Freiheit des Menschen heilig ist, dann ist sie mit demselben Recht für alle Individuen heilig; wenn sie des Eigentums für das Handeln nach außen, d: h. um zu leben, bedarf, dann ist diese Aneignung der Materie für alle gleich notwendig; wenn ich in meinem Aneignungsrecht anerkannt sein will, muß ich die anderen in dem ihren anerkennen; folglich muß, wenn auf dem Gebiete des Unendlichen die Aneignungsfähigkeit der Freiheit nur in sich selbst eine Grenze finden kann, in der Sphäre des Endlichen dieselbe Fähigkeit entsprechend dem mathematischen Verhältnis der Zahl der Freiheitsbefugnisse zu dem Raum, den sie einnehmen, geringer werden. Ergibt sich nicht ferner daraus, wenn eine Freiheit eine andere in der Gegenwart nicht hindern kann, sich ebensoviel anzueignen, wie sie selbst besitzt, daß sie dann diese Fähigkeit nicht der Freiheit für die Zukunft wegnehmen kann - denn während das Individuum vergeht, bleibt die Menschheit bestehen - und daß das Gesetz eines ewigen Ganzen nicht von seiner Teilerscheinung abhängen kann? Und muß man aus all dem nicht schließen, daß immer, wenn ein mit Freiheit begabter Mensch zur Welt kommt, die übrigen näher zusammenrücken müssen und daß auf Grund der wechselseitigen Verpflichtung, wenn der Neuangekommene in der Folge zum Erben eingesetzt wird, das Nachfolgerecht für ihn kein zusätzliches, sondern nur ein Wahlrecht begründet?


Ich habe selbst Cousins Stil angenommen und ich schäme mich dessen. Bedarf es solch schwülstiger Ausdrücke und tönender Phrasen, um so einfache Dinge zu sagen? Der Mensch muß arbeiten, um zu leben: folglich braucht er Werkzeuge und Gegenstände zur Produktion. Dieses Bedürfnis nach Arbeit macht sein Recht aus: nun, dieses Recht wird ihm durch seine Mitmenschen garantiert, gegen die er dieselbe Verpflichtung eingeht. Hunderttausend Menschen lassen sich in einer Gegend nieder, die so groß wie Frankreich, aber unbewohnt ist; das Recht jedes einzelnen an Grundkapital beträgt l: 100 000. Vermehrt sich die Zahl der Besitzer, so vermindert sich der Anteil eines jeden im Verhältnis zu diesem Zuwachs, so daß, wenn die Zahl der Einwohner 34 Millionen beträgt, das Recht eines jeden l: 34 000 000 ist. Wenn nun Polizei und Regierung Arbeit, Austausch und Erbfolge usw. so ordnen, daß die Arbeitsmittel stets gleich bleiben und jeder frei ist, so ist die Gesellschaftsordnung vollkommen.


Von allen Anwälten des Eigentums hat Cousin es noch am tiefsten begründet. Den Wirtschaftlern hat er erwidert, daß die Arbeit nur ein Recht auf Eigentum geben kann, wenn ihr die Okkupation vorausgegangen; und den Juristen, daß das positive Gesetz wohl ein Naturrecht bestimmen und anwenden, niemals aber schaffen kann. In der Tat reicht es nicht aus, zu sagen: "Das Eigentumsrecht ist dadurch allein bewiesen, daß es existiert; in dieser Hinsicht enthält das Zivilrecht nur eine Erklärung"; denn damit gesteht man ein, daß man denen, die die Legitimität des Tatsächlichen selbst bestreiten, nichts zu erwidern weiß. Jedes Recht muß sich durch sich selbst oder durch ein ihm vorangehendes Recht rechtfertigen lassen: auch das Eigentum kann dieser Alternative nicht ausweichen. Deshalb hat auch Cousin nach einer Basis für es gesucht, in der von ihm so genannten Heiligkeit der menschlichen Person und in der Handlung, durch die sich der Wille eine Sache angleicht. "Einmal vom Menschen berührt, sagt ein Schüler Cousins, empfangen die Sachen von ihm einen Charakter, der sie umgestaltet und vermenschlicht." Ich meinerseits gestehe, daß ich an diese Zauberei nicht glaube und daß mir nichts Unheiligeres bekannt ist, als der menschliche Wille: aber so fragwürdig diese Theorie auch psychologisch und rechtlich sein mag, so zeigt sie doch einen philosophischeren und tieferen Charakter als die Theorien, die sich nur auf die Arbeit und die Autorität des Gesetzes gründen: und man sieht worauf diese Theorie hinausläuft, nämlich auf die Gleichheit, die sie in allen ihren Begriffen ins Spiel bringt.


Aber vielleicht sieht die Philosophie die Dinge zu sehr von oben herab an und ist nicht praktisch genug; vielleicht erscheinen von dem Gipfel der Spekulation aus die Menschen zu winzig, als daß der Metaphysiker ihre Verschiedenheit in Rechnung ziehen kann; vielleicht endlich ist auch die Gleichheit der Bedingungen eine von jenen Aphorismen, die in ihrer sublimen Allgemeinheit wahr sind, deren strenge Anwendung aber im täglichen Leben und im sozialen Verkehr lächerlich und sogar gefährlich wäre. Zweifellos wäre es hier angebracht, die weise Zurückhaltung der Moralisten und Juristen nachzuahmen, die nur nichts auf die Spitze getrieben wissen wollen und sich vor jeder Definition hüten, weil es keine gibt, die man nicht, wie sie sagen, durch ihre unheilvollen Konsequenzen umstoßen könnte: Omnis definitio in jure civili periculosa est: parum est enim ut non subverti possit. Die Gleichheit der Bedingungen, dieses den Ohren des Eigentümers so schreckliche Dogma, diese tröstliche Wahrheit am Sterbebette des Armen, diese furchtbare "Wirklichkeit unter dem Messer des Anatomen, diese Gleichheit der Bedingungen, ist in der politischen, bürgerlichen und industriellen Sphäre nichts weiter als eine betrügerische Unmöglichkeit, ein biederer Köder, eine satanische Lüge.


Ich habe nicht den Grundsatz, meine Leser zu überraschen; wie den Tod verabscheue ich jeden, der in seinen Worten wie in seinem Verhalten Umschweife macht. Von der ersten Seite dieser Schrift an habe ich mich so klar und entschieden ausgedrückt, damit jedermann von Anfang an weiß, was er von meinen Gedanken und Hoffnungen zu halten hat, und man wird mir nur dann Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn man sagt, es wäre schwer, gleichzeitig mehr Offenheit und Kühnheit an den Tag zu legen. Ich fürchte deshalb also nicht, zu weit zu gehen, wenn ich sage, daß die Zeit nicht so weit entfernt ist, in der diese von den Philosophen so bewunderte Zurückhaltung, das von den Doktoren der Moralwissenschaft und der politischen Wissenschaft so anempfohlene Juste-Milieu nur noch als das schmachvolle Kennzeichen einer prinzipienlosen Wissenschaft und als Stempel seiner Schande betrachtet wird. In der Gesetzgebung und der Moral sind, genau wie in der Geometrie, die Axiome absolut, die Definitionen sicher und die letzten Konsequenzen, vorausgesetzt daß sie streng gezogen worden sind,
Gesetze. Beklagenswerter Hochmut! Wir wissen nichts von unserer Natur und belasten sie mit unseren Widersprüchen und wagen dann im Ausbruch unserer naiven Unwissenheit auszurufen: "Die Wahrheit besteht im Zweifel, die beste Definition ist, nichts zu definieren." Eines Tages werden wir erfahren, ob diese trostlose Unsicherheit der Rechtswissenschaft von ihrem Gegenstande oder von ihren Vorurteilen herrührt; ob es nicht zur Erklärung der sozialen Tatsachen genügt, unsere Hypothesen zu verändern, so wie es Kopernikus machte, als er das ptolemäische System widerlegte.


Was aber wird man sagen, wenn ich jetzt sofort zeige, daß dieselbe Rechtswissenschaft unaufhörlich zur Legitimation des Eigentumsrechts mit der Gleichheit argumentiert? Was wird man darauf zu erwidern haben?


§ 3 Über das bürgerliche Gesetz als Begründung und Heiligung des Eigentums


Pothier scheint zu glauben, daß das Eigentum, ebenso wie das Königtum, göttlichen Rechtes sei: er führt seinen Ursprung auf Gott selbst zurück: Ab Jove principium. Er beginnt folgendermaßen:


"Gott hat die oberste Herrschaft über das Weltall und alle Dinge, die es umfaßt: Domini est terra et plenitudo ejus orbis terrarum et universi qui habitant in eo. - Für das Menschengeschlecht hat er die Erde mit allen ihren Wesen geschaffen, und er hat ihm die Herrschaft darüber gegeben, die der seinigen untergeordnet ist: Du hast es über Deiner Hände Werk gesetzt - Du hast ihm die Natur zu Füßen gelegt, sagt der Psalmist. Gott vollzog diese Schenkung an das Menschengeschlecht mit folgenden Worten, die er an unsere ersten Vorfahren nach der Schöpfung richtete: Wachset und mehret euch, und erfüllet die Erde, usw..."


Wer sollte nach diesem ausgezeichneten Anfang nicht glauben, daß das Menschengeschlecht wie eine große Familie in brüderlicher Einigkeit unter dem Schutz eines ehrwürdigen Vaters lebte? Aber, mein Gott, was für feindliche Brüder sind es, was für entartete Väter und was für verschwenderische Kinder!


Gott hat die Erde dem Menschengeschlecht geschenkt: warum habe ich nichts bekommen? Er hat mir die Natur zu Füßen gelegt, und ich weiß nicht, wo ich mein Haupt niederlegen soll! Vermehrt Euch, sagt er uns durch das Organ seines Interpreten Pothier. Ach,weiser Pothier, das ist ebenso leicht getan, als gesagt; aber gib doch erst dem Vogel Moos zu seinem Nest.


"Nachdem das Menschengeschlecht sici vermehrt hatte, teilten die Menschen die Erde und die Mehrzahl der darauf befindlidien Sachen unter sich: und was jedem von ihnen zufiel, begann ihm nun ausschließlich zu gehören: das ist der Ursprung des Eigentumsrechtes."


Sprecht doch endlich einmal vom Besitzrecht! Die Menschen lebten in einer Gemeinschaft, ob in einer positiven oder negativen Gemeinschaft, spielt keine Rolle: in ihr gab es also kein Eigentum, weil es nicht einmal privaten Besitz gab. Als das Anwachsen des Besitzes nach und nach zur Arbeit zwang, um die Mittel zum Unterhalt zu vermehren, kam man überein, - ob ausdrücklich oder stillschweigend, tut nichts zur Sache - daß der Arbeiter alleiniger Eigentümer des Ertrages seiner Arbeit sein sollte: d. h. man schloß einen rein deklaratorischen Vertrag über die Tatsache, daß von nun an niemand ohne Arbeit leben konnte. Hieraus folgte notwendig, daß - um die Gleichheit des Unterhalts zu erlangen - für die Gleichheit der Arbeit gesorgt werden mußte; und damit die Arbeit gleich wurde, mußten die Mittel, zu arbeiten, gleich sein. Wer nun, ohne zu arbeiten, sich mit Gewalt oder List des Unterhalts eines anderen bemächtigte, verletzte die Gleichheit und stellte sich über das Gesetz und außerhalb desselben. Wer die Produktionsmittel unter dem Verwände in Beschlag nahm, tätiger als die anderen zu sein, zerstörte ebenfalls die Gleichheit. Und da die Gleichheit damals der Ausdruck des Rechtes war, war jeder, der ein Attentat auf sie machte, ungerecht.


So entstand mit der Arbeit der Privatbesitz, das Recht an der Sache, das jus in re, aber an welcher Sache? Offenbar am Erzeugnis, nicht am Boden; so haben es immer die Araber verstanden, und nach den Berichten von Cäsar und Tacitus auch ehemals die Germanen.


"Die Araber", sagt de Sismondi, "die das Eigentum des Menschen an den von ihm aufgezogenen Herden anerkensen, machen dem, der ein Feld eingesät hat, nicht die Ernte streitig: aber sie sehen nicht ein, warum nicht ein anderer, ein Gleicher, nicht auch das Recht haben sollte, zu säen, wenn die Reihe an ihn kommt. Die Ungleichheit, die von dem angeblichen Recht der ersten Okkupation herkommt, scheint ihnen durchaus nicht auf dem Prinzip der Gerechtigkeit zu beruhen; denn wenn-der ganze Raum unter eine gewisse Anzahl von Einwohnern geteilt wird, so entsteht für diese ein Monopol gegenüber dem Rest der Nation, dem sie sich nicht unterwerfen wollen..."


Anderswo hat man überall die Erde geteilt; ich gebe zu, daß daraus eine stärkere Organisation unter den Arbeitern entsteht und daß dieses feste und dauerhafte Verteilungsmittel große Bequemlichkeit erlaubt; aber wie konnte diese Teilung für jeden ein übertragbares Eigentumsrecht auf eine Sache begründen, an der alle ein unveräußerliches Besitzrecht hatten? Nach den Begriffen der Rechtswissenschaft ist diese Metamorphose des Besitzers in einen Eigentümer rechtlich unmöglich: sie zieht in der Jurisdiktion der Urzeit die Kumulierung von Possessorium und Petitorium nach sich, und in diesem Zugeständnis, von dem man annimmt, es sei bei den Teilenden gegenseitig gewesen, liegt die vertragliche Einigung über ein natürliches Recht. Die ersten Ackerbauer, die auch die ersten Gesetzgeber waren, waren nicht so gelehrt wie unsere Juristen, wie ich zugeben will, und wenn sie es auch gewesen wären, so hätten sie es nicht schlechter machen können: daher sahen sie nicht die Folgen der Umwandlung des Rechts des Privatbesitzes in das absolute Eigentum voraus. Aber warum haben die, die später zwischen dem jus in re und dem jus ad rem unterschieden, diese Unterscheidung nicht auch auf das Prinzip des Eigentums angewandt?


Ich erinnere die Juristen an ihre eigenen Maximen.


Das Eigentumsrecht kann, wenn überhaupt, nur einen einzigen Grund haben. Dominium non potest nisi ex una causa contingere. Ich kann verschiedene Titel für den Besitz haben, aber ich kann nur auf Grund eines einzigen Eigentümer sein: Non, ut ex pluribus causis idem nobis deberi potest, ita ex pluribus causis idem potest nostmm esse. Das Feld, das ich gerodet habe, das ich bestelle, auf dem ich mein Haus gebaut habe, das mich, meine Familie und mein Vieh ernährt, kann ich besitzen: 1. mit dem Titel der ersten Okkupation; 2. mit dem Titel des Arbeiters; 3. kraft des Gesellschaftsvertrages, der es mir als Anteil zuweist. Aber keiner dieser Titel gibt mir das Eigentumsrecht; denn, wenn ich das Recht der Okkupation anrufe, so kann mir die Gesellschaft erwidern: Ich okkupiere vor Dir; wenn ich meine Arbeit geltend mache, so sagt sie: Nur unter dieser Bedingung besitzest Du; wenn ich von Verträgen spreche, so wird sie entgegnen: Gerade diese Verträge geben Dir die Eigenschaft eines Nießbrauchers. Und doch sind dies die einzigen Titel, auf die sich die Eigentümer berufen; sie haben niemals andere entdecken können. In der Tat setzt jedes Recht, lehrt uns Pothier, eine Ursache voraus, die es in der Person hervorbringt, welche es genießt; aber für den Menschen, der zur Welt kommt und stirbt, für diesen Erdensohn, der wie ein Schatten verschwindet, gibt es den äußeren Dingen gegenüber nur einen Besitz-, und nicht einen Eigentumstitel. Wie könnte denn die Gesellschaft ein Recht gegen sich selbst da anerkennen, wo es an einer Entstehungsursache fehlt? Wie konnte das Gesetz diesen Mißbrauch der Gewalt heiligen?

Der Deutsche Ancillon antwortet darauf:


"Einige Philosophen behaupten, daß der Mensch durch Anwendung seiner Kraft auf einen Gegenstand der Natur, auf ein Feld, auf einen Baum, nur Redite an den Veränderungen, die er daran anbringt, an der Form, welche er dem Gegenstand gibt, nicht aber am Gegenstand selbst erwirbt. Das ist eine grundlose Unterscheidung: wenn die Form von dem Gegenstand getrennt werden könnte, so ließe sich vielleicht hierüber streiten; aber da dies fast immer ausgeschlossen ist, ist die Anwendung der menschlichen Kraft auf verschiedene Gegenstände der sichtbaren Welt die erste Grundlage des Eigentumsrechtes, der erste Ursprung der Güter."


Welch nichtige Scheinbegründung! Wenn die Form nicht vom Gegenstande getrennt werden kann, und ebenso nicht Eigentum vom Besitz, muß man den Besitz aufteilen: in allen Fällen behält die Gesellschaft das Recht, Eigentumsbedingungen aufzustellen. Angenommen, eine Domäne würfe 10 000 Franken Brutto-Einkommen ab und sie könnte, was wirklich außergewöhnlich wäre, nicht geteilt werden; und weiterhin betrügen nach den wirtschaftlichen Berechnungen die jährlichen Durchschnittsausgaben pro Familie 3 000 Franken; dann muß der Besitzer dieses Eigentums gehalten sein, sie als guter Familienvater zu nutzen und der Gesellschaft eine Gebühr in Höhe von 10 000 Franken entrichten, nach Abzug aller Bewirtschaftungskosten und der für den Unterhalt seiner Familie notwendigen 3 000 Franken. Diese Gebühr ist keine Pacht, sondern nur eine Entschädigung.
Was ist das für eine Gerechtigkeit, die Urteile wie das folgende fällt:


"In Erwägung, daß durch Bearbeitung die Sache ihre Form geändert hat, so daß Form und Gegenstand ohne Zerstörung des letzteren nicht voneinander getrennt werden können, muß entweder die Gesellschaft enterbt werden oder der Arbeiter den Ertrag seiner Arbeit verlieren:


In Erwägung, daß sich in jedem anderen Fall das Eigentum des Gegenstandes zugleich auf das Eigentum des mit ihm Verbundenen erstreckt, vorbehaltlich einer Entschädigung, daß aber im vorliegenden Fall das Eigentum der Nebensache das der Hauptsache nach sich ziehen muß; wird das Aneignungsrecht durch die Arbeit Privatpersonen nicht gestattet; es findet nur auf die Gesellschaft Anwendung."

Dies ist die Art, in der die Juristen ständig über das Eigentum urteilen. Das Gesetz wird aufgestellt, um die Rechte der Menschen untereinander festzusetzen, d. h. von jedem gegen jeden und von jedem gegen alle; und als ob eine Gleichung aus weniger als vier Gliedern bestehen könnte, rechnen die Juristen nie mit dem letzten. Solange der eine Mensch Gegner des anderen ist, bildet das Eigentum das Gegengewicht gegen das Eigentum; und beide Kräfte halten sich im Gleichgewicht: sobald der Mensch isoliert, d. h. Gegner der Gesellschaft ist, die er selbst repräsentiert, befindet sich die Rechtswissenschaft auf einem Holz weg ;Themis hat eine Schale ihrer Waage verloren.


Hören wir den Professor von Rennes, den gelehrten Toullier:


"Wie konnte aus der Bevorzugung, die man durch die Okkupation erwarb, ein festes und dauerhaftes Eigentum werden, das fortbestehen und das beansprucht werden konnte, nachdem der erste Okkupant aufgehört hatte, zu besitzen?
Der Ackerbau war eine natürliche Folge der Vermehrung des Menschengeschlechts, und der Ackerbau seinerseits förderte wiederum die Bevölkerung und machte die Einrichtung eines dauerhaften Eigentums notwendig; denn wer hätte sich der Mühe unterziehen wollen, zu arbeiten und zu säen, wenn er nicht die Gewißheit gehabt hätte, ernten zu können?"


Man hätte dem Arbeiter, um ihn zu beruhigen, nur den Besitz der Ernte zusichern können: aber wenn man zugesteht, seine Besitzergreifung des Landes aufrechtzuerhalten, solange er es bebaut: so war dies alles, was er von Rechts wegen erwarten konnte, alles, was der Fortschritt der Zivilisation erforderte.


Aber das Eigentum! das Eigentum! Wer hatte denn die Autorität, das Heimfallrecht an einem Boden, den man weder besitzt noch bebaut, auf zuzwingen, und wer konnte es überhaupt beanspruchen?


"Der Ackerbau genügte nicht allein, um das dauerhafte Eigentum zu schaffen; es bedurfte dazu positiver Gesetze und Beamter, um sie auszuführen; mit einem Worte: man brauchte den bürgerlichen Staat.
Die Vermehrung des Menschengeschlechtes hatte den Ackerbau notwendig gemacht; das Bedürfnis, dem Landwirt den Ertrag seiner Arbeit zu verschaffen, ließ fühlen, wie notwendig ein dauerhaftes Eigentum und Gesetze zu seinem Schütze seien. Dem Eigentum also verdanken wir die Errichtung des bürgerlichen Staates." .


Jawohl, unseres bürgerlichen Staates, so wie Ihr ihn gemacht habt, eines Staates, der zunächst Despotie, dann Monarchie, dann Aristokratie und jetzt Demokratie, zu allen Zeiten aber Tyrannei war.


"Ohne das Band des Eigentums wäre es niemals möglich gewesen, die Menschen unter das heilsame Joch des Gesetzes zu beugen; und ohne das dauerhafte Eigentum wäre die Erde ein Urwald geblieben. Wir wollen daher mit den gründlichsten Autoren sagen, daß zwar das vorübergehende Eigentum oder das Vorzugsrecht, welches die Okkupation gibt, der Begründung der bürgerlichen Gesellschaft vorangeht, das dauerhafte Eigentum aber, wie wir es jetzt kennen, erst das Werk des bürgerlichen Rechtes ist. - Das bürgerliche Recht hat als Grundsatz aufgestellt, daß das einmal erworbene Eigentum ohne eine Handlung des Eigentümers nicht verlorengeht und daß es selbst dann fortdauert, wenn der Eigentümer den Besitz oder den Gewahrsam der Sache verloren hat und sie sich in den Händen eines Dritten befindet.
So wurden also Eigentum und Besitz, die im Urzustand zusammengeworfen wurden, durch das bürgerliche Recht zu zwei unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Dingen; zu zwei Dingen, die in der Gesetzessprache gar nichts miteinander gemein haben. Man ersieht hieraus, wie merkwürdig sich das Eigentum verändert hat und wie sehr die bürgerlichen Gesetze seine Natur verändert haben."


Das Gesetz ist also bei der Begründung des Eigentums nicht der Ausdruck einer psychologischen Tatsache, die Entwicklung eines Naturgesetzes oder die Anwendung eines Moralprinzips gewesen; sondern es hat im wahrsten Sinn des Wortes außerhalb seiner Kompetenz ein Recht geschaffen; es hat eine Abstraktion, eine Metapher, eine Fiktion verwirklicht; und zwar ohne gütigst die Folgen zu bedenken, ohne sich mit den Nachteilen zu befassen und ohne zu untersuchen, ob es gut oder böse handele; es hat den Egoismus geheiligt; es hat ungeheuerliche Ansprüche unterschrieben; es hat ruchlose Wünsche befriedigt, als ob es in seiner Macht stünde, einen bodenlosen Abgrund auszufüllen und die Hölle zu sättigen. Blindes Gesetz, Gesetz des unwissenden Menschen, Du bist gar kein Gesetz; Du bist ein Wort der Zwietracht, der Lüge und des Blutvergießens. Du bist es gewesen, das immer wieder auferstanden, rehabilitiert, restauriert, verjüngt und neugestärkt als Palladium der Gesellschaft das Gewissen der Völker verstört, den Geist der Herrschenden verfinstert und alle Katastrophen der Nationen entschieden hat. Du bist vom Christentum verdammt worden, und doch vergöttern Dich seine unwissenden Diener, die ebensowenig begierig sind, die ebensowenig die Natur und den Menschen studieren wollen, wie sie unfähig sind, ihre Bibel zu lesen.


Aber welchem Führer folgte das Gesetz, als es die Eigentumsdomäne schuf? Von welchem Grundsatz wurde es geleitet? Welcher Richtschnur folgte es?


Es ist unglaublich: die Gleichheit war es.


Der Ackerbau war die Grundlage des Grundbesitzes und die zufällige Ursache des Eigentums. Es bedeutete nichts, wenn man dem Arbeiter den Ertrag seiner Arbeit zusicherte, ohne ihm gleichzeitig das Produktionsmittel zuzusichern; um den Schwachen gegen die Angriffe des Starken zu schützen, um Raub und Betrug zu unterdrücken, empfand man es als notwendig, zwischen den Besitzern feste Grenzlinien, unübersteigbare Hindernisse zu errichten. Jedes Jahr sah man das Volk sich vermehren und die Habgier der Siedler wachsen: man glaubte, dieses Streben dadurch zügeln zu können, daß man Grenzsteine errichtete, an denen es sich brechen sollte. So wurde der Boden angeeignet durch das Bedürfnis der Gleichheit, die für die öffentliche Sicherheit und den friedlichen Genuß des einzelnen nötig war. Zweifellos war die Teilung nie geographisch gleich; eine Menge von Rechten - zum Teil durch die Natur begründet, aber schlecht verstanden und noch schlechter angewendet, wie Erbfolgen, Schenkungen, Tauschgeschäfte, andere wiederum wie die Privilegien der Geburt und des Standes, illegitime Schöpfungen der Unwissenheit und der brutalen Gewalt - waren weitere Ursachen, die absolute Gleichheit zu verhindern. Aber das Prinzip blieb nichtsdestoweniger dasselbe; die Gleichheit hatte den Besitz geheiligt, die Gleichheit heiligte nun das Eigentum.


Der Arbeiter brauchte ein Feld, um alle Jahre zu säen; war es nicht das bequemste und einfachste Mittel für die Barbaren, statt Jahr für Jahr wieder Zank und Streit anzufangen, statt ohne Unterlaß von Land zu Land ihr Haus, ihr Mobiliar, ihre Familie zu schaffen, lieber einem jeden ein festes und unveräußerliches Erbgut zuzusichern?
Der Krieger durfte sich nicht bei seiner Heimkehr seines Besitzes verlustig finden wegen der Dienste, die er dem Vaterlande geleistet hatte, und er mußte sein Erbteil wieder erhalten: es wurde daher Sitte, daß das Eigentum durch den bloßen Willen erhalten bliebe, nudo animo, daß das Eigentum nur durch Zustimmung und Handlung der Eigentümer verloren werden konnte.


Es mußte die Gleichheit der Teile von einer Generation bis zur anderen bewahrt werden, ohne daß der Zwang vorhanden war, die Ländereien beim Tode jeder Familie von neuem zu verteilen: es schien also natürlich und gerecht, daß die Kinder und Verwandten, nach dem Grade der Blutsverwandtschaft oder Schwägerschaft zu dem Verstorbenen, ihm als Erben nachfolgten. Daher rührt zunächst die feudale und patriarchalische Gewohnheit, nur einen einzigen als Erben anzuerkennen, dann, als ganz entgegengesetzte Anwendung des Gleichheitsprinzips, die Zulassung aller Kinder als Erben des Vaters und neuerdings noch bei uns die definitive Abschaffung des Erstgeburtsrechtes.


Aber was haben denn diese groben Versuche einer natürlichen Organisation mit der wahren Sozialwissenschaft gemein? Wie können diese Menschen, die nie die geringste Idee von Statistik, Kataster oder Volkswirtschaft hatten, uns Grundsätze für die Gesetzgebung geben? Das Gesetz, sagt ein moderner Jurist, ist der Ausdruck eines gesellschaftlichen Bedürfnisses, die Erklärung einer Tatsache: der Gesetzgeber macht es nicht, er beschreibt es nur. Diese Definition ist nicht ganz genau: das Gesetz ist nur die Richtschnur, um die sozialen Bedürfnisse zu befriedigen; das Volk stimmt nicht darüber ab, der Gesetzgeber drückt es nicht aus: der Gelehrte entdeckt und formuliert es. Aber auch das Gesetz, wie es Ch. Comte in einem halben Bande zu definieren gesucht hat, konnte ursprünglich nur der Ausdruck eines Bedürfnisses und die Angabe der Mittel, hierfür zu sorgen, sein; und bis auf den heutigen Tag ist es nichts anderes gewesen. Die Juristen haben sich, wie Maschinen, hartnäckig und jeder Philosophie feind, in den Buchstaben verbohrt und als das letzte Wort der Wissenschaft das angesehen, was nur unbedachter Wille gutmeinender, aber wenig vorausschauender Menschen war.


Diese alten Begründer der Eigentumsdomäne sahen nicht voraus, daß das ewige und absolute Recht, sein Erbe zu behalten, das ihnen billig zu sein schien, weil es allgemein war, das Recht nach sich zog, es zu verkaufen, es zu schenken, zu erwerben und zu verlieren; daß es folglich allein auf die Vernichtung jener Gleichheit ausgerichtet ist, für die sie es begründet hatten: aber selbst wenn sie dies hätten voraussehen können, so hätten sie es nicht berücksichtigt; das Bedürfnis des Augenblickes brachte es mit sich, und wie gewöhnlich in solchen Fällen, waren die Nachteile anfangs zu gering und blieben unbeachtet.


Diese treuherzigen Gesetzgeber sahen nicht voraus, daß, wenn das Eigentum einzig und allein durch den Willen, nudo animo, erhalten bleibt, es mit sich bringt das Recht, es zu vermieten, zu verpachten, es auf Zinsen zu verleihen, es gewinnbringend zu vertauschen, Renten zu begründen, eine Abgabe dem Boden aufzuerlegen, den sich der Wille reserviert, während der Körper anderswo beschäftigt ist. Diese Patriarchen unserer Rechtswissenschaft sagen nicht voraus, daß, wenn das Erbfolgerecht etwas anderes ist als die naturgegebene Art und Weise, die Gleichheit der Teile zu bewahren, dann die Familien bald Opfer unglückseliger Ausschließungen werden und die Gesellschaft, durch einen ihrer heiligsten Grundsätze ins Herz getroffen, sich durch Überfluß und Elend selbst zerstört(1).


Anmerkung: (1) Hier zeigt sich vor allem die Einfalt unserer Vorfahren in ihrer ganzen Härte. Nachdem sie die Geschwisterkinder beim Fehlen legitimer Kinder zur Erbfolge berufen, konnten sie nicht so weit gehen, sich derselben zur Ausgleichung der Anteile in zwei verschiedene Linien zu bedienen, so daß man wenigstens nicht in derselben Familie die beiden Extreme des Reichtums und der Not gesehen hätte. Hierfür ein Beispiel:
Jakob hinterläßt bei seinem Tode zwei Söhne, Peter und Hans, als Erben seines Vermögens: Die Güter des Jakob werden unter beide gleichmäßig verteilt. Aber Peter hat nur eine Tochter, während sein Bruder Hans sechs Söhne hinterläßt; es ist klar, daß, um dem Prinzip der Gleichheit wie dem der Erbschaft gerecht zu werden, die Kinder des Peter und Hans die beiden Erbschaften in sieben Teile teilen müßten; denn sonst kann ein Fremder Peters Tochter heiraten, und diese Verbindung bringt die Hälfte der Güter vom Großvater Jakob in fremde Hände, was dem Prinzip der Erbschaft widerspricht; ferner sind die Kinder des Hans arm ihrer Zahl wegen, während ihre Cousine reich ist, weil sie das einzige Kind war: was gegen das Prinzip der Gleichheit verstößt. Wenn man diese Doppelanwendung zweier anscheinend sich widersprechender Prinzipien weiterführt, so wird man sich überzeugen, daß das Erbrecht, gegen das man sich in unseren Tagen mit so wenig Einsicht erhoben hat, kein Hindernis für die Behauptung der Gleichheit bietet.
Unter welcher Herrschaftsform wir auch leben mögen, so wird sich doch immer der Satz bewahrheiten, daß "le mort saisit le vif", d. h. daß es immer Erbschaft und Erbfolge geben wird, wer auch immer als Erbe anerkannt werden mag. Aber die Saint-Simonisten möchten den Erben von der Behörde bestimmen lassen; andere möchten, daß er vom Toten gewählt oder vom Gesetz bezeichnet werde: die Hauptsache ist, daß der Wunsch der Natur unter Berücksichtigung des Gesetzes der Gleichheit erfüllt werde. Heute bestimmen in Wirklichkeit Zufall oder Willkür die Erbfolge, und in Angelegenheiten der Gesetzgebung können Zufall und Willkür niemals als Maßstab anerkannt werden. Um den unendlichen Verwirrungen, die der Zufall im Gefolge hat, entgegenzutreten, hat die Natur uns, nachdem sie uns gleich geschaffen, das Prinzip der Erblichkeit gegeben, gleich einer Stimme, durch die die Gesellschaft unser Urteil darüber verlangt, wen von unseren Brüdern wir am fähigsten halten, nach uns unsere Aufgabe zu vollenden.


Sie sahen nicht ein ... Aber warum soll ich fortfahren? Die Konsequenzen lassen sich von selbst bemerken, und es ist hier nicht der Ort, eine Kritik an dem ganzen Gesetzbuch vorzunehmen.


Die Geschichte des Eigentums bei den alten Völkern kann nicht mehr als unser wissenschaftliches Interesse oder unsere Neugierde wachrufen. Es ist ein feststehender Satz der Rechtswissenschaft, daß die Tatsache nicht das Recht hervorbringt: nun, auch das Eigentum kann sich nicht dieser Regel entziehen; deshalb legitimiert die allgemeine Anerkennung des Eigentumsrechts dasselbe noch nicht als Recht. Der Mensch hat sich über die Gründung der Gesellschaft, über die Natur des Rechts und über die Anwendung der Gerechtigkeit getäuscht, wie er sich über die Ursache der Meteore und die Bewegung der Himmelskörper täuschte; seine alten Ansichten können nicht als Glaubensartikel angenommen werden. Was kümmert es uns, daß das indische Volk in vier Kasten geteilt ist; daß an den Ufern des Nils und des Ganges ehemals die Verteilung der Erde nach dem Adel des Blutes und der Tätigkeit vorgenommen wurde; daß Griechen und Römer das Eigentum unter den Schutz der Götter stellten; und daß die Grenz- und Katastervorgänge bei ihnen von religiösen Zeremonien begleitet wurden? Die Verschiedenheit der Formen des Privilegs entschuldigt nicht seine Ungerechtigkeit; die Verehrung Jupiters als Eigentümer (Zeus klesios) ist kein Beweis gegen die Gleichheit der Bürger, ebensowenig wie die Mysterien der unkeuschen Venus einen Beweis gegen die eheliche Keuschheit darstellen.


Das Menschengeschlecht kann nicht als Autorität angesehen werden, wenn es das Eigentumsrecht anerkennt, denn dieses Recht, das notwendigerweise aus der Gleichheit entspringt, steht mit seinem Prinzip im Widerspruch; ebenso bedeutungslos ist das Urteil der Religionen, die es geheiligt haben, weil zu allen Zeiten sich der Priester in den Dienst der Fürsten gestellt hat und die Götter immer geredet haben, wie die Politiker wollten; die sozialen Vorteile, die aus dem Eigentum entspringen sollen, können nicht zu seiner Verteidigung angeführt werden, weil sie alle aus dem Prinzip der Gleichheit des Besitzes hervorgingen, den man nicht davon trennte.

Was bedeutet nun, nach alledem, dieser Lobgesang auf das Eigentum: "Die Begründung des Eigentumsrechts ist die bedeutsamste aller menschlichen Institutionen ..."

Jawohl, so wie die Monarchie die ruhmvollste aller ist.
"Die erste Ursache des Wohlergehens des Menschen auf Erden."
Weil man ihm die Gerechtigkeit als Prinzip unterschob.
"Das Eigentum wurde das gesetzliche Ziel seines Ehrgeizes, die Hoffnung seiner Existenz, die Zuflucht seiner Familie, mit einem Wort: der Grundstein des häuslichen Herdes, der Städte und des Staates."
Der Besitz allein hat dies alles vollbracht.
"Ewiges Prinzip."
Das Eigentum ist ewig wie jede Negation.
"Jeder sozialen und bürgerlichen Institution."
Deshalb wird jede Institution und jedes Gesetz, die auf dem Eigentum beruhen, zugrunde gehen.
"Es ist ein ebenso kostbares Gut wie die Freiheit."
Für den reichgewordenen Eigentümer.
"In der Tat, die Kultur der bewohnbaren Erde."
Wenn der Landwirt aufhört, Pächter zu sein, wird dann die Erde schlechter bebaut sein?
"Die Garantie und Sittlichkeit der Arbeit."
Durch das Eigentum wird die Arbeit nicht zur Bedingung, sondern zum Privileg.
"Die Anwendung der Gerechtigkeit."
Was ist die Gerechtigkeit ohne Gleichheit des Vermögens? Eine Waage mit falschen Gewichten.
"Alle Moral."
Der hungernde Magen kennt überhaupt keine Moral.
"Alle gesetzliche Ordnung."
Jawohl, die Erhaltung des Eigentums.
"Beruht auf dem Eigentumsrecht (2)."
Der Eckstein alles dessen, was da ist, der Stein des Anstoßes für alles, was sein soll: das ist das Eigentum.
Ich fasse zusammen und schließe:
Die Okkupation führt nicht nur zur Gleichheit; sie verhindert auch das Eigentum. Denn, weil jeder Mensch nur deshalb, weil er existiert und weil er zum Leben eines Gegenstandes der Ausbeutung und Bearbeitung bedarf und weil andererseits sich die Zahl der Okkupanten durch Geburts- und Sterbefälle stets ändert, folgt hieraus, daß der Anteil an Gegenständen, die jeder Arbeiter beanspruchen kann, veränderlich ist wie die Zahl der Okkupanten; folglich ist die Okkupation immer von der Bevölkerung abhängig; und endlich kann der Besitz als Recht nie fest bleiben, es ist in der Tat unmöglich, daß er Eigentum wird.

Anmerkung:(2) Giraud, Recherches sur le droit de propriété chez les Romains (1835 [d. H.]).


Jeder Okkupant ist daher notwendigerweise Besitzer oder Nießbraucher, eine Eigenschaft, die die des Eigentümers ausschließt. Das Recht des Nießbrauchers besteht nun darin: er ist für die ihm anvertraute Sache verantwortlich, er darf sie nur dem allgemeinen Nutzen entsprechend gebrauchen und sie erhalten und entwickeln: er darf sie hingegen nicht ändern, verschlechtern oder umarbeiten; er kann den Nießbrauch nicht derart teilen, daß ein anderer die Sache bearbeitet, während er selbst den Ertrag genießt; mit einem Wort: der Nießbraucher ist unter die Aufsicht der Gesellschaft gestellt, er ist der Bedingung der Arbeit und dem Gesetze der Gleichheit unterworfen.


Hierdurch wird die römische Definition des Eigentums zerstört: Recht des Gebrauches und Mißbrauches, eine aus der Gewalt hervorgegangene Unsittlichkeit, die ungeheuerlichste Anmaßung, die die bürgerlichen Gesetze sanktioniert haben. Der Mensch empfängt seinen Nießbrauch aus den Händen der Gesellschaft, die allein auf dauernde Weise besitzt: das Individuum ist vergänglich, die Gesellschaft stirbt niemals. Welch tiefer Ekel bemächtigt sich meiner, wenn ich so triviale Wahrheiten darlege! Sind das Dinge, an denen wir heute noch zweifeln? Muß man noch einmal zu den Waffen greifen für ihren Triumph, und wird sie die Gewalt allein, statt der Vernunft, in unsere Gesetze einführen können? Das Recht der Okkupation ist gleich für alle!


Der Maßstab für die Okkupation liegt nicht im Willen, sondern in den veränderlichen Bedingungen des Raumes und der Zahl; daher kann sich das Eigentum nicht bilden.


Das hat noch kein Gesetzbuch jemals ausgesprochen und keine Verfassung zugelassen! Das sind Axiome, die vom bürgerlichen Recht wie vom Völkerrecht verworfen wurden!


Aber da höre ich die Zurufe von den Anhängern eines anderen Systems: "Die Arbeit! Die Arbeit schafft das Eigentum!"


Leser, täusche Dich nicht: diese neue Begründung des Eigentums ist schlimmer als die erste, und ich werde Dich sogleich um Verzeihung zu bitten haben, daß ich klarere Dinge zu entwickeln und ungerechtere Ansprüche zu widerlegen habe als alle, die Du bis jetzt gesehen hast.


DRITTES KAPITEL

Die Arbeit als ursächliche Begründung des Eigentumsrechts


Fast alle modernen Juristen haben im Vertrauen auf die Nationalökonomen die Theorie der ursprünglichen Okkupation als zu brüchig aufgegeben, um sich ausschließlich der Theorie anzuschließen, die das Eigentum aus der Arbeit entstehen läßt. Vorweg gesagt, das hieße sich selbst täuschen und im Kreise drehen. Um zu arbeiten, muß man okkupieren, sagt Cousin. Folglich, habe ich gesagt, muß ' man sich, da das Okkupationsrecht für alle gleich ist, der Gleichheit unterwerfen, um zu arbeiten. "Die Reichen", ruft Jean-Jaques (Rousseau ). aus, "haben gut reden: ich habe diese Mauer erbaut, ich habe dieses Land durch meine Arbeit gewonnen. - Wer hat euch denn diese Grenzen gegeben, können wir ihnen antworten, und mit welchem :"Rechte verlangt ihr, auf unsere Kosten für eine Arbeit bezahlt zu werden, mit der wir euch gar nicht beauftragt haben?" Alle Sophismen zerschellen an dieser Logik!


Aber die Anhänger der Arbeit bemerken gar nicht, daß ihr System in völligem Widerspruch zum Gesetzbuch steht; denn sämtliche Artikel und Anordnungen desselben setzen voraus, daß das Eigentum auf der ursprünglichen Okkupation begründet sei. Wenn das Eigentum nur durch die Arbeit und die daraus folgende Aneignung entsteht, so lügt der Code Civil, dann ist die Charte eine Unwahrheit, dann ist unser ganzes Gesellschaftssystem eine Verletzung des Rechts. Das wird sich mit der letzten Klarheit aus der '.,o Erörterung ergeben, die wir in diesem wie im folgenden Kapitel über das Recht der Arbeit wie über das Eigentum als Tatsache selbst anstellen werden. Dabei werden wir gleichzeitig sehen, daß sich ; einerseits unsere Gesetzgebung selbst widerspricht und daß andererseits die moderne Jurisprudenz sowohl ihrem Prinzip als auch der Gesetzgebung widerspricht.


Ich habe behauptet, daß das System, welches das Eigentum auf die Arbeit gründet, ebenso wie dasjenige, das es auf die Okkupation gründet, die Gleichheit des Vermögens voraussetzt; und der Leser wird mit Ungeduld darauf warten, wie ich aus der Ungleichheit des Talents und der Fähigkeiten dieses Gesetz der Gleichheit ableiten werde: sogleich soll er zufriedengestellt werden. Aber ich muß seine Aufmerksamkeit einen Augenblick auf einen bemerkenswerten Nebenpunkt des Prozesses lenken, nämlich auf die Ersetzung der Okkupation als Prinzip des Eigentums durch die Arbeit: und ich muß rasch einige Vorurteile bemerken, auf die sich gewöhnlich die Eigentümer berufen, die die Gesetzgebung heiligt und die das System der Arbeit von Grund aus vernichten wird.


Hast Du, Leser, schon einmal dem Verhör eines Angeklagten beigewohnt? Hast Du seine Ränke, sein Abschweifen, seine Ausflüchte, seine Unterscheidungen und seine Zweideutigkeiten bemerkt? Geschlagen, verwirrt in allen seinen Angaben, verfolgt wie ein wildes Tier durch den unerbittlichen Richter, von Lüge zu Lüge gehetzt, bekennt er, leugnet er, verbessert und widerspricht er sich; er erschöpft alle Kunstgriffe der Dialektik, wobei er tausendmal feiner und erfindungsreicher zu Werke geht als der Erfinder der zweiundsiebzig Formen des Syllogismus. So macht es auch der Eigentümer, wenn er vorgeladen wird, sein Recht zu verteidigen: zunächst weigert er sich zu antworten, er schreit, droht und trotzt; wird er dann gezwungen, den Kampf aufzunehmen, so verschanzt er sich hinter Spitzfindigkeiten, umgibt sich mit einer furchtbaren Artillerie, eröffnet ein Kreuzfeuer und schickt der Reihe nach oder zugleich die Okkupation, den Besitz, die Verjährung, die Verträge, das unvordenkliche Herkommen und die allgemeine Übereinstimmung vor. Wird er auf diesem Felde besiegt, dann kehrt er sich wie ein verwundeter Eber um: Ich habe mehr getan als nur okkupiert, ruft er in furchtbarer Erregung, ich habe gearbeitet, ich habe produziert, ich habe Verbesserungen vorgenommen, umgewandelt, ich habe geschaffen. Dieses Haus, diese Felder, diese Bäume sind das Werk meiner Hände; dort wo Brombeeren und Disteln wuchsen, habe ich Wein und Feigenbäume gepflanzt; ich ernte jetzt auf den Stätten des Hungers. Ich habe den Boden mit meinem Schweiße gedüngt, ich habe jene Menschen bezahlt, die ohne den Taglohn, den sie bei mir verdienten, Hungers gestorben wären. Keiner hat meine Mühe und Kosten abgestritten, keiner soll nun mit mir die Frucht teilen.


Du hast gearbeitet, Eigentümer! Was redest Du also von ursprünglicher Okkupation? Was! Warst Du Deines Rechts nicht sicher, oder hofftest Du wohl die Menschen zu täuschen und der Gerechtigkeit etwas vorzuspiegeln? Nur rasch heraus mit Deinen Verteidigungsmitteln, denn Du kannst gegen das Urteil keine Berufung einlegen, und Du weißt, daß es sich um eine Wiedererstattung handelt.


Du hast gearbeitet! Aber was hat denn die Arbeit, zu der die Pflicht Dich zwingt, mit der Aneignung von Sachen des Gemeinwesens zu tun? Wußtest Du nicht, daß die Herrschaft über den Boden etwa so wenig wie die über Luft und Licht angeordnet werden kann?


Du hast gearbeitet! Hättest Du nie die anderen können arbeiten lassen? Wie konnten denn sie mit ihrer Arbeit für Dich das verlieren, was Du zu erwerben wußtest, ohne für sie zu arbeiten?


Du hast gearbeitet! Nun wohl: aber zeige uns Dein Werk. Wir wollen es zählen, wiegen, messen. Das wird das Urteil des Balthasar sein: Denn ich schwöre es bei jener untrüglichen Waage, wenn Du Dir die Arbeit eines anderen angeeignet hast, gleichgültig auf welche Weise, so mußt Du alles bis auf den letzten Pfennig wiedergeben.


Man hat also das Prinzip der Okkupation aufgegeben; man sagt nicht mehr: Die Erde gehört dem ersten, der sich ihrer bemächtigt. Das Eigentum, aus seiner ersten Verschanzung vertrieben, verleugnet sein früheres Gehabe; die Gerechtigkeit kehrt beschämt zu ihren Grundsätzen zurück und läßt voll Schmerz ihre Binde über die errötenden Wangen herab. Und erst seit gestern datiert dieser Fortschritt der Sozialphilosophie: fünfzig Jahrhunderte bedurfte es, um eine Lüge auszulöschen! Wieviel geheiligte Usurpationen, wieviel als ruhmvoll gepriesene Invasionen, wieviel gesegnete Eroberungen geschahen während dieser jammervollen Zeit! Wie viele haben während ihrer Abwesenheit ihren Besitz verloren, wieviel arme Verbannte gab es, wieviel Hungrige sind durch jenen hitzigen und dreisten Reichtum ausgeschlossen worden! Wieviel Neid und Streit gab es! Wieviel Brand und Mord unter den Völkern! Und jetzt endlich gibt man zu, dank der Zeit und der Vernunft, daß die Erde nicht der Preis des Zufalls sei und daß, wenn keine anderen Hindernisse da sind, jedermann Platz unter der Sonne hat; jeder kann seine Ziege an einen Zaun binden, seine Kuh auf die Ebene treiben, ein Stück Land einsäen und sein Brot in seinem Ofen backen.


Aber nein, nicht jeder kann es. Ich höre von allen Seiten rufen: Ruhm der Arbeit und der Industrie! Jedem nach seiner Fähigkeit, jeder Fähigkeit nach ihren Werken. Und ich sehe drei Viertel der Menschheit von neuem in Lumpen: man könnte meinen, die Arbeit der einen ließe Regen und Hagel auf die der anderen herabfallen.


"Das Problem ist gelöst", ruft Hennequin aus. "Das Eigentum, die Tochter der Arbeit, genießt die Gegenwart und Zukunft nur unter dem Schütze der Gesetze. Sein Ursprung liegt im Naturrecht, seine Macht im bürgerlichen Recht; und aus der Verbindung dieser beiden Begriffe, Arbeit und Schutz, ist die positive Gesetzgebung hervorgegangen ..."


Aber, das Problem ist gelöst! Das Eigentum ist die Tochter der Arbeit! Was ist denn nun das Zuwachs-Recht, das Recht der Erbfolge, das Recht der Schenkung usw. anderes als das Recht, durch die einfache Okkupation Eigentümer zu werden? Was sind Eure Gesetze über Mündigkeit, Mündigsprechen, Vormundschaft, Entmündigung anderes als die verschiedenen Bedingungen, durch die derjenige, welcher bereits Arbeiter ist, das Recht der Okkupation, d. h. das Eigentumsrecht, erwirbt oder verliert? ...


Da ich hier nicht das Gesetzbuch detailliert betrachten will, begnüge ich mich damit, die drei Vorurteile, die man gewöhnlich zur Verteidigung des Eigentums vorbringt, zu untersuchen: 1. Die Aneignung oder Bildung des Eigentums durch den Besitz, 2. die allgemeine Übereinkunft der Menschen, 3. die Verjährung. Sodannwerde ich die Wirkungen der Arbeit, sowohl bezüglich der Lage der Arbeiter, als auch bezüglich des Eigentums, betrachten.


§ l Es kann keine Aneignung des Erdbodens geben


"Den anbauungsfähigen Teil der Erde scheint man zu den natürlichen Reichtümern rechnen zu müssen, da er keine menschliche Schöpfung ist und die Natur ihn dem Menschen umsonst gibt; da aber dieser Reichtum nicht flüchtig ist wie Luft und Wasser, da ein Feld ein fester, umgrenzter Raum ist, den sich gewisse Menschen aneignen konnten unter Ausschließung aller übrigen, die ihre Einwilligung zu dieser Aneignung gaben, ist die Erde, die natürlidies und kostenloses Gut war, ein Reichtum der Gesellschaft geworden, dessen Gebraudi bezahlt werden muß." (Say, Economie politique.)


Hatte ich Unrecht, wenn ich im Anfang dieses Kapitels behauptete, daß die Nationalökonomen die schlimmste Art von Autorität auf dem Gebiete der Gesetzgebung und Philosophie bilden? Der proto parens ihrer Sekte stellt klar und deutlich die Frage: Wie können die Güter der Natur, die von der Vorsehung geschaffenen Reichtümer, Privateigentum werden? Und er beantwortet sie mit einer so plumpen Zweideutigkeit, daß man wirklich nicht weiß, ob man an den Mangel an Einsicht oder an die Unehrlichkeit des Verfassers glauben soll? Was hat denn, so frage ich, die feste und solide Natur des Erdbodens mit dem Recht der Aneignung zu tun? Ich begreife recht gut, daß eine begrenzte und nicht flüssige Sache, wie die Erde, eher zur Aneignung taugt als das Licht und das Wasser; daß man ein Eigentumsrecht am Boden eher ausüben kann, als ein solches an der Atmosphäre; aber es handelt sich nicht darum, was leichter oder schwerer ist, und Say hält die Möglichkeit für das Recht. Man fragt nicht danach, warum die Erde früher angeeignet owurde als das Meer und die Luft; man will wissen, kraft welchen Rechtes der Mensch sich diesen Reichtum angeeignet hat, den er nicht geschaffen und den ihm die Natur kostenlos gegeben hat.


Say löst also die Frage nicht, die er sich selbst gestellt hat: aber auch wenn er sie gelöst hätte, wenn die Erklärung, die er uns gegeben, ebenso zufriedenstellend gewesen wäre wie sie arm an Logik ist, so bliebe doch noch offen, wer das Recht hat, sich den Gebrauch des Bodens bezahlen zu lassen, jenes Reichtums, den nicht der Mensch geschaffen hat. Wem ist man den Pachtzins für die Erde schuldig? Zweifellos doch dem Erschaffer der Erde. Wer hat die Erde erschaffen? Gott. Nun also, Eigentümer, ziehe Dich zurück.


Aber der Schöpfer der Erde verkauft sie nicht, er verschenkt sie, und zwar ohne Ansehen der Person. Warum behandelt man denn die einen seiner Kinder als Erstgeborene und die anderen als Bastarde? Wenn die Gleichheit der Anteile das ursprüngliche Recht war, wie ist dann im späteren Recht die Ungleichheit der Bedingungen eingetreten?


Say gibt zu verstehen, daß Licht und Wasser auch angeeignet worden wären, wenn es ihre flüchtige Natur zugelassen hätte. Im Vorbeigehen darf ich bemerken, daß dies mehr als eine Hypothese,daß es Wirklichkeit ist. Luft und Wasser hat man sich ebensooft angeeignet; ich sage nicht, daß man es gekonnt habe, sondern daß man die Erlaubnis dazu hatte.


Die Portugiesen behaupteten nach der Entdeckung des Seeweges nach Ostindien um das Kap der guten Hoffnung, Alleineigentümer desselben zu sein; und Grotius, hierüber von den Holländern befragt, die nämlich dieses Recht den Portugiesen nicht zugestehen wollten, schrieb eigens dagegen seine Abhandlung: De mari libero, um zu beweisen, daß das Meer nicht aneignungsfähig sei.


Das Jagd- und Fischereirecht war zu allen Zeiten den Herren und Eigentümern vorbehalten: heutzutage wird es von der Regierung und den Gemeinden an den verpachtet, der den Waffenschein und die Pacht bezahlen kann. Mag man immerhin Jagd und Fischerei ordnen, ich halte nichts für besser; aber daß man sie durch Verkauf zuteilt, heißt ein Monopol aus Luft und Wasser schaffen.


Was ist der Paß? Eine an alle gerichtete Empfehlung der Person des Reisenden, ein Sicherheitsschein für ihn und alles, was ihm gehört. Der Fiskus, dessen Scharfsinn die besten Dinge entarten zu lassen versteht, hat aus dem Paß ein Spionagemittel und eine Abgabequelle gemacht. Heißt das nicht das Recht zu gehen und zu reisen verkaufen? Endlich darf man nicht ohne Erlaubnis des Eigentümers Wasser aus einer Quelle schöpfen, die auf einem Grundstück liegt, weil kraft des Zuwachsrechts die Quelle dem Besitzer des Bodens gehört; man darf ferner kein Haus bauen, ohne Abgaben dafür zu entrichten; man darf keinen Wohnsitz begründen, ohne eine Steuer zu bezahlen; man darf nicht die Aussicht auf einen Hof, auf einen Gemüse- oder Obstgarten ohne Genehmigung des Eigentümers nehmen; man darf ohne eine solche nicht in einem Park oder innerhalb einer Einzäunung Spazierengehen; nun, es ist jedem gestattet, sich mit Zäunen und Mauern zu umgeben. Alle diese Verbote sind ebenso feierliche Beschränkungen der Erde wie der Luft und des Wassers. Uns Proletarier, alle wie wir sind, exkommuniziert das Eigentum: Terra, et aqua, et aere, et igni interdicti sumus.


Die Aneignung des festesten der Elemente konnte nicht ohne die Aneignung der drei anderen vor sich gehen, weil nach französischem und römischem Recht das Eigentum der Erdoberfläche sich zugleich auf das, was darunter und darüber ist, erstreckt: Cujus est solum, ejus est usque ad caelum. Wenn nun der Gebrauch des Wassers, der Luft und des Feuers das Eigentum ausschließt, so muß es sich mit dem Gebrauch des Bodens geradeso verhalten. Diese Kette von Folgerungen scheint Ch.Comte in seinem Tratté de la propriété, Kap. 5, geahnt zu haben.


"Ein Mensch, der während einiger Minuten der atmosphärischen Luft beraubt würde, hörte auf, zu existieren, und eine teilweise Entziehung würde ihm große Schmerzen bereiten; eine teilweise oder vollständige Entziehung der Lebensmittel würde bei ihm einen entsprechenden Erfolg haben, wenngleich weniger schnell; dasselbe träfe ein, wenigstens in gewissen Klimata, wenn man ihm Wohnung und Kleidung wegnähme... Der Mensch muß sich also zu seiner Erhaltung unaufhörlich eine Menge verschiedenartigster Sachen aneignen. Aber diese Sachen existieren nicht in gleichem Verhältnis; einige, wie das Licht, die Gestirne, die Luft der Atmosphäre, das Wasser des Meeres existieren in so großer Menge, daß die Menschen ihre Vermehrung oder Verminderung nicht feststellen können; jedermann kann sich davon soviel aneignen, als seine Bedürfnisse erfordern, ohne im geringsten den Genuß der anderen zu schädigen, ohne ihnen den mindesten Nachteil zuzufügen. Die Güter dieser Art sind gewissermaßen das Gemein-Eigentum des Menschengeschlechts; die einzige Pflicht, die einem jeden in dieser Hinsicht obliegt, ist, den Genuß der anderen nicht zu stören."


Vollenden wir die Aufzählung, die Comte begonnen hat. Ein Mensch, dem verboten würde, auf den Landstraßen zu gehen, sich auf den Feldern aufzuhalten, in Höhlen Obdach zu suchen, Feuer anzuzünden, wilde Beeren und Krauter aufzulesen und zu sammeln und sie in einem Tontopf zu kochen - ein solcher Mensch könnte nicht leben. Daher ist die Erde, wie das "Wasser, die Luft und das Licht, eines der notwendigsten Dinge, deren sich jeder frei bedienen soll, ohne dem Genuß des anderen zu schaden; warum also hat man die Erde sich angeeignet? Comtes Antwort ist sonderbar: Say behauptete soeben, daß dem so sei, weil sie nicht flüchtig sei; Comte dagegen versichert, weil sie nicht unendlich sei. Die Erde ist begrenzt, nach Comte muß sie daher angeeignet werden. Denn wenn man sich irgendeine Quantität Luft oder Licht aneignet, so kann daraus kein Schaden für irgendeinen entstehen, weil immer noch genug davon übrigbleibt; was den Boden betrifft, so ist das allerdings eine andere Sache. Mag sich, wer will oder kann, die Strahlen der Sonne, den Wind oder die Wogen des Meeres aneignen, ich gestatte es ihm und verzeihe ihm seine böse Absicht: aber wenn ein Mensch zu Lebzeiten sein Besitzrecht am Boden in das Eigentumsrecht verwandeln will, so erkläre ich ihm den Krieg und bekämpfe ihn bis aufs Messer. Die Argumentation Comtes liefert den Gegenbeweis zu seiner These.


"Unter den für unsere Erhaltung notwendigen Dingen", sagt er, "gibt es eine gewisse Anzahl, die in einer solchen Menge vorhanden sind, daß sie nicht erschöpft werden können; andere, die in beträchtlich geringerer Anzahl existieren, können nur den Bedürfnissen einer gewissen Anzahl von Personen genügen. Die ersteren nennt man gemeinsame, die anderen private Sachen."


Das ist nicht ganz genau begründet: Wasser, Luft und Licht sind gemeinsame Sachen, nicht weil sie unerschöpflich, sondern weil sie unerläßlich sind, und zwar so unerläßlich, daß sie die Natur deshalb in fast unendlicher Menge geschaffen zu haben scheint, damit ihre Unermeßlichkeit sie vor aller Aneignung bewahre. Ebenso unerläßlich zu unserer Unterhaltung aber ist die Erde, und daher ist sie eine gemeinsame Sache, und daher ist sie keine aneignungsfähige Sache; aber die Erde ist weit weniger ausgedehnt als die übrigen Elemente, daher muß ihr Gebrauch geregelt werden, und zwar nicht zum Voneil einiger weniger, sondern im Interesse und zur Sicherheit aller. Kurz gesagt: die Gleichheit der Rechte wird durch die Gleichheit der Bedürfnisse erwiesen; die Gleichheit der Rechte kann nun, wenn die Sache begrenzt ist, nur durch die Gleichheit des Besitzes verwirklicht werden: ein Ackergesetz also liegt den Beweisen Comtes zugrunde.


Von welcher Seite man auch die Eigentumsfrage betrachten mag, man kommt immer, sobald man sie tiefer erfaßt, auf die Gleichheit. Ich werde auch nicht mehr auf der Unterscheidung von aneignungsfähigen und aneignungsunfähigen Sachen beharren; in dieser Hinsicht wetteifern Nationalökonomen und Juristen in Albernheit. Der Code Civil gibt zunächst eine Definition des Eigentums und schweigt sich dann über die aneignungsfähigen und -unfähigen Sachen aus, und wenn er von denen spricht, die im Handel sind, so geschieht dies stets, ohne sie zu bestimmen oder zu definieren. Jedoch fehlt es nicht an Erleuchtungen: sie zeigen sich in folgenden trivialen Sätzen: Ad reges potestas omnium pertinet, ad singulos proprietas. Omnia rex imperlo possidet, singula dominio. - Die soziale Souveränität wird dem Individualeigentum gegenübergestellt! Hört sich das nicht wie eine Prophezeiung der Gleichheit, wie ein republikanisches Orakel an! Die Beispiele bieten sich selbst in Menge dar; ehemals waren Kirchengüter und Krongüter und adelige Lehen unveräußerlich und unwandelbar. Hätte die Konstituante, statt dieses Privilegium abzuschaffen, es jedem Bürger zugestanden, hätte sie erklärt, daß das Recht auf Arbeit ebenso wie die Freiheit niemals verlorengehen könne, so wäre von diesem Augenblick an die Revolution vollendet gewesen, und wir hätten sie nur noch zu vervollkommnen.


§ 2 Die allgemeine Zustimmung begründet nicht das Recht des Eigentums


Aus der eben angeführten Stelle aus Say ersieht man nicht klar, ob der Verfasser das Eigentumsrecht aus der nicht flüchtigen Beschaffenheit des Bodens entspringen läßt oder aus der Zustimmung, die angeblich alle Menschen zu dieser Aneignung gegeben haben. Sein Satz ist so gebaut, daß man den einen oder den anderen Sinn oder beide gleichzeitig herauslesen kann, so daß man behaupten könnte, der Verfasser hat sagen wollen: Das Eigentumsrecht entsteht ursprünglich aus der Willensäußerung; die Festigkeit des Bodens gab ihm Gelegenheit, sich die Erde anzueignen, und die allgemeine Zustimmung hat seitdem diese Zueignung geheiligt.


Wie dem auch sei, konnten die Menschen durch ihre gegenseitige Einwilligung das Eigentum zu einem Rechte machen? Nein, sage ich. Hätten selbst Grotius, Montesquieu und J.-J. Rousseau einen solchen Vertrag verfaßt, hätte das Menschengeschlecht seinen Namen daruntergesetzt, es wäre doch kein Recht, und der darüber aufgesetzte Akt ungesetzlich. Der Mensch kann ebensowenig auf die Arbeit wie auf die Freiheit verzichten; nun, das Eigentumsrecht am Boden anerkennen, das heißt auf die Arbeit verzichten, weil man damit das Mittel preisgibt, das heißt einen Vergleich über ein natürliches Recht abschließen und sich seiner Menschenwürde entäußern.


Aber ich will, daß diese stillschweigende oder ausdrückliche Zustimmung, auf die man sich verläßt, existiert habe; was folgt wohl daraus? Augenscheinlich, daß die Verzichtleistungen gegenseitig waren: man gibt nicht ein Recht auf, ohne ein gleichwertiges dafür einzutauschen. So verfallen wir also wieder auf die Gleichheit, auf die conditio sine qua non aller Aneignung: so daß man, nachdem man das Eigentum durch die allgemeine Übereinstimmung, d. h. durch die Gleichheit, gerechtfertigt hat, die Ungleichheit der Bedingungen wieder durch das Eigentum rechtfertigen muß. Aus diesem Zirkel wird man nie herauskommen, "Wenn in der Tat nach den Worten des Gesellschaftspaktes das Eigentum die Gleichheit zur Bedingung hat, so ist der Pakt von dem Augenblick an gebrochen, wo diese Gleichheit nicht mehr existiert, und jedes Eigentum wird zur Usurpation. Man gewinnt also mit dieser angeblichen Zustimmung aller Menschen nichts.


§ 3 Durch Verjährung1 kann das Eigentum niemals erworben werden


Das Eigentumsrecht war der Anfang alles Übels auf Erden, der erste Ring zu jener langen Kette von Verbrechen und Elend, die das Menschengeschlecht seit seiner Entstehung mit sich schleppt; die Lüge von der Verjährung ist der unselige Reiz, den man auf die Geister ausgeübt, das Todeswort, das man dem Gewissen eingeflößt, um den Fortschritt des Menschen zur Wahrheit aufzuhalten und den Götzendienst des Irrtums zu erhalten.


Das Gesetzbuch definiert die Verjährung als "ein Mittel, durch Zeitablauf zu erwerben und frei zu werden" .. ? Wendet man diese Begriffsbestimmung auf Ideen und Glauben an, so kann man mit dem Worte Verjährung jene beständige Gunst bezeichnen, die an dem alten Aberglauben haftet, gleichviel, um was es sich handelt; diese oft so furchtbare und blutige Opposition, die zu allen Zeiten gegen die neue Erkenntnis besteht und den Weisen zum Märtyrer macht. Es gibt kein Prinzip, keine Entdeckung und keinen hochherzigen Gedanken, der nicht bei seinem Eintritt in die Welt auf diesen Damm überkommener Ansichten, auf eine Verschwörung aller althergebrachten Vorurteile gestoßen ist. Verjährung gegen die Vernunft, Verjährung gegen Tatsachen, Verjährung gegen jede bisher unbekannte Wahrheit, so läßt sich der Inhalt der Philosophie des Status quo zusammenfassen und das Symbol der Konservativen aller Jahrhunderte charakterisieren.


Als die Reformation der Welt zugeführt wurde, gab es Verjährung zugunsten der Gewalt, der Ausschweifung und des Egoismus; als Galilei, Descartes, Pascal und ihre Schüler die Philosophie und die Wissenschaften erneuerten, da gab es eine Verjährung zugunsten der Philosophie des Aristoteles; als unsere Väter von 1789 Gleichheit und Freiheit forderten, gab es eine Verjährung zugunsten der Tyrannei und des Privilegs. "Es hat immer Eigentümer gegeben, und es wird deren immer welche geben", mit diesem tiefsinnigen Satz, der letzten Anstrengung des Egoismus in seinem Todeskampfe, glauben die Doktoren der sozialen Ungleichheit auf die Angriffe ihrer Gegner zu antworten und bilden sich dabei offenbar ein, daß die Ideen ebenso verjähren wie das Eigentum.


Heute, durch die triumphale Entwicklung der Wissenschaften erleuchtet und durch die glorreichsten Erfolge belehrt, unseren Meinungen zu mißtrauen, empfangen wir mit Wohlwollen und mit Beifall den Erforscher der Natur, der durch tausend Erfahrungen, gestützt auf die eingehendste Analyse, einem neuen Prinzip, einem bisher unbeachteten Gesetz nachspürt. Wir hüten uns, irgendeine Idee, irgendeine Tatsache unter dem Vorwande zurückzuweisen, daß klügere Leute als wir gelebt, aber nicht dieselben Erscheinungen bemerkt hätten oder zu ähnlichen Resultaten gekommen wären. Warum sind wir bei politischen und philosophischen Fragen nicht ebenso zurückhaltend? Warum jene lächerliche Behauptung, es sei schon alles gesagt - was besagt: alle Dinge der Erkenntnis und der Moral seien schon bekannt? Warum scheint das Sprichwort: Es gibt nichts Neues unter der Sonne ausschließlich für die metaphysischen Untersuchungen vorbehalten zu sein?


Das kommt, wie einmal gesagt werden muß, daher, daß wir noch immer auf die Philosophie, auf unsere Einbildungskraft, anstatt auf Beobachtung und Methode gründen; daß Phantasie und Wille statt Vernunft und Tatsachen als Schiedsrichter genommen werden; und deshalb ist es bis jetzt unmöglich gewesen, den Scharlatan vom Philosophen, den Gelehrten vom Betrüger zu unterscheiden. Seit Salomon und Pythagoras ist die Einbildungskraft erschöpft, die sozialen und psychologischen Gesetze zu enträtseln; alle Systeme hat man aufgestellt: in dieser Beziehung kann man wohl sagen, daß alles gesagt worden sei., aber nicht weniger wahr ist, daß alles zu wissen übrigbleibt. In der Politik (um hier nur diesen Zweig der Philosophie anzuführen) nimmt jeder nach Gefühl und Interesse Partei; der Geist unterwirft sich dem, was ihm der Wille befiehlt; es gibt in ihr keine Wissenschaft, es gibt nicht einmal'einen Anfang von Gewißheit. Daher erzeugt auch die allgemeine Unwissenheit die allgemeine Tyrannei; und während die Freiheit des Gedankens in der Charte niedergelegt ist, wird die Knechtschaft des Gedankens unter dem Namen der Herrschaft der Majorität durch die Charte verordnet.


Um mich aber nur an die bürgerlich-rechtliche Verjährung zu halten, von der das Gesetzbuch spricht, so will ich keine Diskussion über den Antrag auf Klageabweisung beginnen, den die Eigentümer stellen: sie würde zu langweilig und schwülstig. Jeder weiß, daß es unverjährbare Rechte gibt; und jedermann weiß ebenso, daß bei den Sachen, die durch Verjährung erworben werden können, die Verjährung gewisse Bedingungen voraussetzt und daß, sobald auch nur eine derselben fehlt, kein Erwerb stattfindet. Wenn es z. B. wahr ist, daß der Besitz der Eigentümer bürgerlich-rechtlich, öffentlich, unangefochten und ununterbrochen gewesen wäre, so ist es ebenso wahr, daß ihnen der Rechtstitel fehlte, weil die einzigen Titel, die sie geltend machen könnten, die Okkupation und die Arbeit, ebenso für die zeugen, die Eigentum fordern als Kläger, wie für die, die ihr Eigentum verteidigen. Weiterhin fehlt es bei diesem Besitz an gutem Glauben, da er sich auf einen Rechtsirrtum gründet und dieser Rechtsirrtum die Verjährung verhindert, nach dem Worte des Paulus: Numquam in usucapionibus juris error possessori prodest. Hier besteht der Rechtsirrtum entweder darin, daß der Inhaber auf einen Eigentumstitel hin besitze, während er nur auf einen Nießbrauchstitel hin besitzen kann; oder darin, daß er eine Sache gekauft hat, die niemand zu veräußern oder zu verkaufen das Reeht hatte.


Ein anderer Grund, warum die Verjährung nicht zugunsten des Eigentums angerufen werden kann, ein Grund, der den Geheimnissen der Rechtswissenschaft zu entnehmen ist, ist der, daß das Besitzrecht an beweglichen Sachen einen Teil eines Universal-Recht" bildet, das selbst in den unglückseligsten Zeiten der Menschheit nie ganz verschwand und bei dem die Proletarier nur nachzuweisen brauchen, daß sie es stets, wenigstens zum Teil, ausgeübt haben, damit sie in das Ganze wieder eingesetzt werden. Wer beispielsweise das Universal-Recht hatte, eine Sache zu besitzen, zu verschenken, zu tauschen, zu verleihen, zu vermieten, zu verkaufen, abzuändern oder zu zerstören, erhält das ganze Recht allein durch den Akt des Ausleihens, auch wenn er seine Herrschaft niemals auf eine andere Weise bekundet; ebenso sehen wir, daß die Gleichheit der Güter, die Gleichheit der Rechte, die Freiheit, der Wille, die Persönlichkeit ebenso viele identische Ausdrücke für ein und dieselbe Sache sind, nämlich für das Recht der Erhaltung und Entwicklung, kurz, für das Recht zu leben, demgegenüber die Verjährung erst nach dem Tode der Personen in Kraft zu treten beginnt.


Was nun endlich die erforderliche Verjährungfrist betrifft, so wäre es überflüssig zu zeigen, daß das Eigentumsrecht im allgemeinen durch keinen Besitz von zehn, zwanzig, hundert, tausend, hunderttausend Jahren erworben werden kann und daß das Eigentumsrecht niemals verjähren kann, solange noch ein menschlicher Kopf übrigbleibt, der imstande ist, dieses Recht zu begreifen und zu bestreiten. Denn es handelt sich hier um kein Prinzip der Rechtswissenschaft, um kein Axiom der Vernunft, sondern vielmehr um ein zufälliges und Ungewisses Ereignis: Der Besitz eines Menschen kann dem Besitz eines anderen gegenüber verjähren; aber wie der Besitzer nicht durch Verjährung gegen sich selbst erwerben kann, so hat auch immer die Vernunft die Fähigkeit, sich zu revidieren und zu verbessern; der Irrtum der Vergangenheit bindet die Zukunft nicht. Die Vernunft ist ewig und stets sich selbst gleich; die Institution des Eigentums, das Werk einer unwissenden Vernunft, kann durch die besser unterrichtete Vernunft wieder abgeschafft werden: daher kann sich das Eigentum nicht auf Verjährung gründen. Dies alles steht so fest und ist so wahr, daß man gerade auf diese Fundamente die Maxime gegründet hat, daß in Sachen der Verjährung der Rechtsirrtum keinen Vorteil mit sich bringt. Aber ich würde meiner Methode untreu werden, und der Leser könnte mich mit Recht der Scharlatanerie und der Lüge zeihen, wenn ich ihm nichts Besseres über die Verjährung zu sagen hätte. Ich habe vorhin gezeigt, daß die Aneignung der Erde illegal ist, und angenommen, dies wäre nicht der Fall, so folgte hieraus nur eines, nämlich die Gleichheit des Eigentums; ich habe ferner gezeigt, daß die allgemeine Zustimmung nichts zugunsten des Eigentums beweist und daß, wenn sie etwas bewiese, es nur die Gleichheit des Eigentums sei. Es bleibt mir nur noch klarzulegen, daß die Verjährung, wenn sie zulässig wäre, die Gleichheit des Eigentums voraussetzte.


Diese Beweisführung ist weder lang noch schwierig: ich brauche nur an die Gründe zu erinnern, die man zur Einführung der Verjährung angegeben hat.


"Die Verjährung", sagt Dunod, "scheint der natürlichen Gleichheit zu widerstreben, welche es nicht zuläßt, jemanden ohne Willen und Wissen zu berauben und den einen auf Kosten des anderen zu bereichern. Da es aber, wenn die Verjährung nicht existierte, oft vorkäme, daß ein gutgläubiger Erwerber nach einem langen Besitz daraus verdrängt würde und daß selbst derjenige, der vom rechtmäßigen Herrn erworben hat oder sich auf rechtliche Weise von einer Verbindlichkeit befreit hat, bei Verlust seines Reditstitels der Vertreibung aus seinem Besitze oder einer neuen Unterwerfung ausgesetzt wäre, so verlangte das öffentliche Wohl die Festsetzung eines Termins, nach dem nicht mehr gestattet ist, die Besitzer zu beunruhigen und nach so lange vernachlässigten Rechten zu suchen... Das bürgerliche Recht hat also nur durch die Art und Weise, in der es die Verjährung regelte, das Naturrecht vervollständigt und das Völkerrecht ergänzt; und da diese auf das allgemeine Wohl gegründet ist, das immer dem Wohl der einzelnen vorgeht, bono publico usucapio introducta est, so muß sie auch geschützt werden, wenn sie von den vom Gesetz geforderten Bedingungen begleitet ist."


Toullier, Bürgerliches Recht: "Um das Eigentum an Sachen nicht zu lange in Ungewißheit zu lassen, was dem allgemeinen Wohle schädlich wäre, weil dadurch der Frieden der Familien und die Sicherheit des Geschäftsverkehrs gestört würden, haben die Gesetze eine Zeit bestimmt, nach deren Ablauf sie einen Herausgabeanspruch nicht mehr zulassen, und geben so dem Besitz sein altes Vorrecht zurück, indem sie ihn mit dem Eigentum wieder vereinigen."


Cassiodorus sagte vom Eigentum, daß es der einzig sichere Hafen inmitten der Stürme der Schikane und der Strudel der Habsucht sei: Hic unus inter humanas procellas portus, quem si homines fervida. voluntate praeterierint; in undosis semper jurgiis errabunt.


Nach diesen Schriftstellern ist also die Verjährung ein Mittel zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung, in gewissen Fällen die Wiederherstellung der ursprünglichen Erwerbsart, eine Fiktion des bürgerlichen Gesetzes, das seine ganze Kraft der Notwendigkeit entleiht, die Streitigkeiten zu beenden, die sonst nicht beigelegt werden können. Denn, wie Grotius sagt, die Zeit hat an sich gar keine Wirkungskraft; alles ereignet sich innerhalb der Zeit, aber nichts geschieht vermöge der Zeit; die Verjährung oder das Erwerbsrecht durch Zeitablauf ist daher eine Fiktion des Gesetzes, die durch Übereinkunft angenommen wird.


Aber alles Eigentum hat notwendigerweise durch die Verjährung begonnen oder, wie die Lateiner sagten, durch die usucapio, d.h. durch fortdauernden Besitz: ich frage daher zunächst, wie kann der Besitz durch Zeitablauf Eigentum werden? Dehnt den Besitz auch noch so lange aus, gebt ihm Jahre und Jahrhunderte, ihr könnt doch nie bewirken, daß die Dauer, die durch sich selbst nichts schafft, nichts verändert, nichts modifiziert, den Nießbraucher in einen Eigentümer verwandelt. Mag das bürgerliche Gesetz auch einem gutgläubigen Besitzer, der seit langen Jahren seinen Besitz genießt, das Recht zuerkennen, durch einen unversehens Kommenden nicht mehr aus seinem Besitze verdrängt zu werden; dadurch bestätigt es nur ein bereits anerkanntes Recht, und die Verjährung, auf diese Weise angewandt, bezeichnet einfach, daß der Besitz, welcher vor zwanzig, dreißig oder hundert Jahren angefangen hat, dem Okkupanten erhalten werden soll. Aber wenn das Gesetz erklärt, der Zeitablauf verwandle den Besitzer in einen Eigentümer, so setzt es voraus, daß ein Recht ohne eine Ursache geschaffen werden kann, die es hervorbringt; es verändert grundlos die Eigenschaft des Subjektes; es setzt etwas fest, was gar nicht bestritten ist; es überschreitet seine Befugnisse. Die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Staatsbürger verlangten nur die Garantie des Besitzes; warum hat aber das Gesetz das Eigentum geschaffen? Die Verjährung war gleichsam eine Sicherung für die Zukunft; warum hat das Gesetz ein Prinzip des Privilegs daraus gemacht?


Der Ursprung der Verjährung ist also identisch mit dem des Eigentums selbst; und da dieses sich nur unter der formellen Bedingung der Gleichheit legitimieren konnte, so ist die Verjährung auch eine von den tausend Formen, die das Bedürfnis, diese kostbare Gleichheit zu erhalten, angenommen hat. Und dies ist kein leerer Schluß, keine Schlußfolgerung ins Blaue hinein; der Beweis dafür steht in allen Gesetzbüchern.


In der Tat, wenn alle Völker in einem Instinkt der Gerechtigkeit und Erhaltung den Nutzen und die Notwendigkeit der Verjährung anerkannt haben und wenn es ihre Absicht war, dadurch über die Interessen des Besitzers zu wachen, konnten sie dann gar nichts für den abwesenden Staatsbürger tun, der fern von Familie und Vaterland durch Handel, Krieg oder Gefangenschaft außerstande war, irgendeine Besitzhandlung vorzunehmen? Nein. Sogar zu der Zeit, als die Verjährung schon gesetzlich eingeführt war, konnte das Eigentum allein durch den Willen, nudo animo, erhalten werden. Erhält sich nun aber das Eigentum durch den Willen, kann es nur durch eine Handlung des Eigentümers verlorengehen, wie kann dann die Verjährung überhaupt von Nutzen sein? Wieso wagt es das Gesetz, die Vermutung aufzustellen, daß der Eigentümer, der durch die bloße Absicht erhält, die Absicht gehabt habe, das aufzugeben, was er verjähren ließ? Welcher Zeitablauf kann eine solche Vermutung autorisieren? Und mit welchem Recht kann das Gesetz den Eigentümer wegen seiner Abwesenheit dadurch strafen, daß es ihm sein Gut raubt? Was denn! Soeben haben wir gefunden, daß Verjährung und Eigentum identisch seien, und jetzt finden wir, daß sie einander zerstören.


Grotius, der die Schwierigkeit fühlte, antwortet darauf in so ausgezeichneter Weise, daß es sich verlohnt, die Stelle anzuführen:


Bene sperandum de hominibus, ac profterea non putandum eos hoc esse animo ut, rei caducae causa, bominem alterum velint in perpetuo peccato versari, quod evitari saepe non poterit sine tau derelictione: "Wo ist der Mensch, der so wenig Christ ist, daß er wegen einer Lappalie die Sünde eines Besitzes verewigen wollte, was unfehlbar geschehen würde, wenn er nicht seine Zustimmung zum Verlust des Rechtes gäbe."


Bei Gott! Ich bin dieser Mensch. Müßten auch Millionen Eigentümer bis zum Jüngsten Gerichte braten, ich belaste ihr Gewissen nur mit dem Teil der Güter dieser Welt, die sie mir raubten. Grotius fügt diesem starken Argument noch ein anderes hinzu: nämlich, daß es sicherer sei, ein bestrittenes Recht aufzugeben, als zu klagen, den Frieden der Völker zu stören und die Fackel des Bürgerkrieges zu entzünden. Ich würde meinetwegen diesen Grund hinnehmen, allein vorausgesetzt, daß man mich entschädigt; wird mir aber die Entschädigung verweigert, was liegt dann mir, dem Proletarier, an der Ruhe und Sicherheit der Reichen? Ich sorge mich soviel um die öffentliche Ordnung wie um das Wohl der Eigentümer: ich fordere, durch meine Arbeit leben zu können, wenn nicht, so mag ich im Kampfe fallen.


In einigen Spitzfindigkeiten, die man vorbringt, ist die Verjährung ein Widerspruch zum Eigentum; oder vielmehr Verjährung und Eigentum sind zwei Formen ein und desselben Prinzips, aber zwei Formen, die sich als gegenseitige Milderung dienen, und es ist keiner der geringsten Schnitzer der alten und neuen Rechtswissenschaft, beansprucht zu haben, daß sie übereinstimmen. Wenn wir in der Tat in der Errichtung des Eigentums nur den Wunsch erblicken, jedem, seinen Anteil am Boden und sein Recht auf Arbeit zu garantieren, in der Trennung des reinen Eigentums vom Besitz nur ein Asyl für Abwesende, für Waisen, für alle die, die nicht imstande sind, ihre Rechte zu kennen und zu verteidigen, in der Verjährung nur ein Mittel, entweder ungerechte Ansprüche und Angriffe abzuweisen oder die durch den Besitzwechsel entstandenen Streitigkeiten beizulegen, dann müssen wir in diesen verschiedenen Formen menschlicher Gerechtigkeit die spontanen Anstrengungen der Vernunft anerkennen, die dem Gesellschaftsinstinkt zu , Hilfe kommen, und wir werden in diesem Vorbehalt aller Rechte -das Gefühl der Gleichheit und das stete Streben nach Angleichung erkennen. Und wenn wir der Reflexion und dem inneren Gefühl Gerechtigkeit widerfahren lassen, werden wir selbst in der Übertreibung der Prinzipien unsere Lehre bestätigt finden: wenn nicht die Gleichheit der Bedingungen und die universelle Vereinigung früher verwirklicht werden, muß der Geist der Gesetzgeber und die Unwissenheit der Richter eine Zeitlang das gesunde Volksempfinden behindern: und während ein Strahl der Wahrheit bereits die ursprünglichen Gesellschaften zu erleuchten begann, konnten die ersten Spekulationen der Führung nur Finsternis erzeugen.


Nach den ersten Verträgen, nach den ersten Gesetzes- und Verfassungsentwürfen, die Ausdruck der ersten Bedürfnisse waren, mußte es Aufgabe der Gesetzgeber sein, das zu reformieren, was in der Gesetzgebung schlecht war, alles, was mangelhaft geblieben, zu vervollständigen, was widerspruchsvoll erschien, durch bessere Definitionen in Übereinstimmung zu bringen: statt dessen haben sie sich an den Buchstaben des Gesetzes gehalten und sich mit der Dienerrolle der Kommentatoren und Scholiasten begnügt. Sie haben die Eingebungen einer notwendig schwachen und fehlerhaften Vernunft für die Axiome der ewigen und unvergänglichen Wahrheiten , gehalten und, durch die allgemeine Ansicht veranlaßt und durch ; das Dogma des Textes unterjocht, haben sie wie die Theologen , immer als Prinzip aufgestellt, daß das unfehlbar wahr sei, was allgemein, überall und zu allen Zeiten angenommen werde, quod ad omnibus, quod ubique, quod semper, als ob ein allgemeiner, allerdings spontaner Glaube etwas anderes bewiese als eine allgemeine Erscheinung. Täuschen wir uns hierin nicht: die Meinung aller Völker kann dazu verhelfen, die Anerkennung einer Tatsache und das unbestimmte Gefühl eines Gesetzes festzustellen, aber sie kann uns weder über die Tatsache noch über das Gesetz belehren. Die Übereinstimmung des Menschengeschlechtes ist ein Zeichen der Natur, nicht, wie Cicero gesagt hat, ein Gesetz der Natur. Unter der Erscheinung bleibt die Wahrheit verborgen, an die der Glaube wohl glauben, die aber das Denken allein erkennen kann. So hat sich der stete Fortschritt des menschlichen Geistes bei allen Erscheinungen der Natur und bei allen Schöpfungen des Geistes vollzogen: wie sollte es sich mit den Fragen unseres Bewußtseins und den Regeln unserer Handlungen anders verhalten?

 

§ 4 Von der Arbeit - Die Arbeit an sich gibt keine Macht, sich die Sachen der Natur anzueignen

Wir werden durch die Aphorismen der Nationalökonomie und der Rechtswissenschaft selbst, also durch alles, was das Eigentum an Scheingründen vorweisen kann, beweisen:


1. daß die Arbeit an sich kein Aneignungsrecht über die Sachen der Natur gibt;


2. daß, selbst wenn der Arbeit eine solche Fähigkeit zuerkannt wird, man zur Gleichheit des Eigentums gelangt, um welche Art Arbeit, um welch seltenes Produkt es sich auch handelt und wie ungleich auch die Fähigkeit zur Produktion sein mag;


3. daß in der gerechten Ordnung die Arbeit das Eigentum zerstört.


Nach dem Beispiel unserer Gegner und um auf unserem Wege weder Disteln noch Dornen zu lassen, erfassen wir die Frage so tief als möglich.


Ch. Comte, "Abhandlung über das Eigentum"


"Frankreich hat, als Nation betrachtet, ein ihm allein angehöriges Gebiet."

Frankreich, als einzelne Person betrachtet, besitzt ein Gebiet, das es ausbeutet; aber es ist nicht Eigentümer desselben. Mit den Nationen untereinander verhält es sich geradeso wie mit den Individuen: sie gebrauchen, berichtigen und arbeiten; nur durch den Mißbrauch der Sprache erkennt man ihnen ein Eigentum an Boden zu. Das Recht auf Gebrauch und Mißbrauch einer Sache hat das Volk so wenig wie das Individuum, und es wird eine Zeit kommen, da ein Krieg gegen den Mißbrauch des Bodens durch eine Nation zum heiligen wird.
Comte verfällt daher auf den Sophismus, den man petitio prin-cipii nennt, wenn er die Entstehung des Eigentums erklären will mit der Voraussetzung, daß eine Nation Eigentümerin sei; von diesem Augenblick an ist seine ganze Beweisführung hinfällig.


Vielleicht findet der Leser, das Eigentum einer Nation an ihrem Boden bestreiten, hieße die Logik zu weit treiben: aber dann will ich ihn nur daran erinnern, daß aus dem fiktiven Eigentumsrecht der Nation zu allen Zeiten die Ansprüche auf Oberherrschaft, Abgaben, Regalien, Fronden, Geldzahlungen und Truppengestellungen, Warenlieferungen usw. und in deren Gefolge die Steuerverweigerungen, Aufstände, Kriege und Entvölkerungen entstanden sind.


"Es gibt inmitten dieses Gebietes weite Räume, die noch nicht in Privateigentum übergegangen sind. Diese Ländereien, die hauptsächlich aus Wäldern bestehen, gehören der Gesamtheit der Bevölkerung, und die Regierung, die hieraus Einkünfte bezieht, verwendet sie oder soll sie im allgemeinen Interesse verwenden."


Soll sie verwenden, ist gut gesagt; das ist wenigstens nicht gelogen.


"Sie müssen zum Verkauf gebracht werden ..."


Warum zum Verkauf gebracht werden? Wer hat das Recht, sie zu verkaufen? Selbst wenn das Volk Eigentümer wäre, kann die jetzige Generation die kommende aus ihrem Besitz verweisen? Das Volk besitzt als Nießbraucher; die Regierung regiert, überwacht, beschützt und vollzieht die Handlungen der verteilenden Gerechtigkeit; und wenn sie auch den Boden abtritt, so kann sie nur seinen Gebrauch überlassen; sie hat nicht das Recht, irgend etwas zu verkaufen oder zu veräußern. Da sie nicht Eigentümerin ist, wie könnte sie das Eigentum übertragen?


"Kauft ein arbeitsamer Mann einen Teil davon, zum Beispiel einen großen Sumpf, so ist hier keine Usurpation vorhanden, weil die Gesellchaft den genauen Wert durch Vermittlung ihrer Regierung dafür erhält, und weil sie nach dem Verkauf ebenso reich ist als zuvor."


Die Geschichte wird lächerlich. Was! Weil ein verschwenderischer, unkluger oder ungeschickter Minister die Staatsgüter verkauft, ohne daß ich dagegen Einspruch erheben kann, ich, der Mündel des Staates, ich, der weder beratende noch entscheidende Stimme im Staatsrat habe, deshalb soll dieser Verkauf gut und gesetzlich sein? Die Vormünder des Volkes verschwenden sein Erbteil, und man kann nichts dagegen tun. - Ich habe aus den Händen der Regierung, sagt Ihr, meinen Anteil an dem Verkaufspreis empfangen: aber zunächst habe ich gar nicht verkaufen wollen, und wenn ich es gewollt hätte, so hätte ich es nicht gekonnt; denn ich hatte nicht das Recht dazu. Und dann habe ich gar nichts davon bemerkt, daß mir dieser Verkauf genützt hat. Meine Vormünder haben davon ein paar Soldaten bekleidet, eine alte Festung instand gesetzt und zu ihrem eigenen Ruhme einige kostspielige, jämmerliche Denkmale errichtet; dann haben sie ein Feuerwerk dafür abgebrannt und die Kletterstange aufgerichtet: was hat denn das alles im Vergleich mit dem zu bedeuten, was ich verliere?


Der Erwerber zieht Grenzen, schließt sich ein und sagt: Das gehört mir, jeder bei sich, jeder für sich. Das ist also ein Raum, auf den von nun an nur der Eigentümer und seine Freunde ihren Fuß setzen dürfen, ein Raum, der niemandem Vorteil bringt außer dem Eigentümer und seinen Dienern. Man fahre nur fort zu verkaufen, und bald wird das Volk, das weder verkaufen konnte noch wollte und das nichts von dem Verkaufspreis erhalten hat, nicht wissen, wo es sich ausruhen, wo es Schutz suchen und wo es säen und ernten soll: es wird vor der Tür des Eigentümers Hungers sterben, auf der Schwelle jenes Eigentums, das sein Erbteil war; und der Eigentümer wird, wenn er es sterben sieht, sagen: so gehen die Tagediebe und Faulenzer zugrunde!


Um die Usurpation des Eigentümers annehmbar zu machen, sucht Comte den Wert der Grundstücke im Augenblicke des Verkaufs herabzusetzen:


"Man muß sich davor hüten, die Bedeutung jener Usurpationen zu überschätzen: man muß sie nach der Anzahl der Menschen würdigen, die von den okkupierten Landstrichen und ihren Erzeugnissen leben. Es ist klar, daß z. B. bei einem Stück Land, das heute tausend Francs wert ist, zur Zeit seiner Usurpation aber nur fünf Centimes wert war, der wirkliche Verlust nur den Wert von fünf Centimes ausmacht. Eine Quadratmeile würde kaum zum notwendigsten Unterhalt eines Wilden genügen: heute schafft sie die Lebensmittel für tausend Personen. Neunhundert-neunundneunzig Teile sind also das rechtmäßige Eigentum des Besitzers; die Usurpation besteht nur in einem Tausendstel des Wertes."


Ein Bauer klagte sich in der Beichte an, einen Schuldschein vernichtet zu haben, worin er sich als Schuldner von hundert Talern bekannte. Der Beichtvater sagte: Du mußt diese hundert Taler zurückzahlen. - Nein, sagte der Bauer, ich werde das Blatt Papier mit zwei Pfennigen ersetzen.


Die Argumentation Comtes ähnelt der Gutgläubigkeit dieses Bauern. Der Boden hat nicht nur einen tatsächlichen und gegenwärtigen, sondern auch einen möglichen und zukünftigen Wert, der von unserer Geschicklichkeit abhängt, ihn wertvoll zu machen und ihn zu bearbeiten. Vernichtet eine Tratte oder einen Sola-Wechsel, einen Schuldschein, eineRentenverschreibung; so zerstört Ihr in dem Papier einen Wert von null; Ihr zerstört aber mit diesem Papier Euren Rechtstitel, und durch den Verlust dieses Titels beraubt Ihr Euch Eures Vermögens. Vernichtet die Erde oder, was auf dasselbe herauskommt, verkauft sie: Ihr veräußert nicht nur dadurch eine oder zwei oder mehrere Ernten, sondern Ihr vernichtet auch alle Produkte, die Ihr, Eure Kinder und Eure Kindeskinder davon gehabt hättet.


Wenn Comte, der Apostel des Eigentums und der Lobredner der Arbeit, eine Landveräußerung von sehen der Regierung unterstellt, so darf man nicht glauben, er tue dies ohne Grund und zum Überfluß; er mußte es vielmehr. Da er das Okkupationssystem verwirft und überdies weiß, daß die Arbeit ohne vorhergehende Erlaubnis zur Okkupation nicht das Recht begründet, sieht er sich gezwungen, diese Erlaubnis auf die Regierung zu beziehen, was soviel heißt, als daß das Prinzip des Eigentums die Volkssouveränität ist oder, mit anderen Worten, die allgemeine Übereinstimmung. Dieses Vorurteil aber haben wir bereits erörtert.


Erst das Eigentum als Tochter der Arbeit bezeichnen und dann der Arbeit noch eine Erlaubnis für das Mittel, sie auszuüben, zu geben, das heißt, meiner Meinung nach, einen circulus vitiosus beschreiben. Die Widersprüche werden sich sogleich zeigen.


"Ein bestimmtes Stück Erde kann Nahrungsmittel nur für den Tagesbedarf eines Menschen hervorbringen: wenn der Besitzer durch seine Arbeit ein Mittel findet, einen Ertrag für zwei Tage zu erzielen, so verdoppelt er auch den Wert des Landes. Dieser neue Wert ist sein Werk, seine Schöpfung; er ist niemand geraubt: er ist sein Eigentum."


Ich bleibe dabei, daß der Besitzer für seine Mühe und seine Arbeit durch seine doppelte Ernte entschädigt wird, daß er aber kein Recht am Boden erwirbt. Mag der Arbeiter seine Früchte behalten, ich, ich gestehe ihm dies zu; aber ich begreife nicht, warum das Eigentum an den Erzeugnissen das Eigentum am Gegenstand nach sich ziehen soll. Wird der Fischer, der an demselben Ufer mehr Fische als seine Kameraden zu fangen versteht, infolge dieser Geschicklichkeit Eigentümer der Küstenstrecken, an denen er fischt? Wurde die Geschicklichkeit eines Jägers jemals als Eigentumstitel auf das Wild eines Bezirkes angesehen? Alle diese Fälle liegen gleich. Der fleißige Landwirt findet in einer reichlicheren und besseren Ernte den Lohn seiner Arbeit; hat er den Boden verbessert, so hat er ein Vorzugsredit als Besitzer; aber niemals und unter keinen Umständen kann man ihm zugestehen, seine Geschicklichkeit als Landwirt als einen Eigentumstitel auf das von ihm bestellte Land zu betrachten.


Um den Besitz in Eigentum zu verwandeln, bedarf es einer anderen Sache als der Arbeit; denn sonst würde der Mensch aufhören, Eigentümer zu sein, sobald er aufhören würde, Arbeiter zu sein; nun, was nach dem Gesetz das Eigentum ausmacht, ist der unvordenkliche und unangefochtene Besitz, kurz: die Verjährung. Die Arbeit ist nur das sinnliche Zeichen, die körperliche Handlung, durch die sich die Okkupation äußerlich zeigt. Wenn also der Arbeiter Eigentümer bleibt, nachdem er zu arbeiten und zu produzieren aufgehört hat, wenn sein Besitz zuerst zugestanden, dann geduldet und schließlich unveräußerlich wird, so geschieht dies durch die Wohltat des bürgerlichen Gesetzes und kraft des Okkupationsprinzipes. Dies ist so sehr wahr, daß es keinen Kauf-, Pacht-, Mietoder Rentenvertrag gibt, der dies nicht voraussetzt. Ich will nur ein Beispiel dafür anführen. Wie schätzt man ein Grundstück? Nach seinem Ertrag. Wirft ein Grundstück 1000 Francs ab, so sagt man, daß dieses Grundstück bei 5 v. H. 20 000 Francs, bei 4 v. H. 25 000 Francs usw. wert ist; das heißt mit anderen Worten: nach zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren wird der Preis dieses Grundstücks dem Erwerber zurückerstattet sein. Wenn also im Laufe der Zeit der Preis eines Grundstückes vollständig bezahlt wird, warum bleibt denn dann der Erwerber Eigentümer? Auf Grund des Okkupationsrechtes, ohne das jeder Verkauf ein Wiederverkauf wäre.


Das System der Aneignung durch die Arbeit befindet sich also im Widerspruch zum Gesetzbuch; und wenn die Anhänger dieses Systems vorgeben, sich seiner zur Erklärung der Gesetze zu bedienen, so widersprechen sie sich selbst.


"Wenn Menschen ein Land, das nichts trägt oder gar ein schädliches, wie gewisse Sümpfe, fruchtbar machen, so schaffen sie auf diese Weise das Eigentum ganz und gar."


Wozu denn diese schwülstigen Redensarten und das Spiel mit Zweideutigkeiten, als ob man irreführen wollte? Sie erschaffen das Eigentum ganz und gar; Ihr wollt sagen, daß sie eine Produktionsfähigkeit schaffen, die vorher nicht bestand; aber diese Fähigkeit kann nur unter der Bedingung geschaffen werden, daß ihr ein Gegenstand als Stütze dient. Die Substanz des Bodens bleibt dieselbe; nur seine Eigenschaft und Gestalt wird geändert. Der Mensch hat alles geschaffen, alles außer dem Gegenstand selbst. Nun, ich bleibe bezüglich dieses Gegenstandes dabei, daß er ihn nur besitzen und gebrauchen kann, und zwar unter der ständigen Bedingung der Arbeit, während ihm für einen Augenblick das Eigentum an den von ihm erzeugten Sachen überlassen wird.


Damit ist also ein erster Punkt erledigt: Selbst wenn man das Eigentum des Produktes zugestünde, so zieht dies nicht das Eigentum am Gegenstande nach sich; das scheint mir keiner weiteren Ausführungen zu bedürfen. Dasselbe trifft auf den Soldaten zu, der seine Waffen, auf den Maurer, der das ihm anvertraute Material, auf den Fischer, der seine Gewässer, auf den Jäger, der seine Felder und Wälder, und auf den Ackerbauer, der seine Grundstücke besitzt: alle werden, wenn man will, Eigentümer ihrer Produkte; keiner ist Eigentümer seiner Produktionswerkzeuge. Das Recht am Produkt ist ausschließlich, jus in re; das Recht am Werkzeug ist gemeinschaftlich, jus ad rem.


§ 5 Die Arbeit führt zur Gleichheit des Eigentums

Geben wir jedoch zu, daß die Arbeit ein Eigentumsrecht am Gegenstande verleiht: warum ist dann dieser Grundsatz nicht allgemein? Warum wird die Wohltat dieses angeblichen Gesetzes auf o eine geringe Anzahl beschränkt und der großen Menge der Arbeiter verweigert? Einen Philosophen, der behauptete, daß alle Tiere ehemals aus der durch die Sonnenstrahlen erhitzten Erde entsprungen seien, ungefähr so wie Pilze, fragte man, warum die Erde nicht mehr ,:' in derselben Weise produziere: weil sie alt ist und ihre Fruchtbarkeit j verloren hat, antwortete er. Sollte die ehemals so fruchtbare Arbeit in ähnlicher Weise steril geworden sein? Warum erwirbt der Pächter nicht durch- seine Arbeit das Grundstück, das die Arbeit ehemals dem Eigentümer erworben?


Deswegen, weil es schon angeeignet ist, sagt man. Das heißt nicht antworten. Ein Gut wird um 50 Scheffel per Hektar verpachtet; das Talent und die Arbeit eines Pächters verdoppeln den Ertrag: dieser Zuwachs ist die Schöpfung des Pächters. Nehmen wir nun an, daß ' der Herr in seltener Mäßigung nicht so weit geht, sich des Produktes durch Erhöhung des Pachtzinses zu bemächtigen, und den Pächter seine Arbeit genießen läßt, so ist die Gerechtigkeit damit nicht zufriedengestellt. Der Pächter hat durch Verbesserung des Bodens in das Eigentum einen neuen Wert hineingelegt; er hat also ein Anrecht auf einen Teil des Eigentums. War das Grundstück ursprünglich 100 000 Francs wert, und hat es durch die Arbeit des Pächters einen Wert von 150 000 Francs erhalten, so ist der Pächter als Erzeuger dieses Mehrwertes legitimer Eigentümer an einem Drittel des Grundstücks. Comte könnte diese Schlußfolgerung nicht für falsch erklären, denn er sagt selbst:


"Die Menschen, welche die Erde fruchtbarer machen, sind für ihre Mitmenschen ebenso nützlich, als wenn sie aus ihr einen neuen Raum geschaffen hätten."


Warum ist also die Regel nicht auch auf den anzuwenden, der das Land verbessert, ebenso wie auf den, der es urbar macht? Durch die Arbeit des ersten ist das Grundstück l wert, durch die des zweiten 2; auf beiden Seiten ist die Schöpfung von gleichem Werte: warum gesteht man nicht allen beiden die Gleichheit des Eigentums zu? Wenn man nicht von neuem das Recht der ersten Okkupation anruft, glaube ich nicht, daß man diesem Beweis etwas Haltbares entgegensetzen kann.


Wenn man aber diesem Wunsche entspräche, wird man einwenden, so würde man doch nicht zu einer größeren Aufteilung des Eigentums gelangen. Die Grundstücke nehmen nicht bis ins Unendliche an Wert zu: nach zwei oder drei -Bebauungen erreichen sie rasch ihre größte Fruchtbarkeit. Und was die agronomische Kunst ihnen zusetzt, kommt mehr vom Fortschritt der Wissenschaften und von der allgemeinen Bildung her, als von der Geschicklichkeit der Arbeiter. Würden sich daher einige wenige Arbeiter mit der Menge der Eigentümer vereinigen, so wäre das kein Beweis gegen das Eigentum.
In der Tat wäre dies ein sehr mageres Ergebnis dieser Auseinandersetzung, wenn unsere Bemühungen nur zur Ausdehnung des Bodenprivilegs und des Industriemonopols führten, wenn sie nur einige hundert Arbeiter von Millionen Proletariern befreiten; aber das hieße, unseren eigenen Gedanken sehr schlecht verstehen und zeugte von wenig Einsicht und Logik.


Wenn der Arbeiter, der den Wert der Sache erhöht, ein Recht auf das Eigentum an ihr hat, so erwirbt dasselbe Recht derjenige, der diesen Wert erhält. Denn was heißt erhalten? Doch: ohne Unterlaß zusetzen, fortgesetzt schaffen. Was heißt bearbeiten? Dem Boden seinen Jahreswert geben, das heißt durch eine jährlich erneuerte Schöpfung verhindern, daß der Wert des Grundstückes abnimmt oder verlorengeht. Unter der Voraussetzung, daß das Eigentum vernünftig und legitim sei und die Pacht recht und billig sei, erwirbt, sage ich, der Bearbeiter das Eigentum mit demselben Rechtstitel wie der, der ihn urbar gemacht, und der, der ihn verbessert hat, und jedesmal, wenn der Pächter seinen Zins bezahlt, erhält er einen Eigentumsbruchteil des seiner Pflege anvertrauten Landes, dessen Nenner dem Betrag jenes Zinses gleich ist. Weicht Ihr davon ab, so verfallt Ihr in Willkür und Tyrannei, so erkennt Ihr die Kastenprivilegien an und heiligt die Knechtschaft.


Wer arbeitet, wird Eigentümer: Diese Tatsache läßt sich in den heutigen Grundsätzen der Nationalökonomie und der Rechtswissenschaft nicht leugnen. Und wenn ich Eigentümer sage, so verstehe ich darunter nicht nur, wie unsere heuchlerischen Nationalökonomen, Eigentümer seines Gehalts, seiner Besoldung, seines Lohnes; sondern Eigentümer des Wertes, den er geschaffen hat und aus dem allein der Herr Nutzen zieht.


Da dies alles die Theorie des Arbeitslohnes und die Verteilung der Erzeugnisse berührt und dieser Gegenstand noch nicht genügend beleuchtet ist, so möchte ich gern dabei verweilen; diese Untersuchung wird der Sache nicht unnützlich sein. Viele Leute sprechen davon, daß man den Arbeitern einen Anteil an den Erzeugnissen und am Gewinne zugestehen müßte; aber diese Beteiligung, um die gebeten wird, ist eine reine Wohltat für sie; man hat niemals bewiesen und vielleicht auch noch nicht einmal vermutet, daß dies ein natürliches, notwendiges, der Arbeit innewohnendes Recht sei, das von der Eigenschaft, Produzent zu sein, und zwar einschließlich des letzten Handlangers, nicht getrennt zu werden vermag.
Mein Vorschlag ist: Der Arbeiter behält, selbst nach Empfang seines Lohnes, noch ein natürliches Eigentumsrecht an der von ihm erzeugten Sache.


Ich fahre fort, Comte zu zitieren:

"Arbeiter werden zur Trockenlegung dieses Sumpfes angestellt, sie entfernen die Bäume und das Gestrüpp, kurz, sie säubern den Boden: sie erhöhen seinen Wert und machen aus ihm ein wertvolles Eigentum: der Wert, den sie ihm beilegen, wird ihnen durch die Lebensmittel und den Arbeitslohn bezahlt; er wird Eigentum des Kapitalisten."


Dieser Lohn genügt nicht; die Arbeit des Arbeiters hat ein Werk geschaffen: nun, dieses Werk ist ihr Eigentum. Aber sie haben es weder verkauft, noch ausgetauscht, und Du, Kapitalist, Du hast es überhaupt nicht erworben. Daß Du ein Anteilrecht an allem auf Grund der von Dir gelieferten Vorräte und Lebensmittel hast, ist nicht mehr als gerecht: Du hast zur Produktion beigetragen, Du mußt auch Anteil am Genuß haben. Aber Dein Recht vernichtet nicht das der Arbeiter, die entgegen Deinem Willen Deine Mitarbeiter bei der Produktion gewesen sind. Was sprichst Du von Arbeitslohn? Das Geld, womit Du die Tagesarbeit der Arbeiter bezahlst, würde kaum einige Jahre des ständigen Besitzes ausmachen, den sie Dir überlassen. Der Arbeitslohn ist die Ausgabe, welche der Unterhalt und die tägliche Erholung des Arbeiters erfordern; Du siehst zu Unrecht einen Verkaufspreis darin: Der Arbeiter hat nichts verkauft: er kennt weder sein Recht noch das seiner Abtretungen an Dich, noch den Sinn des Vertrages, den Du angeblich mit ihm abgeschlossen hast. Auf seiner Seite: vollkommene Unwissenheit, auf der Deinen Irrtum und Überlistung, wenn man nicht gar von Diebstahl und Betrug sprechen will.


Ich will all dies durch ein anderes Beispiel noch klarer und treffender zeigen.


Jedermann weiß, mit welchen Schwierigkeiten die Umwandlung eines wüsten Bodens in bebaubaren und fruchtbaren verbunden ist: diese Schwierigkeiten sind so groß, daß meistenteils der einzelne Mensch zugrunde gehen würde, bevor er aus dem Boden die erste Nahrung ziehen könnte. Es bedarf daher der vereinigten und miteinander verbundenen Anstrengungen der Gesellschaft und aller Hilfsmittel der Industrie. Comte führt in dieser Hinsicht zahlreiche authentische Tatsachen an, ohne auch nur einen Augenblick zu ahnen, daß er damit Beweise über Beweise gegen sein eigenes System anhäuft.
Angenommen, eine Kolonie von zwanzig oder dreißig Familien siedelte sich in einer Wildnis voller Gestrüpp und Bäume an, aus der sich die Eingeborenen auf Grund eines Vertrages zurückziehen. Jede dieser Familien verfügt über ein mittelmäßiges Kapital, das aber immerhin genügt, geradeso wie es ein Kolonist auswählen kann: Tiere, Korn, Werkzeuge, etwas Geld und Lebensmittel. Nach Aufteilung des. Landes richtet sich jeder so gut wie möglich ein und beginnt, das ihm zugefallene Stück urbar zu machen. Aber nach einigen Wochen unerhörter Anstrengungen, unsäglicher Mühe, aufreibender und fast ergebnisloser Arbeit fangen unsere Leute an, über die Arbeit zu klagen; ihre Lage erscheint ihnen hart; sie verfluchen ihr elendes Dasein.


Plötzlich tötet einer der Klügsten ein Schwein, salzt einen Teil desselben ein und sucht, entschlossen, den Rest seiner Vorräte aufzuopfern, seine Leidensgefährten auf. "Freunde", spricht er in wohlwollendem Tone zu ihnen, "welche Mühe macht es Euch doch, ein bißchen zu arbeiten und schlecht zu leben! Nach vierzehn Tagen der Arbeit liegt Ihr jetzt fast in den letzten Zügen! . . . Schließen wir einen Handel ab, in welchem alle Vorteile auf Eurer Seite sind; ich gebe Euch zu essen und trinken, Ihr gewinnt täglich soviel; wir wollen zusammen arbeiten; und, gottlob! meine Freunde, wir werden vergnügt und zufrieden sein!"


Glaubt man, daß ein knurrender Magen einer solchen Anrede widersteht? Die Ausgehungerten folgen der heimtückischen Aufforderung; man geht ans Werk; der Reiz der Gesellschaft, der Wetteifer, die Fröhlichkeit, die gegenseitige Hilfe verdoppeln die Kräfte; die Arbeit schreitet sichtbar vorwärts; man bezwingt die Natur unter Singen und Lachen; in kurzer Zeit ist der Boden umgewandelt; die aufgelockerte Erde harrt nur noch der Saat. Danach bezahlt der Eigentümer seine Arbeiter, die dankerfüllt heimkehren und der glücklichen Tage, die sie bei ihm verlebt haben, wehmütig gedenken.


Andere folgen diesem Beispiel, immer mit gleichem Erfolge; nach fertiggestellter Arbeit gehen sie auseinander: jeder kehrt zu seinem Gebiet zurück. Aber beim Roden muß man leben; während man es für den Nachbarn tat, konnte man es nicht für sich selbst: ein Jahr für Saat und Ernte ist bereits verloren. Man hatte darauf gerechnet, daß man durch Verdingung seiner Arbeit nur gewinnen könnte, da man seine eigenen Vorräte sparte, besser lebte und noch obendrein Geld bekäme. Diese Rechnung ging aber nicht auf! Man hatte für einen anderen eine Erwerbsquelle geschaffen, für sich selbst aber nichts; die Schwierigkeiten der Rodung blieben dieselben; die Kleidungsstücke nutzen sich ab, die Vorräte gehen aus, und bald leert sich auch die Börse zum Vorteil desjenigen, für den man gearbeitet hat, denn er allein kann die mangelnden Lebensmittel liefern, da er allein mit dem Anbau vorankommt. Ist dann der arme Kolonist mit seinen Hilfsmitteln am Ende, dann zeigt sich wie der Riese in der Fabel, der sein Opfer schon von ferne wittert, der Mensch mit der Nahrung; er bietet ihm an, ihn wieder in Tagelohn zu nehmen und von ihm zu einem anständigen Preis ein Stück seines schlechten Bodens abzukaufen, mit dem er nichts anfängt und nichts anfangen wird; d. h. er läßt auf eigene Rechnung das Feld des einen durch den anderen nutzbar machen; so sind nach etwa zwanzig Jahren von den dreißig Teilnehmern mit ursprünglich gleichem Vermögen fünf oder sechs Eigentümer des ganzen Gebietes geworden, während die anderen in philantropischer Weise um ihren Besitz gebracht wurden.


In diesem Jahrhundert bürgerlicher Moral, in dem ich das Glück habe, zu leben, ist der moralische Sinn so sehr abgestumpft, daß ich durchaus nicht erstaunt sein würde, wollte mich manch ehrbarer Eigentümer fragen, was ich denn daran Ungesetzliches und Ungerechtes fände. O Du schmutzige Seele! Du galvanisierter Leichnam! Wie soll ich hoffen, Dich zu überzeugen, wenn Dir dieser handgreifliche Raub nicht offenkundig genug erscheint? Ein Mensch findet, durch sanfte und einschmeichelnde Worte, das Geheimnis, daß die anderen Beiträge zu seiner Niederlassung leisten; dann, erst einmal durch die gemeinschaftlichen Anstrengungen reich geworden, weigert er sich, zu denselben, von ihm diktierten Bedingungen für den Wohlstand derer zu sorgen, die sein Vermögen schufen: Und da fragt Ihr noch, was ein solches Benehmen Betrügerisches an sich habe? Unter dem Verwände, seine Arbeiter bezahlt zu haben, ihnen nichts mehr zu schulden, sich nur in den Dienst der anderen gestellt zu haben, während seine eigenen Geschäfte ihn in Anspruch nahmen, weigert er sich, sage ich, den anderen bei ihrer Niederlassung zu helfen, wie sie es ihm doch bei seiner getan haben; und sobald diese hilflos gelassenen Arbeiter in der Ohnmacht ihrer Isolierung notwendig ihr Erbteil zu Geld machen müssen, findet er, dieser undankbare Eigentümer, dieser Schurke von Emporkömmling, sich dazu bereit, ihre Ausplünderung und ihren Ruin zu vollenden. Und Ihr findet das gerecht! Nehmt Euch in acht, in Euren bestürzten Blicken lese ich mehr den Vorwurf eines schuldbeladenen Gewissens als das naive Erstaunen über eine unfreiwillige Unwissenheit.


Der Kapitalist, sagt man, hat den Arbeitern den Tagelohn bezahlt; um genau zu sein, muß man sagen, daß der Kapitalist ebensooft einen Tagelohn bezahlt hat, als er Arbeiter täglich verwendet hat; denn das ist durchaus nicht dasselbe. Jene ungeheure Kraft nämlich, die aus der Vereinigung und der Harmonie der Arbeiter,aus der Gleichrichtung und Gleichzeitigkeit ihrer Anstrengungen entsteht, die hat er nicht bezahlt. Zweihundert Grenadiere haben in wenigen Stunden den Obelisk von Luksor auf seine Grundläge gehoben; nimmt man wohl an, daß ein einzelner Mensch dies in zweihundert Tagen zustande brächte? Dennoch wäre für die Rechnung des Kapitalisten die Summe der Löhne die gleiche gewesen. Nun, eine Wüste fruchtbar zu machen, ein Haus zu erbauen, eine Fabrik in Betrieb zu setzen, das ist dasselbe, wie den Obelisk zu errichten oder einen Berg von seinem Platze zu rücken. Das kleinste Vermögen, das winzigste Unternehmen, das Ingangbringen der elendesten Industrie erfordern ein Zusammenwirken von so verschiedenen Arbeiten und Talenten, daß ein einzelner Mensch nicht dafür genügen würde.

Erstaunlicherweise haben die Nationalökonomen dies nicht bemerkt. Ziehen wir also die Bilanz zwischen der Einnahme und der Ausgabe des Kapitalisten.


Der Arbeiter bedarf eines Lohnes, um davon während der Zeit seiner Arbeit zu leben; denn er produziert nur, wenn er verzehrt. Wer einen Menschen beschäftigt, schuldet ihm Nahrung und Unterhalt oder einen gleichwertigen Lohn. Das ist der erste Teil, der bei jeder Produktion zu erledigen ist. Ich nehme im Augenblick an, daß der Kapitalist in dieser Beziehung seine Schuldigkeit getan hat.


Der Arbeiter muß außer seinem gegenwärtigen Unterhalt in seiner Produktion noch eine Garantie seines künftigen finden, da er einsehen muß, daß die Produktionsquelle versiegen und er selbst arbeitsunfähig werden kann; mit anderen Worten, die künftige Arbeit muß dauernd aus der vollendeten entstehen: das ist das allgemeine Gesetz der Reproduktion. Daher findet der Grundeigentümer: 1. in seinen Ernten nicht nur die Mittel für sich und seine Familie zu leben, sondern auch Mittel, sein Kapital zu erhalten und zu verbessern, Mittel für die Aufzucht von Vieh, kurz, Mittel für weitere Arbeit und stete Reproduktion; 2. in dem Eigentum an einem Produktionsinstrument die dauernde Sicherheit eines Betriebs-, Beschäftigungs- und Arbeitskapitals. Welches Betriebskapital hat nun aber derjenige, der seine Dienstleistungen vermietet? - Das vermutete Bedürfnis des Eigentümers nach seinen Dienstleistungen und dessen vermuteter Wille, ihn entgeltlich zu beschäftigen. Wie in früheren Zeiten der Hörige sein Grundstück nach der Freigebigkeit und der Willkür der Herren hatte, so hat heute der Arbeiter seine Arbeit nach der Willkür und den Bedürfnissen des Meisters und Eigentümers: Das nennt man nach dem "bittweisen" Rechtstitel besitzen(3). Aber diese bittweise erhaltene Bedingung ist ungerecht, denn sie zieht eine Ungleichheit in jenen Handel mit sich. Der Lohn des Arbeiters übersteigt seinen laufenden Verzehr nicht mehr und sichert ihm nicht den Lohn für morgen, während der Kapitalist in dem vom Arbeiter hervorgebrachten Produkt ein Unterpfand der Unabhängigkeit und Sicherheit für die Zukunft findet.

Anmerkung (3) Bittweise, precor, ich bitte, weil der Bewilligungsakt ausdrücklich bemerkte, daß der Herr auf Bitten seiner Leute oder Leibeigenen die Erlaubnis zur Arbeit gegeben habe.


Nun, dieses Reproduktionsferment, dieser ewige Lebenskeim, dieser Vorrat an produktivem Kapital und Produktionsinstrumenten, dies ist der Kapitalist dem Produzenten schuldig, er gibt es ihm aber niemals. Und diese betrügerische Weigerung veranlaßt die Not des Arbeiters, den Luxus des Müßiggängers und die Ungleichheit der Bedingungen. Darin hauptsächlich besteht das, was man so treffend die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen genannt hat.


Von drei Sachen eine: entweder der Arbeiter erhält einen Anteil an der Sache, die er mit einem Vorgesetzten produziert hat, nach Abzug allen Lohnes, oder der Vorgesetzte gibt dem Arbeiter ein Äquivalent für seinen produktiven Dienst, oder endlich, er verpflichtet sich, ihn stets zu beschäftigen. Teilung des Produktes, Gegenseitigkeit der Dienstleistungen oder Garantie einer ständigen Arbeit: dieser Alternative kann der Kapitalist nicht entrinnen. Aber es ist klar, daß er die zweite und dritte Bedingung nicht erfüllen kann: er kann sich nicht in den Dienst von Tausenden von Arbeitern stellen, die, direkt oder indirekt, für seine Niederlassung gearbeitet haben; und er kann nicht alle ständig beschäftigen. Es bleibt also die Verteilung des Eigentums. Aber wenn das Eigentum geteilt wird, so werden alle Bedingungen gleich; es gibt dann weder große Kapitalisten noch große Eigentümer mehr.


Wenn also Comte im Verlauf seiner Hypothese uns zeigt, wie sein Kapitalist nach und nach das Eigentum an allen Sachen erwirbt, die er bezahlt, so verwickelt er sich immer mehr in seinen beklagenswerten Fehlschluß hinein; und da sich seine Beweisführung nicht ändert, bleibt auch unsere Antwort stets dieselbe.


"Andere Arbeiter werden zur Errichtung von Gebäuden verwendet; die einen brechen die Steine im Steinbruch, die anderen schaffen sie heran, die dritten bebauen sie, und wieder andere mauern sie auf. Jeder fügt dem Gegenstande, der durch seine Hände geht, einen gewissen Wert hinzu, und dieser Wert, das Produkt seiner Arbeit, ist sein Eigentum. Er verkauft ihn, sowie er ihn gebildet, dem Kapitaleigentümer, der ihm dafür den Preis in Lebensmitteln und im Lohne bezahlt."


Divide et impera: teile, und Du wirst herrschen; teile, und Du wirst reich werden; teile, und Du wirst die Menschen betrügen, und Du wirst ihre Vernunft blenden, und Du wirst Dich über die Gerechtigkeit lustig machen. Trennt die Arbeiter voneinander; und es kann der einem jeden gezahlte Tagelohn den Wert jedes individuellen Produktes übersteigen: aber darum handelt es sich hier nicht. Eine Kraft von tausend Menschen, die zwanzig Tage lang arbeiten, wird geradeso bezahlt wie die Kraft eines einzelnen, der fünfund-fünfzig Jahre lang arbeitet; aber diese Kraft von tausend hat in zwanzig Tagen das fertiggebracht, was die Kraft eines einzelnen mit verdoppelter Anstrengung während einer Million Jahre nicht bewältigt hätte: ist dieser Handel billig? Noch einmal: nein; wenn Ihr alle einzelnen Kräfte bezahlt habt, so habt Ihr doch die Gesamtkraft nicht bezahlt; folglich bleibt immer noch ein Gesamteigentumsrecht übrig, das Ihr nicht erworben habt und das Ihr zu Unrecht genießt.


Angenommen der Lohn dieser zwanzig Tage genüge für diese Masse, sich zwanzig Tage zu ernähren, zu wohnen und zu kleiden: Hört aber nach Ablauf dieser Zeit die Arbeit auf, was soll aus ihr werden, wenn sie ihr Werk einem Eigentümer überläßt, der sie bald laufen läßt? Während der Eigentümer, dank dem Zusammenwirken aller Arbeiter, gesichert und sorgenlos dahinlebt und nicht Mangel an Arbeit und Brot fürchtet, kann der Arbeiter auf das Wohlwollen dieses Eigentümers hoffen, dem er seine Freiheit verkauft und dem er sich willig hingegeben hat? Wenn sich also der Eigentümer hinter seiner Selbstgenügsamkeit und seinem Recht verschanzt und sich weigert, den Arbeiter zu beschäftigen, wie kann dann der Arbeiter leben? Er hat ein ausgezeichnetes Feld bestellt und darf es nicht besäen; er hat ein bequemes und prächtiges Haus gebaut und darf es nicht bewohnen; er hat alles mögliche produziert und darf nichts genießen.


Wir kommen von der Arbeit zur Gleichheit; jeder Schritt, den wir tun, bringt uns ihr näher; und wenn die Kraft, der Fleiß und die Geschicklichkeit der Arbeiter gleich wären, so ist es klar, daß es auch die Vermögen wären. Wenn in der Tat, wie man behauptet und wir auch zugegeben haben, der Arbeiter Eigentümer des von ihm geschaffenen Wertes ist, so folgt daraus:


1. daß der Arbeiter auf Kosten des untätigen Eigentümers erwirbt;


2. daß der Arbeiter, da jede Produktion notwendigerweise kollektiv ist, Anrecht auf einen Teil der Produkte und auf den Gewinn nach Maßgabe seiner Arbeit hat;


3. daß, da jedes auf gehäufte Kapital soziales Eigentum ist, keiner ausschließliches Eigentum daran haben kann.


Diese Folgerungen sind unumstößlich; sie allein würden genügen, um unsere ganze Nationalökonomie umzustürzen und unsere Institutionen und Gesetze zu ändern. Warum weigern sich die, welche das Prinzip aufstellten, es jetzt zu befolgen? Warum suchen Leute wie Say, Comte, Hennequin und andere, nachdem sie das Eigentum aus der Arbeit abgeleitet haben, es nachher durch die Okkupation und die Verjährung unbeweglich zu machen?


Aber überlassen wir diese Sophisten ihren Widersprüchen und ihrer Verblendung; der gesunde Sinn des Volkes wird an ihren Zweideutigkeiten Gerechtigkeit üben. Beeilen wir uns, es aufzuklären und ihm den Weg zu zeigen. Die Gleichheit naht; ein schmaler Zwischenraum trennt uns nur noch von ihr, und morgen wird auch er durchschritten sein.


§ 6 In der Gesellschaft sind alle Arbeitslöhne gleich


Wenn die Saint-Simonisten, die Fourieristen und überhaupt alle die, welche sich in unseren Tagen mit Nationalökonomie und sozialer Reform befassen, auf ihre Fahne schreiben:


Jedem nach seiner Fähigkeit, jeder Fähigkeit nach ihren Werken
(Saint-Simon)

Jedem nach seinem Kapital, seiner Arbeit und seinem Talent
(Fourier)

so verstehen sie darunter, wenngleich sie es nicht ausdrücklich sagen, daß die Produkte, die die Natur mit Hilfe der Arbeit und Industrie hervorgebracht hat, eine Belohnung, eine Palme, eine Krone für alle Arten van hervorragenden Geistern und Talenten sind; sie betrachten die Erde als eine ungeheure Rennbahn, in welcher die Preise freilich nicht mehr wie früher mit Lanze und Schwert, durch Gewalt und Verrat, sondern durch erworbenen Reichtum, durch Wissen, durch Talent, ja sogar durch Tugend erstritten werden. Mit einem Wort, sie und alle Welt mit ihnen verstehen, daß man der größten Fähigkeit die größte Belohnung schulde, oder um mich der Kaufmannssprache zu bedienen, die das Verdienst hat, nicht zweideutig zu sein, daß die Gehälter dem Werk und der Fähigkeit angemessen sein sollen.
Die Schüler der beiden angeblichen Reformatoren können nicht leugnen, daß dies ihr Gedanke sei, denn sonst würden sie sich dadurch in Widerspruch mit ihren offiziellen Erklärungen setzen und die Einheit ihrer Systeme zerstören.Ubrigens ist ein derartiges Leugnen von ihrer Seite nicht zu befürchten; die beiden Sekten rühmen sich, als Prinzip die Ungleichheit der Bedingungen aufzustellen, analog der Natur, die, wie sie sagen, selbst die Ungleichheit der Fähigkeiten gewollt hat; sie schmeicheln sich nur einer Sache, durch ihre politische Organisation es so gut zu machen, daß die sozialen Ungleichheiten immer mit den natürlichen übereinstimmen. Um die Frage, ob die Ungleichheit der Bedingungen, der Gehälter will ich sagen, möglich ist, kümmern sie sich weiter nicht, sondern bestimmen nur die Metrik der Fähigkeiten(4).

Anmerkung(4) Nach Saint-Simon mußte der saint-simonistische Oberpriester die Fähigkeit eines jeden Kraft seiner päpstlichen Unfehlbarkeit bestimmen, was eine Nachahmung der römischen Kirche war: nach Fourier werden Rang und Verdienst durch Abstimmung und Wahl festgesetzt, was eine Nachahmung der konstitutionellen Monarchie war. Offenbar hielt der große Mann den Leser zum besten, er wollte sein Geheimnis nicht verraten.


Jedem nach seiner Fähigkeit, jeder Fähigkeit nach ihren Werken.

Jedem nach seinem Kapital, seiner Arbeit und seinem Talent.

Seit St.-Simons Tod und seit der Vergötterung Fouriers hat keiner ihrer zahlreichen Anhänger vor dem Publikum einen wissenschaftlichen Beweis dieser großen Maxime zu erbringen versucht; und ich wette hundert gegen eins, daß kein Fourierist auch nur ahnt, daß dieser doppelgestaltige Aphorismus zweier verschiedener Auslegungen fähig ist.


Jedem nach seiner Fähigkeit, jeder Fähigkeit nach ihren Werken.


Jedem nach seinem Kapital, seiner Arbeit, und seinem Talent.


Dieser Satz, in sensu obvio, wie man sagt, offen und vulgär genommen, ist falsch, absurd, ungerecht, widerspruchsvoll, freiheitsfeindlich, tyrannenfreundlidi, antisozial und ist fatalerweise unter dem bestimmenden Einfluß des Eigentumsvorurteils zustande gekommen.

Nun, zuerst muß das Kapital aus der Liste der Belohnungen gestrichen werden. Soweit ich aus einigen ihrer Broschüren ersehen konnte, leugnen die Fourieristen das Okkupationsrecht und erkennen nur die Arbeit als Prinzip des Eigentums an; bei einer derartigen Voraussetzung hätten sie, wenn sie nachgedacht hätten, begreifen müssen, daß ein Kapital für seinen Eigentümer nur vermöge des Okkupationsrechtes etwas produziert und daß folglich diese Produktion ungesetzlich ist. Ist die Arbeit in der Tat das einzige Prinzip des Eigentums, so höre ich auf, Eigentümer meines Feldes zu sein, sobald ein anderer es bearbeitet und mir dafür Pachtgeld bezahlt: dies haben wir unwiderleglich nachgewiesen: nun, ebenso verhält es sich mit den Kapitalien; so daß ein Kapital in einem Unternehmen anlegen, streng nach dem Recht heißt, dieses Kapital gegen eine entsprechende Summe von Produkten austauschen. Ich werde in dieser Diskussion nicht mehr auf diesen Punkt zurückkommen, da es von jetzt an nutzlos wäre, sondern nunmehr das, was man durch Kapital produzieren nennt, im folgenden Kapitel gründlich abhandeln.
Das Kapital kann also ausgetauscht werden; es kann keine Einkommensquelle sein.


Es bleiben die Arbeit und das Talent oder, wie Saint-Simon sagt, die Werke und die Fähigkeiten. Ich will sie eins nach dem anderen prüfen. Müssen die Gehälter der Arbeit entsprechen? Mit anderen Worten, ist es gerecht, daß der, welcher mehr arbeitet, auch mehr erhält? Ich bitte den Leser inständigst, seine Aufmerksamkeit hier zu verdoppeln. Um mit einem Schlage das Problem zu lösen, braucht man nur folgende Frage zu stellen: Ist die Arbeit eine Bedingung oder ein Kampf? Die Antwort scheint mir nicht zweifelhaft zu sein.


Gott hat dem Menschen gesagt: Im Schweiße Deines Angesichtes sollst Du Dein Brot essen, das heißt, Du sollst selbst Dein Brot produzieren mit mehr oder weniger Vergnügen, je nachdem Du Deine Anstrengungen lenkst und vereinigst, wirst Du arbeiten. Gott hat nicht gesagt: Du sollst Dich um Dein Brot mit Deinem Nächsten streiten; sondern Du sollst an der Seite Deines Nächsten arbeiten und Ihr sollt beide in Frieden leben. Wir wollen den Sinn dieses Gesetzes darlegen, dessen außerordentliche Einfachheit doch einen Doppelsinn enthalten könnte.


Man muß bei der Arbeit zwei Dinge unterscheiden: die Genossenschaft (Assoziation) und den Bearbeitungsgegenstand.


Solange die Arbeiter als Genossen arbeiten, sind sie gleich, und es wäre ein Widerspruch, wenn der eine besser bezahlt würde als der andere: denn das Produkt des einen Arbeiters kann nur mit dem des anderen bezahlt werden; sind die beiden Produkte ungleich, so wird der Rest oder die Differenz zwischen dem größeren und dem kleineren nicht von der Gesellschaft erworben und greift daher, da er doch nicht ausgetauscht wird, die Gleichheit der Löhne nicht an. Daraus ergibt sich, wenn man will, für den stärkeren Arbeiter eine natürliche, aber keine gesellschaftliche Ungleichheit, da niemand dadurch an seiner Kraft oder produktiven Energie leidet. Mit einem Wort: die Gesellschaft tauscht nur gleiche Produkte aus, d. h. sie bezahlt nur die Arbeiten, die für sie geleistet werden; folglich bezahlt sie alle Arbeiter gleichmäßig; was diese außerhalb ihres Bereiches produzieren könnten, geht sie ebensowenig an wie die Verschiedenheit ihrer Stimmen und Haare.


Es scheint, als wollte ich selbst das Prinzip der Ungleichheit aufstellen; aber gerade das Gegenteil ist der Fall. Die Summe der Arbeiten, welche für die Gesellschaft geleistet werden können, d. h. der austauschbaren Arbeiten, ist um so größer, je zahlreicher die Arbeiter und je beschränkter ihr Aufgabengebiet sind: folglich wird die natürliche Ungleichheit in gleichem Verhältnis mit der Ausdehnung der Genossenschaft neutralisiert, und eine größere Anzahl von Verbrauchsgegenständen wird gemeinschaftlich produziert: so daß das einzige in der Gesellschaft, was die Ungleichheit der Arbeit wieder herbeiführen könnte, das Okkupationsrecht, das Eigentumsrecht ist. Nehmen wir nun an, diese tägliche gesellschaftliche Arbeit betrüge, in Bodenarbeit, Pflügen, Ernten usw. angegeben, 200 Quadratmeter und die Durchschnittszeit zu ihrer Erledigung sieben Stunden: der eine Arbeiter braucht dazu sechs Stunden, der andere acht, die Mehrzahl aber sieben: jeder aber hat, vorausgesetzt, daß er die verlangte Qualität Arbeit liefert, gleichviel welche Zeit er dazu braucht, das Recht auf gleichen Arbeitslohn.


Hat nun der Arbeiter, der seine Aufgabe in sechs Stunden erfüllen kann, das Recht, unter dem Vorwand seiner größeren Kraft und Tätigkeit, die Arbeit des weniger geschickten Arbeiters zu usurpieren und ihm so Arbeit und Brot zu nehmen? Wer wagte es, dies zu behaupten? Wer früher als die ändern fertig ist, mag sich ausruhen, wenn er will; mag er zur Erhaltung seiner Körperkraft und zur Pflege seines Verstandes sich zu seinem Vergnügen nützlichen Übungen und Arbeiten widmen; er kann dies, ohne damit jemandem zu schaden: aber vor eigennützigen Beschäftigungen soll er sich hüten. Energie, Talent, Fleiß und alle persönlichen Vorzüge, die daraus entspringen, sind das Werk der Natur und nur bis zu einem gewissen Grade vom Individuum abhängig: die Gesellschaft zollt ihnen die Achtung, die sie verdienen; aber die Miete, die sie ihnen bezahlt, entspricht nicht ihrem Können, sondern ihrer Produktion. Nun, das Produkt des einzelnen wird durch das Recht aller begrenzt.


Wäre die Ausdehnung des Bodens unendlich und die Menge von Bearbeitungsgegenständen unerschöpflich, so könnte man noch immer nicht jene Maxime verwenden: Jedem nach seiner Arbeit; und warum nicht? weil die Gesellschaft, ich wiederhole, ohne Rücksicht auf die Zahl ihrer Mitglieder, ihnen allen nur denselben Lohn geben kann; denn sie bezahlt sie nur mit ihren eigenen Produkten. Nur bei der von uns oben aufgestellten Hypothese, wenn nichts die Starken hinderte, sich aller ihrer Vorteile zu bedienen, würde man sehen, wie die Nachteile der natürlichen Ungleichheit aus dem Schöße der gesellschaftlichen Gleichheit wieder entstünden. Aber das Land ist, im Hinblick auf die Produktivkraft seiner Bewohner und ihrer Vermehrungsfähigkeit, sehr beschränkt; weiterhin ist durch die ungeheure Vielfalt der Produkte und den hohen Grad der Arbeitsteilung die gesellschaftliche Arbeit leicht zu leiten; somit ist uns durch diese Beschränkung erzeugbarer Gegenstände und durch die Leichtigkeit ihrer Produktion das Gesetz der absoluten Gleichheit gegeben.


Ja, das Leben ist Kampf; aber kein Kampf des Menschen gegen den Menschen, sondern des Menschen gegen die Natur, und jeder von uns muß mit seiner Person dafür einstehen. Kommt in dem Kampf der Starke dem Schwachen zu Hilfe, so verdient diese edle Handlung Lob und Liebe; aber seine Hilfe muß freiwillig angenommen, nicht mit Gewalt aufgezwungen oder in Rechnung gestellt werden. Alle gehen denselben Weg, der weder zu lang noch zu beschwerlich ist: wer ihn beendet hat, findet am Ziele seinen Lohn; aber er muß durchaus nicht als erster dort sein.

In der Druckerei, in der die Arbeiter gewöhnlich ihr bestimmtes Arbeitsfeld haben, erhält der Setzer soundso viel für tausend Buchstaben Satz, der Drucker soundso viel für tausend gedruckte Bogen.

Dort, wie überall, begegnet man einer Ungleichheit des Talents und der Geschicklichkeit. Solange man noch keine Arbeitslosigkeit befürchtet, solange es noch Papier und Buchstaben gibt, kann jeder sich seinem Eifer überlassen und alle seine Fähigkeiten entwickeln: dann verdient der mehr, der mehr arbeitet, der der weniger tut, demnach weniger. Beginnt aber die Arbeit rar zu werden, so teilen sich Setzer und Drucker in das Werk; jeder, der mehr haben will, wird gleich einem Räuber und Verräter verwünscht.


In diesem Verhalten der Drucker liegt eine Philosophie, zu der sich weder Nationalökonomen noch Juristen jemals aufgeschwungen haben. Hätten unsere Gesetzgeber das Prinzip der verteilenden Gerechtigkeit, wie es in den Druckereien herrscht, in ihre Gesetzbücher aufgenommen; hätten sie auf den Instinkt des Volkes geachtet, nicht um ihn knechtisch nachzuahmen, sondern um ihn zu reformieren und zu verallgemeinern, so ständen lange schon Freiheit und Gleichheit auf einer unzerstörbaren Grundlage, und es gäbe keinen Streit mehr über das Eigentumsrecht und die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Unterschiede.


Man hat ausgerechnet, daß in Frankreich die Durchschnitts-Arbeitszeit nicht mehr als fünf Stunden betrüge, wenn die Arbeit durch die Zahl der arbeitsfähigen Personen geteilt würde. Wer hat hiernach noch die Stirn, von der Ungleichheit der Arbeiter zu reden? Es ist die Arbeit von Robert-Macaire, die die Ungleichheit schafft.


Legt man das Prinzip: Jeder nach seiner Arbeit dahin aus: Wer mehr arbeitet, soll mehr erhalten, so setzt man zwei offensichtlich falsche Tatsachen voraus: nämlich eine ökonomische, daß in einer gesellschaftlichen Arbeit die Aufgaben nicht gleich sein können, und eine physische: daß die Menge der erzeugbaren Gegenstände unbegrenzt sei. Aber, wird man sagen, wenn sich nun Leute finden, die ihre Aufgabe nur zur Hälfte erledigen wollen?... Gerätst Du dann nicht in Verlegenheit? - Offenbar genügt ihnen die Hälfte des Lohnes. Werden sie nach Maßgabe der gelieferten Arbeit bezahlt, worüber wollen sie sich dann beklagen? Und welches Unrecht begehen sie dadurch an den anderen? In diesem Sinne kann man mit vollem Recht den Satz anwenden: Jedem nach seinen Werken; hier ist er das Gesetz der Gleichheit selbst.

Übrigens kann man hier eine Menge Schwierigkeiten, die sich sämtlich auf Polizei und Organisation der Industrie beziehen, entgegenhalten: ich beantworte alle nur mit dem Wort, daß sie sämtlich nach dem Prinzip der Gleichheit gelöst werden müssen. So kann man besonders beobachten, daß es z. B. Aufgaben gibt, die ohne Nachteil für die Produktion keinen Aufschub erleiden dürfen: soll die Gesellschaft in diesem Falle unter der Nachlässigkeit einiger weniger leiden und mit Rücksicht auf das Recht der Arbeit sich nicht mit eigenen Händen des Produktes versichern, das man ihr verweigert? Wem gehört dann der Lohn?


Der Gesellschaft, die die Arbeit entweder selbst oder durch Stellvertretung verrichtet, aber stets derart, daß die allgemeine Gleichheit niemals verletzt und der Träge allein für seine Trägheit bestraft wird. Noch mehr: wenn die Gesellschaft nicht äußerste Strenge gegen die Säumigen anwenden darf, so hat sie im Interesse der Selbsterhaltung ein Recht, Mißbräuche zu überwachen.


In jeder Industrie, wird man hinzufügen, bedarf es der Leiter, Aufseher usw. Erhalten diese auch Arbeit? - Nein; denn ihre Arbeit besteht im Lehren, Beaufsichtigen usw. Aber sie müssen aus den Arbeitern durch diese selbst gewählt werden und die Bedingungen der Wählbarkeit erfüllen. Ebenso verhält es sich mit jedem öffentlichen Amt, sei es in der Verwaltung, sei es beim Unterricht.


Also, der erste Artikel der Weltordnung lautet:


Die beschränkte Quantität der Bearbeitungsgegenstände beweist die Notwendigkeit, die Arbeit nach der Anzahl der Arbeiter zu teilen: die allen gegebene Fähigkeit, eine gesellschaftliche, d. h. eine gleiche Arbeit zu leisten und die Unmöglichkeit, einen Arbeiter in anderer Weise als mit dem Produkte eines anderen zu bezahlen, rechtfertigen die Gleichheit der Einkünfte.


§ 7 Die Ungleichheit der Fähigkeiten ist die notwendige Bedingung der Gleichheit des Vermögens


Man wendet - und dieser Einwand bildet den zweiten Teil des saint-simonistischen und den dritten des fourieristischen Sprichworts - hiergegen ein:


Alle Arbeiten, die ausgeführt werden müssen, sind nicht gleich leicht: einige von ihnen verlangen eine große Überlegenheit an Talent und Intelligenz, und diese Überlegenheit selbst bedingt den höheren Preis. Der Künstler, der Gelehrte, der Dichter, der Staatsmann werden nur mit Rücksicht auf ihre höheren Eigenschaften geschätzt, und diese zerstören jede Gleichheit zwischen ihnen und den Menschen: vor diesen Größen der Wissenschaft und des Genies verschwindet das Gesetz der Gleichheit. Nun, wenn die Gleichheit nicht absolut ist, so existiert sie nicht; vom Dichter steigen wir zum Romanschriftsteller, vom Bildhauer zum Steinmetz, vom Architekten zum Maurer, vom Chemiker zum Koch usw. herab. Die Fähigkeiten lassen sich klassifizieren und in Ordnungen, Gattungen und Arten einteilen; die Extreme des Talents sind durch andere mittlere Talente miteinander verbunden; die Menschheit stellt sich als eine ungeheure Hierarchie dar, in der das Individuum sich durch die anderen selbst einschätzt und seinen Preis in dem Wert der Meinung über sein Produkt findet.


Dieser Einwand hat zu allen Zeiten furchtbar geschienen: er ist der Stein des Anstoßes ebenso für die Nationalökonomen wie für die Anhänger der Gleichheit. Er hat die ersteren zu groben Irrtümern verleitet und die anderen dazu, die unglaublichsten Gemeinheiten vorzubringen. Gracchus Babeuf wollte jede Überlegenheit aufs strengste unterdrückt und sogar als eine Geißel der Gesellschaft verfolgt wissen; um das Gebäude seiner Gemeinschaft zu errichten, drückte er alle Bürger auf die Größe des Kleinsten herab. Man hat gesehen, wie unwissende Wähler die Ungleichheit des Wissens zurückwiesen, und ich wäre nicht im geringsten überrascht, wenn andere sich eines Tages gegen die Ungleichheit der Tugenden erhöben. Aristoteles wurde verbannt, Sokrates trank den Giftbecher, Epaminondas wurde vor Gericht geladen, weil verkommene und geistesschwache Demagogen fanden, daß diese Männer zuviel Vernunft und Tugend besaßen. Ähnliche Narreteien werden sich wiederholen, solange ein blinder, von den Reichen unterdrückter Pöbel fürchtet, daß sich aus der Ungleichheit des Vermögens neue Tyrannen erheben würden.


Nichts erscheint einem ungeheuerlicher als das, was man zu nahe betrachtet; nichts ist oft unwahrscheinlicher als die Wahrheit. Andererseits, J. J. Rousseau folgend, "bedarf es vieler Philosophie, um einmal beobachten zu können, was man alle Tage sieht"; und nach d'Alembert "macht die Wahrheit, die sich den Menschen überall zu zeigen scheint, auf sie nur dann Eindruck, wenn man sie ausdrücklich darauf hinweist". Der Patriarch der Nationalökonomen, Say, dem ich diese beiden Zitate entlehne, hätte daraus seinen Vorteil ziehen können; aber mancher, der über einen Blinden lacht,braucht selbst eine Brille, und mancher, der dies bemerkt, ist auch schon kurzsichtig.


Merkwürdig! Was die Geister so sehr abgeschreckt hat, ist nicht ein Einwand: es ist die Bedingung der Gleichheit selbst!...


Die Ungleichheit der Natur, Bedingung der Gleichheit des Vermögens! .. .Wie paradox!... - Ich wiederhole meine Behauptung, damit man nicht denke, ich irre mich: Die Ungleichheit der Fähigkeiten ist die conditio sine qua non der Gleichheit des Vermögens.


Man muß in der Gesellschaft zwei Dinge unterscheiden: die Funktionen und die Beziehungen.


1. Die Funktionen. Jeder Arbeiter wird der Arbeit für fähig erachtet, die man ihm aufträgt, oder, um mich volkstümlicher auszudrücken, jeder Handwerker soll sein Metier verstehen. Genügt der Arbeiter seinem Werk, so geht die Gleichung Funktionär und Funktion auf.


In einer Gesellschaft von Menschen gleichen die Funktionen einander nicht: es müssen daher auch verschiedene Fähigkeiten existieren. Außerdem erfordern gewisse Beschäftigungen größere Intelligenz und Fähigkeiten; es gibt daher auch Leute von höherem Geist und Talent. Denn das Werk, das vollbracht werden muß, bringt auch notwendig den geeigneten Mann dazu mit sich: das Bedürfnis gibt die Idee, und die Idee schafft den Produzenten. Wir wissen nur, was uns der Sinnesreiz wünschen läßt und was unsere Intelligenz für sich fordert, wir wünschen nur das lebhaft, was wir richtig begreifen; und je besser wir begreifen, um so fähiger sind wir zur Produktion.


Die Funktionen werden also durch die Bedürfnisse gegeben, die Bedürfnisse durch die Wünsche und die Wünsche durch die spontane Aufnahme, durch die Phantasie; dieselbe Intelligenz, die Phantasie hat, kann auch produzieren; folglich ist keine zu verrichtende Arbeit zu hoch für den Arbeiter. Mit einem Wort: wenn die Funktion den Funktionär hervorruft, so geschieht dies, weil in Wirklichkeit der Beschäftigte vor der Beschäftigung existiert.


Bewundern wir nun den,Haushalt der Natur: in jener Vielheit von verschiedenen Bedürfnissen, die sie uns gegeben hat und die der isolierte Mensch aus eigener Kraft nicht befriedigen kann, mußte sie der Gattung die Macht verleihen, die sie dem Individuum versagte: von dort erklärt sich das Prinzip der Arbeitsteilung, das sich auf die Verschiedenheit der Funktionen gründet.


Noch mehr: die Befriedigung gewisser Bedürfnisse erfordert vom Menschen ein ununterbrochenes Schaffen, während andere durch die Arbeit eines einzigen für Millionen von Menschen und Jahren befriedigt werden. Beispielsweise verlangt das Bedürfnis nach Kleidung und Nahrung eine beständige Reproduktion; während die Kenntnis des Weltsystems für immer durch zwei oder drei Angehörige der Elite erwoben werden konnte. So unterhält der stete Lauf der Flüsse unseren Handel und setzt unsere Maschinen in Bewegung; aber die Sonne allein erleuchtet inmitten des Raumes die ganze Welt. Die Natur könnte Männer wie Platon und Virgil, wie Newton und Cuvier hervorbringen, ebenso wie sie Bauern und Hirten erschaffen hat, aber sie will es nicht und bringt die Seltenheit des Genies in Verhältnis zur Dauer ihrer Produkte und die Anzahl der Fähigkeiten ins Gleichgewicht mit dem, wozu eine jede von ihnen genügt.


Ich untersuche nicht, ob der Unterschied zwischen zwei Menschen an Talent und Intelligenz von unserer kläglichen Zivilisation herrührt und ob das, was man heutzutage Ungleichheit der Fähigkeiten nennt, unter glücklicheren Verhältnissen nur eine Verschiedenheit der Fähigkeiten wäre; ich will das Schlechteste annehmen und, damit man mir nicht vorwirft, ich hätte Ausflüchte gesucht und die Schwierigkeiten umgangen, erkenne ich alle möglichen Ungleichheiten und Talente an(5). Gewisse nivellierungssüchtige Philosophen behaupten, alle Intelligenzen seien gleich, und der Unterschied zwischen ihnen rühre von der Erziehung her. Ich bin weit davon entfernt, muß ich gestehen, diese Ansicht zu teilen, die außerdem, wäre sie wahr, gerade zu dem entgegengesetzten Resultat führen würde, als man meint. Denn wenn die Fähigkeiten gleich wären, gleichviel wie groß sonst der Grad ihrer Macht wäre, so müßten, da man niemanden hierzu zwingen kann, die sogenannten groben, gemeinen oder schweren Arbeiten am besten bezahlt werden; und das widerstrebt der Gleichheit nicht weniger als dem Prinzip:

 


Anmerkung (5) Ich begreife nicht, wie man zur Rechtfertigung der Ungleichheit der Bedingungen die niedrigen Neigungen und Anlagen gewisser Menschen anzuführen wagt. Woher kommt denn jene schmachvolle Herzens- und Geisteserniedrigung, deren Opfer wir so häufig sehen, wenn nicht von dem Elend und der Verworfenheit, die von dem Eigentum ausgeht? Das Eigentum macht den Mann zum Eunuchen und wirft ihm dann noch vor, er sei ein vertrocknetes Holz, ein unfruchtbarer Baum.


Jeder Fähigkeit nach ihren Werken
. Gebt mir im Gegenteil eine Gesellschaft, in der jede Art von Talent in richtigem Zahlenverhältnis zu den Bedürfnissen steht und in der man von jedem Produzenten nur das verlangt, zu dessen Produktion ihn seine speziellen Eigenschaften befähigen, und, bei aller Rücksicht auf die Hierarchie der Beschäftigungen, werde ich hieraus die Gleichheit des Vermögens folgern.


Nunmehr komme ich zu meinem zweiten Punkt.


2. Beziehungen. Bei der Behandlung des Elementes der Arbeit habe ich gezeigt, daß bei einer gleichen Gattung produktiver Dienstleistungen die Ungleichheit der individuellen Kräfte keine Ungleichheit in der Belohnung begründet, da die Fähigkeit, eine gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen, allen gegeben ist. Dennoch muß man zu Recht behaupten, daß man mit bestimmten Fähigkeiten durchaus bestimmte Dienste nicht leisten kann, und zwar dermaßen, daß bei plötzlicher Beschränkung der menschlichen Industrie auf einen einzigen Arbeitszweig sich sogleich zahlreiche Unfähigkeiten herausstellen und folglich die größte soziale Ungleichheit eintreten würde. Aber auch ohne daß ich es sagen muß, sieht jeder ein, daß die Mannigfaltigkeit der Industriezweige dies unmöglich macht; das ist eine so triviale Wahrheit, daß ich mich gar nicht bei ihr aufzuhalten brauche. Die Frage vereinfacht sich daher allein zu dem Beweis, daß die Funktionen untereinander gleich sind, geradeso wie bei einer einzigen Beschäftigungsart die Arbeiter untereinander gleich sind.


Man wundert sich darüber, daß ich dem Genie, der Wissenschaft, dem Mut, kurz, allen von der Welt bewunderten hervorragenden Eigenschaften, die Anerkennung ihrer Würde, die Unterschiede an Macht und Reichtum versage. Aber nicht ich versage ihnen dies, sondern die Wirtschaftlichkeit, die Gerechtigkeit, die Freiheit verbieten es. Die Freiheit! Zum erstenmal rufe ich ihren Namen in diesem Kampfe an: sie selbst erhebe sich für ihre eigene Sache und vollende ihren Sieg.


Da jeder Vertrag einen Austausch von Produkten oder Dienstleistungen zum Zweck hat, so kann er auch als Handelsoperation bezeichnet werden. Wer Handel sagt, sagt Austausch gleicher Werte, denn wenn die. Werte nicht gleich sind und wenn der geschädigte Vertragsteil dieses bemerkt, wird er dem Austausch nicht zustimmen, und es wird kein Handel stattfinden.


Der Handel existiert nur zwischen freien Menschen; sonst kann es Verträge geben, die mit Gewalt oder Betrug erfüllt werden, aber dann gibt es keinen Handel.


Frei ist: wer seine Vernunft und seine Fähigkeiten gebraucht, wer weder von der Leidenschaft geblendet, noch von der Furcht gezwungen oder gehindert, noch durch eine falsche Meinung getäuscht ist.
Bei jedem Tausche existiert also eine moralische Verpflichtung, daß keine der Vertragsparteien auf Kosten der anderen etwas gewinnt; d. h. daß der Handel, um legitim und wahr zu sein, von jeder Ungleichheit frei sein muß; das ist die erste Bedingung des Handels. Die zweite ist, daß er freiwillig geschieht, d. h. daß die Parteien das Geschäft mit Freiheit und vollem Bewußtsein abschließen.
Ich definiere also den Handel oder den Tausch als einen Akt der Gesellschaft.


Der Neger, der seine Frau für ein Messer, seine Kinder für Glasperlen und sich selbst schließlich für eine Flasche Branntwein verkauft, ist nicht frei. Der Händler mit Menschenfleisch, mit dem der Neger den Vertrag schließt, ist nicht sein Genösse, er ist sein Feind. Der zivilisierte Arbeiter, der seinen Arm für ein Stück Brot hergibt, der einen Palast baut, um selbst in einem Stalle zu schlafen, der die reichsten Stoffe fabriziert, um Lumpen zu tragen, der alles produziert, um alles zu entbehren, ist nicht frei: denn der Herr, für den er arbeitet, wird durch den Tausch von Lohn und Arbeit nicht sein Genosse, sondern er ist sein Feind.


Der Soldat, der seinem Vaterland aus Furcht statt aus Liebe dient, ist nicht frei, seine Kameraden und seine Vorgesetzten, die Diener oder Organe der Militärgerichtsbarkeit, sind sämtlich seine Feinde.
Der Bauer, der Ländereien pachtet, der Industrielle, der Kapitalien borgt, der Steuerpflichtige, der Steuern, Zölle, Patentgebühren, Abgaben für Person und Gut usw. bezahlt, und der Abgeordnete, der sie bewilligt, sind hinsichtlich ihres Tuns weder intelligent noch frei. Ihre Feinde sind die Eigentümer, die Kapitalisten, die Regierung.


Gebt den Menschen ihre Freiheit wieder, klärt ihre Intelligenz auf, damit sie den Sinn ihrer Verträge erkennen, und Ihr werdet sehen, wie bei allen ihren Tauschabmachungen die vollkommenste Gleichheit herrscht, ohne Rücksicht auf die Überlegenheit des Talents und Geistes; und Ihr werdet erkennen, daß in dem Kreis der Handelsideen, d. h. in der Sphäre der Gesellschaft, das Wort Überlegenheit ohne Sinn ist.
Homer mag mir seine Verse singen, ich höre dieses erhabene Genie, im Vergleich zu dem ich, ein einfacher Hirte, ein gewöhnlicher Bauer, nichts bin. Vergleicht man Werk mit Werk, was sind in der Tat meine Käse und meine Bohnen im Vergleich zum Preis der Ilias? Will mir aber Homer als Lohn für sein unübertreffbares Gedicht alles nehmen, was ich habe, und mich zu seinem Sklaven machen, so verzichte ich auf den Genuß seiner Gesänge, und ich danke ihm. Ich kann die Ilias entbehren und, wenn es sein muß, mich mit der Aeneis begnügen, Homer aber kann meine Produkte nicht vierundzwanzig Stunden lang entbehren. Nehme er deshalb doch das wenige an, das ich ihm bieten will, und belehre, ermutige, tröste er mich dafür durch seine Dichtkunst.


Was, werdet ihr sagen, das soll das Los des Mannes sein, der Menschen und Götter besungen hat! Ein Almosen mit all seinen Erniedrigungen und Leiden: welch ein barbarischer Großmut!... Schreit bitte nicht so; das Eigentum macht aus einem Dichter einen Krösus oder einen Bettler; allein die Gleichheit weiß ihm Ehre und Beifall in gebührendem Maße zu zollen. Um was handelt es sich denn? Das Recht des Sängers und die Pflicht des Zuhörers zu ordnen. Beachtet nun aber den Punkt, der von höchster Wichtigkeit für die Lösung dieses Problems ist: alle beide sind frei, der eine im Verkaufen, der andere im Kaufen; von diesem Augenblicke an gelten ihre gegenseitigen Ansprüche gar nichts, und die gerechte oder übertriebene Meinung, die der eine von seinen Versen, der andere von seiner Freigebigkeit haben kann, können die Gestaltung der Vertragsbedingungen nicht beeinflussen. Nicht mehr in der Wertung des Talents, sondern in der des Produkts haben wir die Gründe für unser Urteil zu suchen.


Damit der Sänger des Achilles die ihm gebührende Belohnung erhalte, muß zunächst er sich also anbieten: denn dies vorausgesetzt, muß der Austausch seiner Verse gegen ein bestimmtes Honorar als Akt der Freiheit zugleich auch ein Akt der Gerechtigkeit sein, d. h. das Honorar des Dichters muß seinem Produkt gleich sein. Was ist nun aber der Wert dieses Produktes?


Ich unterstelle zunächst, diese Ilias, dieses Meisterwerk, um dessen gerechte Belohnung es sich handelt, habe in Wirklichkeit einen unbegrenzten Preis; mehr kann man doch nicht verlangen. Wenn das Publikum, das freie Hand über seinen Erwerb hat, es zu kaufen ablehnt, so ist klar, daß bei Nichtzustandekommen des Austausches sein innerer Wert nicht vermindert werden kann, aber sein Tauschwert oder sein Gebrauchsnutzen ist dadurch gleich Null geworden. Zwischen dem Unendlichen einerseits und dem Nichts andererseits, in gleichem Abstände von beiden, müssen wir also, da all die Rechte und all die Freiheiten gleichmäßig berücksichtigt werden müssen, den Betrag des ihm zuzuerkennenden Lohnes suchen; mit ändern Worten, nicht die Festsetzung des inneren, sondern des relativen Wertes des verkauften Gegenstandes gilt es vorzunehmen. Die Frage ist demnach einfacher geworden: wie hoch ist jetzt dieser relative Wert? Welche Behandlung verdient der Urheber einer Dichtung wie der Ilias?


Dies Problem war nach den gegebenen Definitionen das erste, das die Nationalökonomie zu lösen hatte; nun, sie hat es nicht nur ungelöst gelassen, sie hat es sogar überhaupt für unlösbar erklärt. Nach den Nationalökonomen kann der relative oder Tauschwert einer Sache nicht absolut bestimmt werden; er variiert ganz außerordentlich.


"Der Wert einer Sache", sagt Say, "ist eine positive Größe: aber er ist dies nur für einen gegebenen Augenblick. Von Natur aus ist er beständig verschieden, er wechselt von Ort zu Ort. Nichts kann ihn unveränderlich fixieren, weil er sich auf die Bedürfnisse und die Produktionsmittel gründet, die sich in jeder Minute ändern. Diese Veränderlichkeiten komplizieren die Phänomene der Nationalökonomie und erschweren oft ihre Beobachtung und Lösung. Ich weiß keine Hilfsmittel dagegen; es liegt nicht in unserer Macht, die Natur der Sache zu verändern."


Übrigens sagt Say und wiederholt es oft, daß der Wert, da er sich auf die Nützlichkeit gründet und die Nützlichkeit ganz von unseren Bedürfnissen, Launen, von der Mode usw. abhängt, ebenso veränderlich wie unsere Meinung ist. Wie kann nun aber die Nationalökonomie, die doch die Wissenschaft vom Werte, seiner Erzeugung, Verteilung, Verzehrung und von seinem Austausch ist, überhaupt noch möglich sein, wenn der Tauschwert nicht absolut bestimmt werden kann? Wie käme sie dazu, eine Wissenschaft zu sein? Wie können sich zwei Nationalökonomen ansehen, ohne zu lachen? Wie können sie die Stirn haben, die Metaphysiker und Psychologen zu verspotten? Was! Dieser verrückte Descartes bildet sich ein, die Philosophie bedürfe einer unerschütterlichen Grundlage, des aliquid inconcussum, auf der man das Gebäude der Wissenschaft errichten könne, und er war so einfältig, sie zu suchen; und Say, der Hermes trismegistos der Nationalökonomie, widmet der Ausarbeitung jenes feierlichen Satzes, die Nationalökonomie ist eine Wissenschaft, einen halben Band und hat sodann den Mut zu behaupten, daß diese Wissenschaft ihren Gegenstand nicht bestimmen kann, was darauf hinauskommt: sie hat weder ein Prinzip noch eine Grundlage! Er, der berühmte Say, wußte also nicht, was eine Wissenschaft sei, oder vielmehr er wußte nichts von dem, worüber er redete.


Das von Say gegebene Beispiel hat seine Früchte getragen: die Nationalökonomie gleicht auf dem Punkte, wo sie angelangt ist, der Ontologie, sie spricht von Wirkungen und Ursachen, aber sie weiß nichts, sie erklärt nichts und sie folgen nichts. Was man mit dem Namen ökonomisches Gesetz geschmückt hat, läßt sich auf einige Gemeinplätze zurückführen, denen man durch einen geschraubten Stil und den Wissenschaftsjargon den Eindruck von Tiefe zu geben glaubte; was die Lösung sozialer Probleme betrifft, die von den Nationalökonomen versucht wurde, so kann man davon weiter nichts sagen, als daß, wenn sich ihre gelehrten Forschungen bisweilen aus dem Nichtssagenden erheben, so nur, um dann sogleich ins Absurde zu fallen. Seit fünfundzwanzig Jahren liegt die Nationalökonomie wie ein dichter Nebel über Frankreich, sie hält den Aufschwung des Geistes auf und unterdrückt die Freiheit.


Hat jede industrielle Schöpfung einen absoluten, unveränderlichen und daher legitimen und wahrhaftigen Verkaufswert? - Ja.


Kann jedes Produkt eines Menschen gegen ein Produkt des Menschen ausgetauscht werden? - Nochmals: ja.


Wieviel Nägel ist ein Paar Holzschuhe wert?


Könnten wir dieses fürchterliche Problem lösen, so hätten wir den Schlüssel zu dem sozialen System, nach dem die Menschheit seit sechstausend Jahren sucht. Vor diesem Problem wird der Nationalökonom irre und zieht sich zurück; der Bauer, der nicht lesen und schreiben kann, antwortet ohne zu stocken: Ebensoviel, als man in derselben Zeit mit denselben Kosten herstellen kann.


Der absolute Wert einer Sache ist also das, was sie an Zeit und Aufwand kostet: wieviel ist der Diamant wert, der nur das Aufheben vom Sande gekostet hat? - Nichts; denn er ist kein Produkt des Menschen. - Wieviel wird er gelten, wenn er geschnitten und geschliffen ist? - Die Zeit und den Aufwand, die er dem Arbeiter gekostet. - Warum aber ist er so teuer? - Weil die Menschen nicht frei sind. Die Gesellschaft muß den Tausch und die Verteilung der seltensten Sachen geradeso regeln wie den der gemeinsten, und zwar in einer Weise, daß jeder daran teilnehmen und sie benutzen kann. -Was ist nun der Meinungswert? - Eine Lüge, eine Ungerechtigkeit und ein Diebstahl.


Hiernach ist es leicht, alles in Übereinstimmung zu bringen. Wenn der von uns gesuchte Mittelbegriff zwischen einem unendlichen und einem Null betragenden Werte für jedes Produkt durch die Summe der Zeit und des Aufwandes, die dies Produkt gekostet, gefunden wird, so muß ein Gedicht, das seinem Verfasser dreißig Jahre Arbeit und 10 000 Francs an Reisekosten, Büchern usw. verursacht hat, mit dreißig Jahren des gewöhnlichen Arbeitslohnes und 10 000 Francs Entschädigung bezahlt werden; wenn die Gesellschaft, die das Meisterwerk erwirbt, eine Million Menschen umfaßt, so bin ich für mein Teil 5 Centimes schuldig.


Dies gibt mir Gelegenheit zu einigen Bemerkungen.


1. Dasselbe Produkt kann zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten mehr oder weniger Zeit und Aufwand kosten; mit Rücksicht darauf kann man sagen, daß der Wert eine veränderliche Größe sei. Aber diese Veränderlichkeit ist nicht die der Nationalökonomen, welche die Ursachen der Veränderungen mit dem Mittel zur Produktion vermengen, nämlich Geschmack, Laune, Mode, Meinung. Mit einem Wort: der wahre Wert einer Sache ist rein rechnerisch ausgedrückt unveränderlich, obschon er, in Geld ausgedrückt, sich ändern kann.


2. Jedes verlangte Produkt muß geradeso hoch bezahlt werden, als es Zeit und Aufwandkosten hat, nicht mehr und nicht weniger: jedes nicht verlangte Produkt ist ein Verlust für den Produzenten, ein kommerzieller Unwert.


3. Die Unkenntnis des Schätzungsprinzips und in sehr vielen Fällen die Schwierigkeit seiner Anwendung ist die Quelle der kommerziellen Betrügereien im Handel und eine der Hauptursachen der Ungleichheit des Vermögens.


4. Um gewisse Industrien, gewisse Produkte zu bezahlen, bedarf es einer Gesellschaft, die desto zahlreicher ist, je seltener die Talente, je kostbarer die Produkte und je vielfältiger die einzelnen Künste und Wissenschaften sind. Kann z. B. eine Gesellschaft von 50 Bauern einen Schulmeister unterhalten, so bedarf es deren 100 für einen Schuhmacher, 150 für einen Schmied, 200 für einen Schneider usw.
Steigt die Zahl der Bauern auf 1000, 10 000, 100 000 usf., so muß die Zahl der in den notwendigsten Gewerben Beschäftigten in gleichem Verhältnis zunehmen: so daß die höchsten Beschäftigungen nur in den größten Gesellschaften möglich werden(6). Darin allein besteht der Unterschied der Fähigkeiten. Der Charakter des Genies, der Stempel seines Ruhmes ist der, daß es nur im Schöße einer ungeheuren Nation entstehen und sich entwickeln kann. Aber diese physiologische Bedingung des Genies fügt seinen gesellschaftlichen Rechten nichts hinzu: weit davon entfernt, beweist gerade sein verspätetes Erscheinen, daß die höchste Intelligenz im wirtschaftlichen und bürgerlichen Zustand der Gleichheit der Güter unterworfen ist, der Gleichheit, die vor ihm da war und deren Krönung er bildet.


Dies trifft unseren Hochmut hart, aber es ist eine unerbittliche Wahrheit. Und hier kommt die Psychologie der Nationalökonomie zu Hilfe, indem sie uns zeigt, daß es für materielle Belohnung und Talent kein gemeinsames Maß gibt; daß in dieser Hinsicht die Bedingung für alle Produzenten die gleiche ist; und daß folglich jeder Vergleich zwischen ihnen und jeder Unterschied im Vermögen unmöglich ist.
In der Tat ist jedes Werk von Menschenhand mit dem Rohmaterial, aus dem es entstanden ist, verglichen, von unschätzbarem Werte: in dieser Beziehung ist der Unterschied zwischen einem Paar Holzschuhen und einem Nußbaumstamm ebensogroß wie zwischen einer Statue von Skopas und einem Marmorblock. Das Genie des einfachsten Arbeiters erhebt ihn ebenso hoch über die Materialien, die er bearbeitet, als der Geist eines Newton diesen über die ungeheure Sphäre, deren Entfernungen, Maße und Umwälzungen er berechnet. Ihr verlangt für Talent und Genie die Ver-hältnismäßigkeit von Ehren und Gütern: schätzt mir das Talent eines Holzhackers ab, und ich werde Euch das eines Homer abschätzen. Wenn etwas die Intelligenz bezahlen kann, so ist es die Intelligenz. Dies geschieht, wenn Produzenten verschiedener Klassen sich einen gegenseitigen Tribut der Bewunderung und des Lobes zollen. Aber wenn es sich um einen Austausch von Produktionen handelt in der Absicht, wechselseitige Bedürfnisse zu befriedigen? Dieser Austausch läßt sich nur unter der Bedingung bewirken, daß die Wirtschaft gegen Talent und Genie gleichgültig ist und ihre Gesetze sich nicht aus einer leeren und nichtssagenden Bewunderung herleiten lassen, sondern aus dem richtigen Gleichgewicht zwischen Soll und Haben, kurz aus der kommerziellen Arithmetik.

Anmerkung (6) Wievieler Bürger bedarf es, um einen Professor der Philosophie zu besolden? 35 Millionen. Wieviel für einen Nationalökonomen? 2 Milliarden. Und für einen Schriftsteller, der weder Gelehrter noch Künstler, noch Philosoph, noch Nationalökonom ist, sondern der Zeitungsromane schreibt? - Gar keiner.


Damit man nun nicht glaube, daß die Freiheit zu kaufen und zu verkaufen allein die Gleichheit der Arbeitslöhne begründe und daß die Gesellschaft gegen die Überlegenheit des Talents kein anderes Zufluchtsmittel habe, als eine gewisse Kraft und Trägheit, die nichts mit dem Recht gemein hat, so will ich auseinandersetzen, warum die nämliche Wiedererstattung alle Fähigkeiten bezahlt, warum dieselbe Verschiedenheit des Lohnes eine Ungerechtigkeit ist. Ich werde die Verpflichtung, die das Talent hat, sich dem gesellschaftlichen Gleichgewicht zu unterwerfen, beweisen; und den Grund der Vermögensgleichheit auf die Überlegenheit des Genies selbst bauen. Ich habe soeben die Gleichheit der Löhne bei allen Fähigkeiten negativ begründet, jetzt will ich es direkt und positiv tun.


Hören wir zuerst den Nationalökonomen: es macht einem stets Vergnügen zu sehen, wie er denkt und gerecht sein will. Übrigens würden wir ohne ihn, ohne seine ergötzlichen Schnitzer und wunderbaren Argumente gar nichts lernen. Die Gleichheit, die dem Nationalökonomen so verhaßt ist, verdankt trotzdem alles der Nationalökonomie.


"Wenn die Familie eines Arztes (der Text sagt eines Anwalts, was aber nicht so gut für das Beispiel paßt) für seine Erziehung 40 000 Francs ausgegeben hat, so kann man diese Summe als eine Leibrentenanlage für ihn betrachten. Man kann nun annehmen, diese Summe hätte vorher jährlich 4000 Francs eingebracht. Verdient der Arzt 30 000, so bleiben also 26 000 übrig als Einkommen seines persönlichen Talents, das ihm die Natur gegeben hat. Schätzt man nun dieses natürliche Kapital nach dem Zinsfuß von 10 Prozent, so beträgt es 260 000 Francs, und das Kapital, das seine Eltern für seine Erziehung ausgegeben, 40 000 Francs. Diese beiden Kapitalien zusammen machen sein Vermögen aus." (Say, Cours complet, usw.)


Say teilt das Vermögen des Arztes in zwei Teile: der eine besteht in den Kosten für seine Erziehung, der andere in seinem persönlichen Talent. Diese Einteilung ist richtig: sie deckt sich mit der Natur der Sache; sie wird allgemein anerkannt; sie dient als Triumph bei der großen Auseinandersetzung über die Ungleichheit der Fähigkeiten. Ich nehme nun ohne Einschränkung diesen Triumph hin: betrachten wir aber die Konsequenzen.


1. Say bringt die 40 000 Francs Erziehungskosten des Arztes unter sein Haben: diese 40 000 Francs dürfen aber nur unter seinem Soll stehen. Denn, ist diese Ausgabe für ihn gemacht worden, so ist sie nicht durch ihn gemacht worden: weit entfernt also, sich diese 40 000 Francs anzueignen, muß vielmehr der Arzt sie von seinem Erwerb abziehen und dem rechtmäßigen Eigentümer zurückerstatten. Bemerken wir übrigens, daß Say von Einkommen, anstatt von Wiedererstattung spricht, weil er nach dem falschen Grundsatz von der Produktivität des Kapitals argumentiert. Der für die Erziehung eines Talentes gemachte Aufwand ist also eine Schuld, die sich dieses Talent aufgeladen hat: bloß durch seine Existenz ist er Schuldner einer Summe, die sich so hoch wie seine Produktionskosten beläuft. Dies ist so wahr und so weit von jeder Spitzfindigkeit entfernt, daß, wenn in einer Familie die Erziehung eines Kindes zwei- oder dreimal soviel als die seiner Geschwister gekostet hat, die letzteren das Recht haben, sich entsprechend aus dem Nachlaß zu befriedigen, bevor die Erbteilung vorgenommen wird. Dies bereitet bei einer Vormundschaft keine Schwierigkeiten, sobald die Güter im Namen der Minderjährigen verwaltet werden.


2. Was ich eben von der Verpflichtung des Talents zur Rückerstattung seiner Erziehungskosten sagte, macht den Nationalökonomen nicht stutzig; der Mann von Talent, Erbe seiner Familie, erbt auch den Vorschuß von 4000 Francs und erwirbt ihn so als Eigentum. Wir gehen vom Recht des Talentes aus und kommen auf das Recht der Okkupation zurück; und alle Fragen, die wir im zweiten Kapitel gestellt haben, kommen hier wieder zum Vorschein: Was ist das Okkupationsrecht? Was ist die Erbschaft? Ist das Nachfolgerecht ein Akkumulations- oder nur ein Optionsrecht? Woher hatte der Vater des Arztes sein Vermögen? War er Eigentümer oder nur Nießbraucher? Wenn er reich war, so erkläre man seinen Reichtum; wenn er arm war, wovon konnte er eine so beträchtliche Ausgabe bestreiten? Wenn er Unterstützung empfangen hat, wie kann diese ein Privileg zugunsten des Verpflichteten gegen seinen Wohltäter begründen? usw.


3. "Bleiben 26 000 Francs, als Einkommen seines persönlichen Talentes, das die Natur ihm verliehen." (Say, s. oben.) Daraus schließt nun Say, daß das Talent unseres Arztes einem Kapital von 260 000 Francs gleichkäme. Dieser geschickte Rechenkünstler nimmt also eine Folgerung für ein Prinzip: nicht nach dem Erwerb kann man das Talent schätzen; sondern im Gegenteil, das Talent muß den Erwerb schätzen, denn mit all seinen Verdiensten kann der fragliche Arzt unter Umständen gar nichts erwerben: muß man daraus folgern, daß das Talent oder das Vermögen dieses Arztes gleich Null ist? Dies würde aber die Konsequenz aus Says Überlegungen sein, und sie ist offensichtlich absurd.


Diese Abschätzung eines jeglichen Talentes in Geld ist also unmöglich, weil Talent und Taler unvergleichbare Größen sind. Mit welchem vernünftigen Grund könnte man nun beweisen, daß ein Arzt ein doppelt, dreifach oder hundertfach so großes Einkommen als ein Bauer haben müsse? Diese äußerst schwierige Frage haben nur Habsucht, Not und Unterdrückung beantwortet. So kann also das Recht des Talents nicht bestimmt werden. Aber wie gelangen wir zu dieser Bestimmung?


4. Ich behaupte zunächst, daß der Arzt nicht ungünstiger behandelt werden darf als jeder andere Produzent, daß er nicht unter der Gleichheit bleiben darf: ich will mich bei diesem Beweis nicht aufhalten. Aber ich behaupte weiter, daß er sich ebensowenig über jene selbe Gleichheit erheben darf, weil sein Talent ein Gesamteigentum ist, das er nicht bezahlt hat und für das er ewig Schuldner bleibt.


Wie die Schöpfung jedes Produktionsinstrumentes das Resultat einer Kollektivkraft ist, sind auch Talent und Wissen eines Menschen das Produkt der allgemeinen Intelligenz und einer allgemeinen Wissenschaft, die allmählich durch eine Menge von Meistern und mit der Hilfe vieler niederer Kräfte aufgebaut worden ist. Wenn der Arzt seine Lehrer, seine Bücher und seine Diplome bezahlt und alle seine Auslagen vergütet hat, so hat er für sein Talent nicht mehr bezahlt, als der Kapitalist für sein Grundstück und seinen Palast mit den Löhnen des Arbeiters. Der Mann von Talent hat dazu beigetragen, sich als nützliches Instrument zu produzieren. Er ist also Mitbesitzer und nicht Eigentümer hiervon. Es steckt daher ein freier Arbeiter und ein angehäuftes Gesellschaftskapital in ihm: als Arbeiter ist er Herr über den Gebrauch eines Werkzeuges, über die Leitung einer Maschine, die seine Fähigkeit bildet; als Kapital gehört er nicht sich selbst, er beutet sich nicht für sich selbst aus, sondern für die andern.


Man könnte eher in dem Talent Gründe zur Herabsetzung seines Lohnes als zur Erhöhung desselben über den allgemeinen Lohnstand finden, wenn nicht seinerseits das Talent in seiner Vortrefflichkeit eine Zuflucht fände gegen den Vorwurf von Opfern, die es erfordert. Jeder Produzent empfängt eine Erziehung, jeder Arbeiter ist ein Talent, eine Fähigkeit, d. h. ein Gesamteigentum, doch kostet ihre Erschaffung nicht gleich viel. Wenig Lehrer, wenig Jahre, wenig herkömmliche Überlieferungen sind notwendig, um den Bauern oder Handwerker zu bilden: die erzeugende Kraft, und, wenn ich so sagen darf, die Dauer der gesellschaftlichen Trächtigkeit entsprechen der Feinheit der Fähigkeiten. Aber während Arzt, Dichter, Künstler und Gelehrter wenig und spät produzieren, ist die Produktion des Landarbeiters viel weniger vom Zufall abhängig und bedarf nicht einer Reihe von Jahren. Was auch die Fähigkeit eines Menschen sein mag, sobald diese Fähigkeit geschaffen ist, gehört sie ihm nicht mehr; der Materie vergleichbar, die sich unter einer geschickten Hand formt, hatte er die Möglichkeit des Werdens, das Sein aber hat die Gesellschaft geschaffen. Wird die Vase zum Töpfer sagen: ich bin, was ich bin, und schulde Dir nichts.


Die Künstler, Gelehrten und Dichter empfangen ihre gerechte Belohnung allein dadurch, daß die Gesellschaft ihnen gestattet, sich ausschließlich der Wissenschaft und Kunst zu widmen: so daß sie in Wirklichkeit nicht für sich arbeiten, sondern für die Gesellschaft, die sie geschaffen hat und die sie von jeder anderen Mitwirkung entbindet. Die Gesellschaft kann zur Not ohne Prosa und Verse, ohne Musik und Gemälde, ohne die Kenntnis von der Mondbahn und von Polarsternen existieren, aber nicht einen Tag ohne Nahrung und Wohnung.


Zweifellos lebt der Mensch nicht allein vom Brot; nach dem Evangelium muß er noch vom Worte Gottes leben, d. h. das Gute lieben und betätigen, das Schöne kennen und bewundern und die Wunder der Natur studieren. Aber um seine Seele zu bilden, muß er sich zuvor den nötigen Unterhalt für seinen Körper verschaffen: zu dieser letzten Bedürfnispflicht zwingt ihn ebenso die Notwendigkeit wie zur anderen der Adel.


Wenn es ruhmvoll ist, die Menschen zu erfreuen und zu belehren, so ist es ebenso ehrenvoll, sie zu ernähren. Wenn also die Gesellschaft, dem Prinzip der Arbeitsteilung getreu, einem ihrer Mitglieder eine künstlerische oder wissenschaftliche Aufgabe überträgt und ihn dafür von der gewöhnlichen Arbeit entbindet, so schuldet sie ihm eine Entschädigung für alles, was er an materiellen Produkten nicht selbst erzeugen konnte, aber sie schuldet ihm nur dies. Wenn er mehr verlangt, so reduziert die Gesellschaft seine Ansprüche einfach dadurch, daß sie seine Dienste ablehnt. Um zu leben, ist er infolgedessen gezwungen, sich einer Arbeit zu unterziehen, für die ihn die Natur nicht bestimmt hat, und dann würde das Genie seine Schwäche fühlen und in die schlimmste Lage geraten.


Man erzählt, eine berühmte Sängerin habe von der russischen Kaiserin Katharina II. zwanzigtausend Rubel verlangt: - So viel gebe ich ja meinen Feldmarschällen nicht, sagte Katharina. - Eure Majestät, erwiderte die andere, mögen dann Ihre Feldmarschälle singen lassen.


Spräche Frankreich, das mächtiger als Katharina II., zu Fräulein Rachel: Sie werden für 100 Louisdors spielen oder "Wolle spinnen; zu Herrn Duprez: Sie werden für 2400 Francs singen oder zur "Weinlese gehen: würden da wohl die Tragödin Rachel und der Sänger Duprez das Theater verlassen? Sie würden es als erste bereuen.


Fräulein Rachel soll von der Comédie-Francaise jährlich 60 000 Francs erhalten: für ein Talent wie das ihrige ist dies eine geringe Gage. Warum nicht 100 000 Francs oder 200 000 Francs? Warum keine Zivilliste? Wie armselig ist dies doch, denn feilscht man mit einer Künstlerin vom Range einer Rachel?


Man antwortet, die Verwaltung könne nicht mehr geben, ohne sich selbst zu ruinieren: daß man das überlegene Talent der jungen Gesellschafterin sehr wohl anerkenne, daß man aber bei der Festsetzung der Gage auch die Einnahmen und die Ausgaben der Gesellschaft habe berücksichtigen müssen.
Das alles ist richtig, aber es bekräftigt nur das, was ich behaupte, daß nämlich das Talent eines Künstlers unendlich sein kann, daß aber seine Ansprüche auf Gehalt notwendigerweise beschränkt werden; einerseits durch seine Nützlichkeit für die Gesellschaft, die ihn bezahlt, andererseits durch die Hilfsquellen dieser selben Gesellschaft - mit anderen Worten, daß das Angebot des Verkäufers durch das Recht des Käufers im Gleichgewicht gehalten wird.


Fräulein Rachel verschafft, wie man sagt, dem Théâtre Français mehr als 60 000 Francs Einnahme. Ich gebe dies zu: aber dann verklage ich das Theater: von wem erhebt das Theater diese Abgabe? - Von vollkommen freien Schaulustigen. - Ja, aber die Arbeiter, Mieter, Pächter und Darlehensnehmer, von denen diese Schaulustigen das wieder nehmen, was sie der Komödie bezahlen, sind denn diese frei? Und wenn der größere Teil ihrer Produkte ohne sie im Theater verzehrt wird, wollt Ihr mir da noch sagen, daß es ihren Familien an nichts fehlt? Bis das französische Volk über die Gehälter aller Künstler, Gelehrten und Beamten beraten, seinen Willen klar ausgedrückt und in Kenntnis der Ursache entschieden hat, bis dahin ist die Entlohnung von Fräulein Rachel und ihren Kollegen eine Zwangssteuer, die, mit Gewalt abgepreßt, den Hochmut belohnen und die Liederlichkeit unterstützen soll.


Da wir weder frei noch hinreichend aufgeklärt sind, gehen wir auf törichte Abmachungen ein: soll der Arbeiter die Wechsel bezahlen, die das Prestige der Macht und der Egoismus des Talents auf die Neugierde des Müßiggängers ziehen; deshalb haben wir das stete Ärgernis dieser ungeheuerlichen Ungleichheiten, die die öffentliche Meinung noch ermutigt und denen sie Beifall zollt.


Die ganze Nation, und nur die Nation, bezahlt ihre Schriftsteller, ihre Gelehrten, ihre Künstler, ihre Beamten, durch welche Hand ihr Gehalt ihnen auch zukommen mag. Nach welcher Maßgabe muß sie sie bezahlen? Nach Maßgabe der Gleichheit. Ich habe es durch die Schätzung des Talentes bewiesen; ich werde es im folgenden Kapitel durch die Unmöglichkeit jeder sozialen Ungleichheit darlegen.
Was haben wir nun in den vorhergehenden Ausführungen bewiesen? Folgende, ganz einfache, wahrhaft einfältige Dinge:


Ebenso wie sich der Reisende die Landstraße, auf der er geht, nicht aneignet, ebensowenig eignet sich der Arbeiter das Feld an, das er einsät.


Wenn dessenungeachtet ein Arbeiter sich durch seinen Fleiß die Materie, die er bearbeitet, aneignet, so wird jeder Bearbeiter mit demselben Recht Eigentümer.


Jedes Kapital, sei es nun materieller oder geistiger Art, ist ein Kollektivwerk und bildet daher auch nur ein Kollektiveigentum.


Der Starke hat kein Recht, durch gewaltsames Vorgehen die Arbeit des Schwachen zu behindern, noch hat der geistig Überlegene ein solches, die Gutgläubigkeit des Einfaltspinsels zu mißbrauchen.


Schließlich kann niemand gezwungen werden, das zu kaufen, wozu er keine Lust hat, und noch weniger, das zu bezahlen, was er nicht gekauft hat: daher bleibt das Eigentum eines jeden stets gleich, da der Tauschwert eines Produktes weder nach der Meinung des Käufers, noch nach der des Verkäufers, sondern nach der Summe der hierauf verwandten Zeit und Kosten bemessen wird.


Sind das nicht ganz plumpe Wahrheiten? Nun, lieber Leser, so plump sie Dir auch scheinen, Du sollst jetzt andere hören, die noch platter und plumper sind. Denn wir gehen den umgekehrten Weg wie der Mathematiker: für sie werden die Probleme, je weiter sie vorgehen, immer schwieriger; wir hingegen beginnen mit den abstrusesten Lehrsätzen und hören mit Axiomen auf.


Aber zum Schluß dieses Kapitels will ich noch eine jener exorbitanten Wahrheiten vortragen, wie sie von den Juristen und Nationalökonomen nie entdeckt wurden.


§ 8 Im Zustande der Gerechtigkeit zerstört die Arbeit das Eigentum

Dieser Lehrsatz ist die Folgerung aus den beiden vorhergehenden Paragraphen, die wir zunächst kurz wiedergeben wollen.

Isoliert kann der Mensch nur einen sehr geringen Teil seiner Bedürfnisse befriedigen; seine ganze Macht ruht in der Gesellschaft und in der vernünftigen Verbindung der allgemeinen Anstrengungen. Die Teilung und Gleichzeitigkeit der Arbeit vervielfachen die Menge und Verschiedenheit der Produkte; die Beschränkung der Tätigkeit auf ein Gebiet erhöht die Qualität der Verbrauchsgegenstände.


Es gibt also keinen Menschen, der nicht von dem Produkt mehrerer tausend verschiedener Industrietreibender lebte; keinen Arbeiter, der nicht seinen ganzen Verbrauch und mit diesem die Mittel zur Reproduktion von der Gesellschaft empfinge. Wer wollte in der Tat sagen: was ich verzehre, produziere ich allein, ich brauche niemanden? Die Nationalökonomen des Altertums sahen den Bauern als den einzig wahren Produzenten an. Der Bauer aber muß Wohnung, Möbel, Kleidung, Nahrung haben; ihm hilft der Maurer, Tischler, Schneider, Bäcker, Metzger, Krämer, Schmied usw. Kann sich der Bauer, so frage ich, schmeicheln, allein zu produzieren?


Jedem wird sein Bedarf durch jeden gegeben; dies ist auch der Grund, warum die Produktion eines jeden die Produktion aller voraussetzt. Ein Produkt ist ohne ein anderes Produkt nicht möglich; eine isolierte Industrie ist ein Unding. Wie sollte der Land-mann ernten, wenn ihm nicht andere die Pflüge, Wagen, Karren, Kleider usw. fertigten? Was finge der Gelehrte ohne die Buchhändler, der Drucker ohne den Gießer und den Mechaniker und dieser wieder ohne eine Menge anderer Arbeiter an?... Wir wollen diese Aufzählung nicht fortsetzen, wie dies mit Leichtigkeit geschehen könnte, damit man uns nicht vorwerfe, Gemeinplätze vorzutragen. Alle Industriezweige vereinigen sich durch wechselseitige Beziehungen zu einem einzigen Bündel; alle Produktionen dienen sich gegenseitig als Zweck und Mittel; alle Verschiedenheiten des Talents sind nur eine Serie von Metamorphosen vom Niederen zum Höheren.


Diese unbestreitbare und unbestrittene Tatsache nun von der allgemeinen Teilnahme an jeder Art von Produkten hat als Ergebnis, alle Produktionen gemeinschaftlich zu machen: und zwar derart, daß jedes Produkt, das aus den Händen des Produzenten hervorgeht, schon von vornherein mit einer Hypothek für die Gesellschaft belastet ist. Der Produzent selbst hat nur an einem Bruchteil ein Anrecht, dessen Nenner gleich der Zahl der Individuen ist, aus denen die Gesellschaft besteht. Es ist wahr, daß als Ausgleich dieser selbe Produzent ein Recht auf alle übrigen Produkte hat, so daß er eine hypothekarische Klage gegen alle erwirbt, ebenso wie diese gegen ihn; aber sieht man denn nicht ein, daß diese Gegenseitigkeit von Hypotheken weit davon entfernt ist, das Eigentum zuzulassen und sogar noch den Besitz zerstört? Der Arbeiter ist nicht einmal Besitzer seines Produktes: kaum hat er es vollendet, so beansprucht es die Gesellschaft.


Aber, so wird man einwenden, wenn selbst das Produkt dem Produzenten gehört, weil die Gesellschaft jedem Arbeiter für sein Produkt ein anderes gleichwertiges gibt, dann wird doch dieses Äquivalent, dieser Lohn, diese Belohnung, dieses Gehalt sein Eigentum. Leugnest Du auch noch, daß dieses Eigentum legitim sei? Und wenn der Arbeiter, statt seinen Lohn ganz zu verzehren, etwas davon spart, wer will ihm das streitig machen?


Der Arbeiter ist nicht selbst Eigentümer des Preises seiner Arbeit; und er hat darüber keine absolute Verfügungsgewalt. Lassen wir uns nicht durch eine falsche Gerechtigkeit verblenden: was dem Arbeiter als Tausch für sein Produkt zugestanden wird, gibt man ihm nicht als Belohnung für eine getane Arbeit, sondern als Mittel und Vorschuß für die künftige Arbeit. Wir verzehren, ehe wir produzieren: Der Arbeiter kann am Ende des Tages sagen: Ich habe meine Auslagen von gestern bezahlt; morgen werde ich für die von heute bezahlen. In jedem Augenblick seines Lebens hat der Gesellschafter Vorschüsse auf seine laufende Rechnung erhalten; er stirbt, ohne daß er sie begleichen konnte: wie könnte er dann ein Privatvermögen erwerben.


Man spricht von Sparen: doch ist dies die Sprache des Eigentums. Unter der Herrschaft der Gleichheit ist jede Ersparnis, die nicht eine weitere Reproduktion oder einen Genuß zum Gegenstand hat, unmöglich: warum? Weil diese Ersparnis nicht kapitalisiert werden kann, somit von diesem Augenblick an kein Ziel und keinen Endzweck mehr hat. Dies wird bei der Lektüre des folgenden Kapitels noch klarer werden.


Schließen wir also:


Der Arbeiter ist in bezug auf die Gesellschaft ein Schuldner, der notwendigerweise zahlungsunfähig stirbt: Der Eigentümer ist ein ungetreuer Verwahrer, der das Vorhandensein des seiner Obhut anvertrauten Gegenstandes ableugnet, sich aber trotzdem für die Tage, Monate und Jahre seiner Obhut bezahlen läßt.


Die soeben auseinandergesetzten Prinzipien können vielleicht einigen Lesern noch zu metaphysisch erscheinen; ich will sie daher in eine konkretere Form kleiden, in der sie selbst dem dicksten Schädel faßbar sein sollen, und aus der sich hochinteressante Folgerungen ableiten lassen.


Bis jetzt habe ich das Eigentum als eine Macht der Ausschließung betrachtet; ich werde es nun als Macht des Raubes prüfen.


VIERTES KAPITEL
Das Eigentum ist unmöglich


Beweis - Axiom.
Erster Satz - Das Eigentum ist unmöglich, weil es von nichts etwas fordert.
Zweiter Satz - Das Eigentum ist unmöglich, weil dort, wo es zugelassen ist, die Produktion mehr kostet als sie wert ist.
Dritter Satz - Das Eigentum ist unmöglich, weil bei einem gegebenen Kapital die Produktion der Arbeit und nicht dem Eigentum entspricht.
Vierter Satz - Das Eigentum ist unmöglich, weil es Mord ist.
Fünfter Satz - Das Eigentum ist unmöglich, weil sich mit ihm die Gesellschaft zerfleischt.
Anhang zum fünften Satz: Über die Organisation der Arbeit, über die Ungleichheit der Entlohnung und über die Armenfrage.
Sechster Satz - Das Eigentum ist unmöglich, weil es der Quell der Willkürherrschaft ist.
Siebter Satz - Das Eigentum ist unmöglich, weil es das Erhaltene durch Verbrauch verliert, durch Sparen vernichtet und durch Kapitalisierung gegen die Produktion richtet.
Achter Satz - Das Eigentum ist unmöglich, weil seine Akkumulationskraft unbegrenzt ist und weil es auf begrenzte Mengen angewandt wird.
Neunter Satz - Das Eigentum ist unmöglich, weil es ohnmächtig gegen das Eigentum ist.
Zehnter Satz - Das Eigentum ist unmöglich, weil es die Verneinung der Gleichheit ist.


FÜNFTES KAPITEL
Psychologische Erklärung der Idee des Gerechten und Ungerechten und Bestimmung des Regierungsprinzips und des Rechtsprinzips.


Erster Teil -

§ l Über den moralischen Sinn im Menschen und den Tieren.
§ 2 Über die erste und zweite Stufe des Gesellschaftstriebs.
§ 3 Über die dritte Stufe des Gesellschaftstriebs.

Zweiter Teil -

§ l Ursache unserer Irrtümer; Ursprung des Eigentums.
§ 2 Kennzeichen der Gütergemeinschaft und des Eigentums.
§ 3 Bestimmung der Form der Gesellschaft: Schlußfolgerungen.

 

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